Eine Armada von Lobbyisten

Studie warnt vor Einfluss der Finanzbranche auf Gesetzgebung

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Jörg Asmussen war einst so etwas wie ein Star der Finanzpolitik. Zunächst arbeitete er sich im Bundesfinanzministerium bis zum Staatssekretär hoch und wurde während der Finanzkrise 2007/08 einer breiten Öffentlichkeit bekannt, daraufhin stieg er ins Direktorium der Europäischen Zentralbank auf. Dann kam der Fall.

Mittlerweile ist er als Geschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) so etwas wie der Cheflobbyist der Versicherungswirtschaft. Ein einsamer Wolf ist Asmussen damit wahrlich nicht. Denn die Finanzwirtschaft hat in Deutschland 1500 Mitarbeiter, deren einziger Job es ist, im Namen der Branche Einfluss auf den Gesetzgeber zu nehmen. Setzt man das ins Verhältnis zu den derzeit 41 Abgeordneten im Finanzausschuss des Bundestags, dann kommen auf jeden Parlamentarier 36 Lobbyisten. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die die Initiative Finanzwende am Mittwoch in Berlin vorstellte.

»Kein Wunder, dass angesichts dieser gefährlichen Schieflage die Interessen der Finanzlobby so oft über die der Bürgerinnen und Bürger gestellt werden«, kommentiert Finanzwende-Vorstand Gerhard Schick die Ergebnisse. In der Realität siege »eben doch meist der Goliath und viel zu selten ein David«, sagt Schick, der bis 2017 für die Grünen im Bundestag saß und in diesem Rahmen auch maßgeblich an der parlamentarischen Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals beteiligt war. Für ihre Studie mussten Schick und sein Team kräftig recherchieren. Denn ein umfassendes Lobbytransparenzregister, wie es die Initiative fordert, gibt es noch nicht. Auch hält die Branche wenig von Transparenz. So stöberten Schick und Co. zum Beispiel in Karrierenetzwerken wie Linkedin, um etwas über Mitarbeiterzahlen der Branche zu erfahren, oder arbeiteten sich durch amtliche Register und Stellungnahmen, um die Finanzkraft der Lobbyverbände abzuschätzen.

Besonders deutlich wird die Einflussnahme der Finanzlobby laut Schick bei der Anzahl der Stellungnahmen der insgesamt knapp 290 Lobbyorganisationen auf Gesetzesinitiativen der Regierung. Zu 33 von Finanzwende untersuchenden Referentenentwürfen aus den Jahren 2014 bis 2020 gab es circa 500 Kommentare von Verbänden. Davon kamen 378 von der Finanzlobby und 41 aus der Zivilgesellschaft. Das ist ein Verhältnis von neun zu eins zugunsten der Finanzlobby. Diese sei damit bei der Gesetzgebung »quasi unter sich«, sagt Schick. Er und seine Organisation fordern deshalb neben mehr Lobbytransparenz eine Korrektur des Ungleichgewichts. Zum einen solle die Politik auf eine gleichmäßige Vertretung unterschiedlicher Interessen achten. Zum anderen müsse die Stimme der Zivilgesellschaft stärker werden.

Denn die Finanzindustrie hat laut Finanzwende nicht nur eine Armada von Lobbyisten auf ihrer Seite. Sie steckt auch reichlich Geld in die Einflussnahme auf die Gesetzgebung. Entsprechend der Studie besitzen die Verbände ein Budget von mindestens 200 Millionen Euro. Allein der Versicherungsverband GDV vom einstigen Finanzstaatssekretär Asmussen soll fast 62 Millionen Euro zur Verfügung haben.

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