»Sie werden an Informationen ersticken«

Linkenpolitiker Gregor Gysi und Sevim Dağdelen sprachen mit Edward Snowden über die Jagd der Geheimdienste nach Whistleblowern

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Veröffentlichung der Snowden-Dokumente liegt siebeneinhalb Jahre zurück. Welche Relevanz hat der Whistleblower Edward Snowden im Jahr 2020?

Gregor Gysi: Zunächst wird er in den USA noch verfolgt und mit hohen Strafen bedroht. Außerdem steht die Frage im Raum, wie mit Whistleblowern umgegangen werden muss, wenn sie die Öffentlichkeit über rechtswidriges, kriminelles Verhalten eines Geheimdienstes informieren. Es muss auch gefragt werden nach der illegalen Hilfe des BND für illegale Tätigkeiten US-amerikanischer Geheimdienste. Letztlich geht es um den Schutz von Snowden.

Sevim Dagdelen: Mit der Veröffentlichung der NSA-Dokumente 2013 hat Snowden gezeigt, zu welcher massenhaften Überwachung Geheimdienste schon damals in der Lage waren. Die technologische Entwicklung seitdem war rasant, sie vollzieht sich in Hundejahren. Seine Veröffentlichungen sind heute aktueller denn je. Whistleblower wie Edward Snowden und Wikileaks-Gründer Julian Assange haben sich enorm verdient gemacht. Nur durch ihren Mut konnten Missstände und Verbrechen aufgedeckt und das Wissen darüber der Weltöffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Dass die beiden versteckt im Exil oder unter menschenunwürdigen Bedingungen in Isolationshaft leben müssen, ist ein Skandal. Whistleblower sind keine Kriminellen, sondern große Helden.

US-Gerichte urteilen oft hart gegen Whistleblower aus Sicherheitsbehörden. Haben Sie Hoffnung, dass sich das unter Joe Biden ändern könnte?

Dagdelen: Joe Biden bezeichnete Julian Assange wegen der WikiLeaks-Enthüllungen während seiner Zeit als Vizepräsident als »Hi-Tech-Terroristen«. Die Obama-Regierung, der Joe Biden angehörte, hat mehr Journalisten unter dem Espionage Act verfolgt als alle Vorgängerregierungen der USA zusammen. Unter Obama wurde die Begnadigung von Snowden zwar diskutiert, allerdings war Obama, so vermutet es auch Edward Snowden, zu sehr in die Missstände verwickelt, die er mit seinen Enthüllungen aufgedeckt hatte. Zugleich hatte Obama Chelsea Manning am Ende seiner Amtszeit begnadigt und von linken Demokraten wie Tulsi Gabbard gibt es die Forderung an Biden Snowden und Assange zu begnadigen.

Gysi: Die Rechtsprechung der Gerichte wird sich unter Joe Biden nicht ändern. Aber ein Bundesgericht der USA hat rechtskräftig festgestellt, dass die Telefonüberwachungsdaten des Geheimdienstes, dem Edward Snowden angehörte, rechtswidrig erhoben wurden. Es stellte auch fest, dass wir das Bekanntwerden nur Edward Snowden zu verdanken haben. Vielleicht schätzt auch die US-Justiz ein, dass das keine Straftat sein kann.

Sehen Sie eine Chance für Edward Snowden in die USA zurückzukehren?

Gysi: Es wurde viel spekuliert, ob Donald Trump in seinen letzten Tagen als Präsident ihn begnadigt. Es ist möglich, dass er dem Geheimdienst eins auswischen will, weil dieser Hillary Clinton über den Verdacht der Einmischung Russlands zugunsten von Donald Trump vor vier Jahren informiert hat. Wenn Snowden begnadigt wird, kann er auch zurückkehren. Sonst besteht die Gefahr, dass er über lange Zeit seiner Freiheit beraubt wird.

Dagdelen: Trump nannte Snowden einst einen »Verräter«, den man »exekutieren« müsse. Trump ändert seine Meinung zu so manchen Fragen zwar täglich und im Fall Snowden räumte er auch ein, mit ihm sei nicht fair umgegangen worden. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, wer sonst noch alles in der US-Regierung sitzt und Einfluss auf die Entscheidung des Präsidenten ausübt.

Schon während dem NSA-Untersuchungsausschuss gab es Reformen am BND-Gesetz und bei den Geheimdiensten. Hat das etwas verändert?

Dagdelen: Als dank Snowden die Dokumente über die US-Überwachungsprogramme bekannt wurden, hatte dies eine diplomatische Krise zur Folge. »Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht«, tönte damals Kanzlerin Merkel. Die Empörung war riesig, passiert ist seitdem jedoch nichts. Der NSA-Untersuchungsausschuss hat vielmehr festgestellt, dass das Abhören auch unter Freunden Alltag ist, auch beim BND. Im Rahmen seiner Auslandsaufklärung hat der BND massenhaft Regierungen und ausländische Journalisten aktiv abgehört. Alle Sachverständigen im NSA-Untersuchungsausschuss waren sich einig: Die flächendeckende anlasslose Erhebung und Speicherung von Daten auf Vorrat, auch außerhalb von Deutschland, verstößt gegen deutsches Verfassungsrecht.

Noch skandalöser als die Erkenntnisse aus dem Untersuchungsausschuss war der Umgang mit diesen. 2016 hat die Große Koalition das BND-Gesetz reformiert. Alles was vorher illegal war, wurde dadurch legalisiert. Der Massenüberwachung durch den BND wurde ein Freifahrtschein ausgestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz im Mai für verfassungswidrig erklärt. Wie wenig die Bundesregierung daraus gelernt hat, zeigen der Entwurf für die Reform des BND-Gesetzes und weitere Gesetzesinitiativen, mit denen weitreichende Grundrechtseingriffe legitimiert werden sollen.

In der kommenden Woche erhalten die Sicherheitsbehörden mit dem IT-Sicherheitsgesetz erweiterte Befugnisse. Sollten Behörden hacken dürfen?

Gysi: Sicherheitsbehörden dürfen sich nie derselben Methoden bedienen, die sie vermeintlich oder wirklich bekämpfen.

Dagdelen: Sicherheit im digitalen Raum ist wichtig, insbesondere auch für die sogenannten Kritischen Infrastrukturen und die Daten aller Bürger. Staatstrojaner und das Hacken von IT-Systemen sind hierfür nicht der richtige Weg. Wir müssen den Ausbau invasiver Überwachungsmaßnahmen verhindern.

Immer wieder kommt die Forderung nach Hintertüren für verschlüsselter Messenger auf. Die Dienste wollen mitlesen.

Gysi: Alle Geheimdienste werden immer wieder versuchen, soviel Informationen wie möglich zu bekommen. Irgendwann ersticken sie an ihren Informationen, aber es wird auch immer den Kampf dagegen geben. Endgültig zu gewinnen ist er wohl nicht, aber würde er nicht geführt werden, wären die Zustände noch viel schlimmer.

Dagdelen: Welche Dimensionen die Massenüberwachung im Internet angenommen hat, ist dank Snowden und der Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses breiter bekannt geworden. Das Kanzleramt will nun eine Beschränkung der BND-Überwachung auf maximal 50 Prozent aller bestehenden Telekommunikationsnetze weltweit. Eine solche massenhafte Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern ist zutiefst undemokratisch und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Das Recht auf Privatsphäre wird mit Füßen getreten. Hintertüren für verschlüsselte Messenger wären zudem ein massiver Eingriff in den Datenschutz und würden noch dazu die IT-Sicherheit insgesamt schwächen.

Das BND-Gesetz musste überarbeitet werden. Sind die neuen Kontrolloptionen für Gremien des Bundestags der richtige Weg?

Gysi: Das höchste Gremium in der Bundesrepublik ist der Bundestag, nicht die Regierung und schon gar nicht deren Geheimdienste. Also bedarf es – auch zur Kontrolle der Einhaltung der Gesetze – einer noch umfassenderen Kontrolle durch den Bundestag.

Dagdelen: Die Bundesregierung versucht eine effektive Kontrolle des BND noch stärker als bisher zu beschneiden, indem sie die Befugnisse des Kontrollgremiums weiter beschränken will. Dass der Kontrollrat alles einsehen darf, bis auf IT-Systeme, die der BND mit ausländischen Geheimdiensten gemeinsam betreibt, ist ein schlechter Witz. Es muss verhindert werden, dass der BND weiter international Daten zuliefert, die er aus der grundrechtsverletzenden massenhaften Überwachung gewinnt. Die Zusammenarbeit von NSA und BND beim Angriff auf Grundrechte muss unterbunden werden. Es stellt sich auch generell die Frage nach der Existenzberechtigung eines Geheimdienstes, der die Bürgerinnen und Bürger nicht schützt, sondern massenweise und anlasslos überwacht.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.