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Ein Hauch von Hollywood
Ein Spaziergang durch Babelsberg vorbei an Studios und Villen einstiger Stars.
Flammen lodern, Schüsse knallen, ein Mann stürzt in die Tiefe - und im Finale explodiert ein Hubschrauber: Die Stuntshow in einem künstlichen Vulkan ist zu normalen Zeiten das Highlight im Filmpark Babelsberg. Während des Lockdowns kann man sie zumindest im Internet ansehen. Doch auch ohne Besuch im Filmpark entdeckt man bei einem Spaziergang viele Spuren aus mehr als 100 Jahren Filmgeschichte.
In den Studios selbst ist Geheimhaltung angesagt: Nur Eingeweihte wissen, welche Dreharbeiten gerade laufen und welche Hollywoodstars in der Stadt sind. Die Liste der Hollywood-Größen, die hier in den letzten Jahren gedreht haben, ist lang: Quentin Tarantino und Brad Pitt, Cate Blanchett und Wes Anderson, Roman Polanski und Tom Hanks. Erst vor wenigen Monaten war Keanu Reeves für Dreharbeiten zu »Matrix 4« zu Gast.
Sebastian Stielke gehört zu den Potsdamern, die direkt mit den Promis zu tun haben. Der 40-Jährige stand hier für die fünfte Staffel der Serie »Homeland« vor der Kamera. »Das war nur eine winzige Rolle als UN-Sergeant«, sagt der Schauspieler. »Aber es ist ein Glücksfall, als deutscher Mime dabei zu sein. Man weiß nie, was sich daraus ergibt.« Die Zusammenarbeit mit Kollegen wie Claire Danes genoss er: »Da gibt es keine Star-Allüren.«
Nach Engagements in seiner Heimat Bochum entschied sich Stielke für Potsdam, wo er nicht nur auf der Bühne und vor der Kamera steht, sondern sich auch für den Filmstandort engagiert: Er arbeitet im Filmmuseum und bereitete die Bewerbung Potsdams als »Creative City of Film« der UNESCO mit vor. Mit Erfolg: Seit Ende 2019 trägt die Stadt diesen Titel - als erste und einzige in Deutschland.
Als Kenner der Szene führt Stielke auch manchmal zu Film-Locations, angefangen bei der Wiege der Studios auf dem heutigen Gelände des RBB: 1912 entstand im Glasanbau dieser einstigen Kunstblumenfabrik mit »Der Totentanz« der erste Film in Babelsberg. Danach ging es rasant weiter: 1924 drehte Hitchcock hier seinen ersten Streifen, im gleichen Jahr wurde die »Entfesselte Kamera« erfunden, der Vorläufer der heutigen Steady-Cam.
1926 produzierte Fritz Lang »Metropolis« - der Klassiker zählt heute zum immateriellen Weltkulturerbe. »Beim Tonfilm dagegen war Hollywood etwas schneller«, sagt Stielke. Unbefugte haben in den Studios keinen Zutritt - immerhin kann man durch das Tor einen Blick auf die Produktionshallen werfen, darunter das sogenannte Tonkreuz, bei seiner Entstehung 1929 das modernste Studio der Welt.
Bis zur Corona-Krise standen die Studios besser da als je zuvor: Zuletzt wurde an mehr als 5000 Drehtagen im Jahr an Kino-, Fernseh- und Werbeproduktionen gearbeitet. In punkto Innovation war Babelsberg immer führend, erst kürzlich wurde ein »volumetrisches Studio« mit 32 Kameras eingeweiht, in dem Schauspieler dreidimensional gescannt werden, um sie in virtuelle Welten zu versetzen.
»In Potsdam kannst du dich ein Leben lang mit dem Thema Film beschäftigen«, sagt Stielke. Angefangen beim Filmkindergarten über die Filmgrundschule, die gerade in Planung ist, und das Filmgymnasium bis zur Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf in einem modernen Bau aus Glas und Beton in der Marlene-Dietrich-Allee 11. »Hier habe ich vier Jahre meines Lebens verbracht«, sagt der Mime. »Morgens um acht mussten wir schon im Ballettsaal stehen für Yoga oder Stangen-Exercise. Wer zu spät kam, wurde zu Liegestützen verdonnert.«
1954 gegründet, bildet die Uni unter anderem Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Bühnenbildner und Filmmusikkomponisten aus. Im Studiengang Schauspiel nimmt die Uni nur zehn Studenten pro Jahr auf. »Es war schon eine coole Ausbildung«, sagt Stielke. Zu den Fächern zählen Akrobatik, Fechten, Synchronsprechen und Barocktanz - mit ausgefallenen Lektionen vom Handstand-Überschlag bis zum Sprechtraining kopfüber vom Balkon hängend.
Weil die Filmstudios inzwischen mehr Platz benötigen, entstanden in den letzten Jahren auf einem einstigen Industriegelände zwischen Ahorn- und Grünstraße neue Produktionshallen und die größte Außenkulisse Europas: vier Straßenzüge, die sich je nach Thema in New York, London oder Paris verwandeln lassen. Hier entstanden unter anderem Aufnahmen zur Erfolgsserie »Babylon Berlin«.
Die Studios sind zwar abgeschirmt, doch immer wieder gelingt ein Blick über eine Mauer oder durch eine Lücke im Zaun, zum Beispiel auf ein Mittelalterdorf, in dem Filme wie »Das kalte Herz« oder »Die drei Musketiere« entstanden. Durch ein offenstehendes Tor sieht man auf verbrannte Betonpfeiler, scheinbar Gebäudeüberreste nach einer Explosion für die Serie »Dark«.
Doch auch Potsdam selbst wurde schon immer als Drehort genutzt: Manfred Krug stand am Neuen Markt für »Husaren in Berlin« vor der Kamera, Stanley Kubrick drehte im Park Sanssouci. Tom Cruise nutzte die Löwenvilla am Winzerberg für Einstellungen zu »Operation Walküre«, für »Bridge of Spies« mit Tom Hanks wurde die Glienicker Brücke gesperrt und das Holländische Viertel verwandelte sich für Claire Danes in Amsterdam.
Aufgrund der Nähe zu ihrem Arbeitsplatz residierten viele Schauspieler, Drehbuchautoren und Regisseure der 1920er- und 30er-Jahre in Villen am nahe gelegenen Griebnitzsee. Zum Beispiel Star-Tenor und Schauspieler Richard Tauber (Rosa-Luxemburg-Str. 24). Der Publikumsliebling und »König des Belcanto« wurde 1933 von SA-Männern angegriffen, 1938 emigrierte er nach Großbritannien. Sein Schicksal teilten viele andere jüdische Künstler, die nach dem Machtwechsel auswanderten, ihre Häuser unter Wert verkaufen mussten - und oft trotzdem keinen Pfennig sahen. Propagandaminister Goebbels hatte die Filmstudios zur Chefsache gemacht, er nahm Einfluss auf Inhalte und Personen. Dabei ging es nicht nur um Politik: Viele Frauen wandten sich an ihn für einen Filmvertrag. Goebbels machte damals als »Bock von Babelsberg« von sich reden.
Brigitte Horney dagegen war unempfänglich für seine Reize. Der Jungstar profitierte zwar auch von der Arisierung Neubabelsbergs, bewahrte sich jedoch die politische Geradlinigkeit: So gewährte Horney ihrem Freund Erich Kästner Asyl, der unter dem Dach ihres Anwesens am Johann-Strauß-Platz 11 das Drehbuch zu »Münchhausen« schrieb: unter dem Pseudonym Berthold Bürger und mit heimlicher Erlaubnis Goebbels, denn der Schriftsteller war eigentlich mit Berufsverbot belegt.
Gänzlich ungeniert verbandelte sich dagegen Marika Rökk mit den Nationalsozialisten. Die ausgebildete Tänzerin war 1934 ein willkommener Ersatz für die nach Hollywood ausgewanderte Marlene Dietrich. »Wenn ich Sie, mein Führer, für ein paar Augenblicke erheitern und von Ihrer verantwortungsvollen Arbeit ein wenig ablenken konnte, so bin ich darüber unendlich stolz und glücklich«, schrieb sie damals an Hitler.
Nach der Wende entbrannte ein Rechtsstreit um ihr kleines Haus in der Domstr. 28. Dieses hatte sie für einen Schnäppchenpreis überschrieben bekommen, nachdem der Vorbesitzer, UfA-Filmproduzent Alfred Zeisler, überstürzt vor den Nazis fliehen musste. Gleich um die Ecke in der Robert-Koch-Str. 8 wohnte bis zu seinem Tod 1997 Heiner Carow, dessen »Legende von Paul und Paula« zu den besten Streifen aus DEFA-Zeiten zählt.
Sebastian Stielke hat noch keine Villa am Griebnitzsee - dafür gab er letztes Jahr seinen Einstand in der zweiten Staffel von SOKO Potsdam. »Das war überfällig für mich als Potsdamer Schauspieler«, sagt er. Wenn einmal kein Dreh oder Theater-Engagement ansteht, spricht er Hörbücher ein oder arbeitet an seinem ersten Buch. Im Mittelpunkt steht natürlich das älteste Großatelier-Filmstudio der Welt: Babelsberg.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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