Wie man sich größer schrumpft

Im Kampf um Rendite folgen Konzerne einem neuen Trend: Sie spalten sich auf

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 5 Min.

China hat einen Plan« - davon ist Josef »Joe« Kaeser, überzeugt. Der Noch-Vorstandschef der Siemens AG erinnert an das Auftauchen von Huawei vor anderthalb Jahrzehnten. Damals sei die Deutsche Telekom begeistert gewesen über den jungen, frischen Anbieter aus China und habe ihn mit dem Aufbau des G3-Handy-Netzes beauftragt. Heute spielten europäische Konkurrenten wie Alcatel oder Nokia keine große Rolle mehr. Und »alle«, so Kaeser, wunderten sich nun über die starke Marktstellung des umstrittenen China-Multis. Um ein weiteres Aussterben europäischer Industrie-Ikonen zu verhindern, müsse Europa sein Wettbewerbsrecht erneuern und »europäische Champions« zulassen. Nur mit eigenen Riesen-Konzernen könne Europa auf Augenhöhe mit den Giganten aus den USA und China bestehen, so Kaeser, der daher in einer Mega-Fusion von Siemens und der französischen Alstom »die einzige richtige Antwort« sieht. Diese Fusion scheiterte bislang allerdings am Veto der EU-Kommission.

Im Kampf um Marktanteile und Rendite setzen Unternehmen aber nicht nur auf schiere Größe. Inzwischen bricht sich auch der gegenteilige Trend die Bahn: Die Konzerne spalten Teile ab und schrumpfen. So auch Siemens, das auf jedem seiner Märkte zu den Top-Drei gehören will. Zu diesem Zweck wird der Konzern seit Jahren umgebaut. Der gewinnschwache Mischkonzern wurde aufgeteilt in drei unternehmerisch selbständige »Divisionen« (Kraftwerke, Infrastruktur, Industrie 4.0) sowie drei »strategische Gesellschaften« (Medizintechnik, Erneuerbare Energien, Bahn). Einige Konzernteile und Beteiligungen wurden verkauft. In diesem Herbst kappte Deutschlands Industrie-Ikone sogar ihre Wurzeln und verkaufte die traditionsreiche Energiesparte und brachte sie an die Börse.

Wie Siemens agieren auch andere Konzerne. Zum Beispiel der US-Gigant General Electric oder die Schweizer ABB, die sich von drei Sparten mit insgesamt 1,75 Milliarden Dollar Umsatz trennen will. Grund: Die Rendite soll steigen. In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres erzielt ABB eine Gewinnspanne von 10,9 Prozent und will bis 2023 auf 13 bis 16 Prozent kommen. »Ich werde nicht zufrieden sein, bevor wir nicht 15 Prozent erreicht haben«, kündigte ABB-Chef Björn Rosengren an.

Firmenschefs als Investoren

Bei der Aufspaltung nehmen die Manager die Perspektive von Investoren ein: Sie betrachten ihren Konzern als »Portfolio«, also als Ansammlung mehr oder weniger profitabler Betriebsteile. Dieses Portfolio optimieren sie zum Wohle der Rendite. »Das Portfoliomanagement wird künftig eine noch größere Rolle spielen«, sagte ABB-Chef Rosengren. Dabei werde er nicht davor zurückscheuen, Teilbereiche zu sanieren, zu veräußern oder auszubauen. Für die Geschäfte Turbolader, Stromwandler sowie Mechanical Power sucht er neue Besitzer.

Siemens hat laut Kaeser durch die Abspaltung der Energiesparte bereits erfolgreich sein »Portfolio verschlankt«. Die übrig bleibenden digitalen Kerngeschäfte hätten eine doppelt so hohe Umsatzrenditen wie die Energietechnik. Windparks, Gaskraftwerke und Stromübertragung sollen zukünftig daher nur noch eine Kapitalanlage für die Münchner sein, geschäftlichen Einfluss wolle Siemens nicht mehr nehmen. Bei entsprechenden Börsenkursen werde man sich dann noch von weiteren Aktien trennen. Die neue Siemens Energy AG ist mit einem Börsenwert von 20 Milliarden Euro die größte Abspaltung einer Unternehmenssparte, die es in Deutschland je gegeben hat.

Die Konzernmutter Siemens habe jetzt ein klares Profil, versicherte kürzlich Roland Busch, der im Februar 2021 Kaeser als Siemens-Chef nachfolgen wird. Zum Kern des Konzerns gehören fortan die Bereiche Industrie, Infrastruktur, Transport und Gesundheit. Den Gesundheitsbereich hatte man zwar bereits abgetrennt und an der Börse gelistet, will aber weiter die Mehrheit halten.

Busch sieht sich aber nicht nur als machtvoller Stratege, sondern auch als Getriebener der Märkte. »Würde ich ausschließlich auf den Kapitalmarkt hören«, sagte Busch, »könnte ich die Firma in 20 Teile zerlegen. Dann hätten die Investoren ihren Einsatz maximiert - nur wäre nichts mehr übrig von Siemens.« Das Verräterische in dieser Aussage ist das Wort »ausschließlich«. Denn hören muss Busch auf die Investoren schon.

Institutionelle Anleger wie Beteiligungsgesellschaften, Investmentfonds oder Vermögensverwalter tummeln sich seit Jahrzehnten an den Börsen. Eine einheitliche Linie verfolgen sie allerdings nicht. Mal agieren sie leiser, mal lauter. Mal plädieren sie für einen großen Mischkonzern, weil so die geschäftlichen Risiken besser verteilt werden; mal fordern sie eine Aufspaltung nach der Devise: Die Teile sind mehr wert als das Ganze. Im finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, so Mechthild Schrooten von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, geht es allein um »die Maximierung der Rendite«, also um das Verhältnis von eingesetztem Kapital zum Ertrag. Und dieses Verhältnis kann eben auch durch eine Verkleinerung des Nenners, also durch eine Abspaltung, vergrößert werden.

In dieser Hinsicht werden die Investoren anspruchsvoller gegenüber den Unternehmen. Renditen wie die 10,9 Prozent von ABB nennen die Analysten der US-Investmentbank Jeffries »bestenfalls wenig berauschend«. Zugleich schwimmen die Anleger in Geld, allein die Private-Equity-Branche verfügt derzeit über 1,6 Billionen Dollar an liquiden Mitteln, die sie investieren will. Da die Zinsen extrem niedrig liegen, fließt das in den Unternehmenssektor und an die Aktienmärkte. Gleichzeitig machen die extrem niedrigen Zinssätze Kredite für »feindliche« Unternehmens-Übernahmen günstig.

Einerseits sind die deutschen Konzerne also von aktivistischen Aktionären Getriebene, andererseits treiben sie selber. 2018 kaufte Bayer den amerikanischen Saatgutriesen Monsanto für 63 Milliarden Dollar (rund 50 Milliarden Euro). Auch Siemens kaufte und kauft zu. Der Erwerb des amerikanischen Krebstherapie-Spezialisten Varian durch Siemens Healthineers scheint kurz bevor zu stehen. Mit einem Preis von etwa 15 Milliarden Euro wäre es die größte Übernahme des früher behördenartigen Imperiums.

Am Ende folgen Konzerne wie Siemens in ihrer Portfolio-Strategie beiden Ansätzen der Investoren: Einerseits trimmt das Management sie radikal auf Effizienz - ein Prozess, in dem sich die »ewigen« Konkurrenten ABB und General Electric noch befinden. Anderseits bleibt Siemens ein breit aufgestellter Konzern, der andere Unternehmen übernimmt. In Sachen Wachstum folgen sie der Strategie: zwei Schritte vor, einer zurück.

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