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»Bei Racial Profiling müssen wir handeln«
Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik kündigt groß angelegte Fortbildungsmaßnahmen in ihrer Behörde an
Seit Ende Oktober hat die Berliner Polizei eine Extremismusbeauftragte, im Januar soll der unabhängige Bürger- und Polizeibeauftragte kommen. Haben Sie in Ihrem Haus ein Extremismusproblem, genauer: ein Rechtsextremismusproblem?
Die 54-jährige Juristin steht seit April 2018 an der Spitze von Deutschlands größter städtischer Polizeibehörde. Zuvor war die gebürtige Berlinerin über 16 Jahre im Bundesinnenministerium beschäftigt und dort unter anderem für Personalangelegenheiten zuständig. Über den Personalbestand der Polizei Berlin, Racial Profiling, den Umgang mit Journalisten und die mangelnde Aufklärung des Neukölln-Komplexes sprach mit ihr Rainer Rutz.
Leider haben wir auch Menschen mit rechtsextremistischen Tendenzen in der Polizei. Wir haben das Thema aber auf dem Tisch und gehen klar, entschieden und konsequent dagegen vor. Der Elf-Punkte-Plan zur Bekämpfung extremistischer Tendenzen in der Polizei komplettiert das, was wir bereits tun. Wir leiten daraus Maßnahmen ab, um dieses Thema weiter anzugehen. Was wir definitiv aktuell nicht haben, sind - Stand heute - Erkenntnisse zu Strukturen. Bei der Polizei Berlin gibt es - ebenfalls Stand heute - keinerlei Bezüge zum NSU-2.0-Komplex. Die kolportierten Datenabfragen, das war eine Falschmeldung.
Zuletzt war die Rede von rund 40 Verfahren gegen Polizeibeamte …
Ja, es laufen aktuell etwas mehr als 40 Disziplinarverfahren, knapp die Hälfte davon auf Entlassung beziehungsweise Entfernung aus dem Dienst aufgrund von Sachverhalten, bei denen man sagen muss: Von dem Kollegen müssen wir uns definitiv trennen, der hat mit unserer Polizei Berlin nichts zu tun, so jemanden wollen wir nicht in unseren Reihen haben. Das ist auch für mich wichtig. Denn 99,9 Prozent der Kollegen sind wirklich eher wütend und frustriert darüber, wenn ihre tägliche Arbeit durch einige wenige in den Schmutz gezogen wird.
Nun gut, es wird ja immer wieder gern betont, der Personalbestand der Polizei sei ein »Spiegelbild der Gesellschaft«, und in der gibt es ja bekanntlich dann doch weitaus mehr Rechtsextremisten. Aber noch zum »Spiegelbild«: Wie sieht es eigentlich mit Kollegen mit migrantischen Wurzeln aus? Immerhin haben 35 Prozent der Berliner einen Migrationshintergrund.
In dieser Hinsicht hat sich bei uns in den vergangenen Jahren eine Menge getan. Sie müssen sich nur die Ausbildungsrunden der letzten drei Jahre anschauen: Der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund liegt in den Jahrgängen jeweils zwischen 21 und 37 Prozent, in den letzten drei Jahren im Mittel bei 32 Prozent. Im Personalbestand der Polizei Berlin finden Sie inzwischen 95 Nationalitäten. Sicherlich mit einem gewissen Schwerpunkt auf Kollegen mit türkischen Wurzeln. Aber Sie finden auch Kollegen mit chilenischen Wurzeln, mit irakischen, afghanischen, französischen, aber auch aus 17 afrikanischen Ländern. Das reicht fast um die Welt herum. Wir sind deutlich vielfältiger geworden. Daran haben wir gearbeitet.
Aber die Führungsebene bleibt weiß und deutsch.
Nein. Auch in den Führungsebenen im höheren Dienst arbeiten inzwischen Kollegen mit Migrationshintergrund. Ob hier im Präsidium, in wirklich sehr zentraler Funktion, oder im Landeskriminalamt, ebenfalls in ganz entscheidender Funktion, oder auch in den Abschnittsführungen. Wir sind da sehr aktiv. Aber es braucht eine Weile, bis der Nachwuchs so weit ist, in Führungsfunktionen anzukommen.
Was zieht denn junge Menschen mit migrantischen Wurzeln ausgerechnet zur Polizei?
Ich sage mal so: Ich glaube, dass der Beruf junge Männer ohnehin anspricht.
Aha.
Ja, Polizist zu sein, wird mit vielen positiven Werten verbunden. Und um es mit Blick auf Kollegen mit migrantischen Wurzeln konkret zu machen: Ich habe selbst mit vielen Polizisten gesprochen, die mir geschildert haben, wie stolz es ihre Eltern gemacht hat, dass ihr Kind als Polizist jetzt sozusagen in Gänze inkludiert ist. Wir machen eben wirklich sehr viel, auch an Kampagnen, die deutlich machen: Wir sind vielfältig, wir sind bunt, wir sind männlich, weiblich, mit schwarzer Hautfarbe, mit dunkler Hautfarbe, mit heller Hautfarbe. Unsere Kampagnenarbeit verfängt. Mit einer Einschränkung: Bei Frauen mit Migrationshintergrund müssen wir noch besser werden.
Lassen Sie uns in gewisser Weise bei dem Thema bleiben. Nur anders. Beratungsstellen für Schwarze Menschen beklagen seit Jahren die Praxis des Racial Profiling, also Kontrollen aufgrund der Hautfarbe. Wie bewerten Sie das Problem? Ihr Vorgänger Klaus Kandt hatte ja noch behauptet: Racial Profiling gibt es bei der Berliner Polizei nicht.
Selbstverständlich kann ich nicht ausschließen, dass einzelne Kollegen Menschen nur aufgrund äußerer Merkmale ansprechen und kontrollieren. Ich glaube aber, dass wir in der Polizei Berlin wirklich schon sehr weit sind bei der Sensibilisierung für das Thema. Wir stellen uns dem Thema. Aber sollte ein Kollege so handeln, dann widerspricht das dem, wofür die Polizei Berlin steht, dann müssen wir wiederum handeln. Wir sind aber auch schon im Vorfeld gefragt und müssen präventiv betrachten: Was kann dazu führen; was können wir verbessern, dass so etwas eben nicht passiert? Wir müssen uns auch Gedanken über die Prägung durch das Umfeld, die Einflüsse machen: Was passiert, wenn jemand zu lange einer bestimmten Belastung ausgesetzt ist und dann vielleicht das Erlernte in den Hintergrund drängt - nämlich: dass Hautfarbe kein Merkmal für bestimmte Handlungsweisen, sondern dass das Verhalten entscheidend ist.
Was heißt das konkret: Wir stellen uns dem Thema?
Es wird eine Fortbildung für alle Führungskräfte geben. Denn es ist eine Kernaufgabe der Führungskraft, die jeweiligen Kollegen hier im Blick zu behalten und aufmerksam zu werden, wenn sie etwa gewisse Indikatoren oder gar eine gewisse Häufung von Strafanzeigen feststellen. Dienstgruppenleiter, Zugführer, Kommissariatsleiter: Die sind hier gefordert, und die unterstützen wir im Rahmen der gerade aufgesetzten Fortbildung. Das betrifft aber eben auch andere Fragen, etwa: Hat der Kollege eine rechte politische Haltung? Die darf er haben im Rahmen der FDGO, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Aber wo rutscht er in einen Bereich, in dem er nicht mehr auf dem Boden der FDGO steht? Das ist auch für unsere Vorgesetzten keine einfache Frage.
Also Sensibilisierung über Fortbildung?
Ja, neben alledem, was wir bereits tun, ist ein jeweils ganztägiger Workshop vorgesehen. Morgens soll es einen praktischen Input geben: Was ist disziplinarwürdig, was nicht? Was gibt es überhaupt für Fälle? Wo liegen genau die Grenzen? Nachmittags geht es dann weiter mit Verhaltenstraining. Ein Beispiel: Man sitzt in der Dienstgruppe, trinkt einen Kaffee zusammen und es kommt ein rechter oder sexistischer Spruch. Immer wissend, dass wir wenig Personal haben und die Funkwagen fahren müssen, muss der Dienstgruppenleiter also agieren. Aber wie? Was macht er jetzt? Das ist der Plan.
Das heißt, die FDGO-Workshops sind noch Zukunftsmusik?
Nein. Wir hätten gern jetzt im Dezember angefangen. Das ist aufgrund der aktuellen Corona-Lage aber nicht möglich, weil ich für einen Workshop schon 50 Kolleginnen und Kollegen zusammennehmen muss. Ansonsten kommen wir nie durch. Wir hoffen, dass wir Ende Januar anfangen können.
Angesichts wiederkehrender Beschwerden von Medienvertretern über Behinderungen bei ihrer Arbeit während polizeilicher Einsätze gewinnt man den Eindruck, auch an diesem Punkt wäre eine Sensibilisierungsoffensive vonnöten …
In jedem schriftlichen Einsatzbefehl zu größeren Einsätzen wird darauf hingewiesen, dass Medienvertretende in ihrer Arbeit zu unterstützen sind. Auch sonst ist es Gegenstand der Ausbildung und auch immer wieder der Fortbildung. Das ist wirklich ein großes Thema. Es gibt ganz sicher bei 17 000 Vollzugskräften einzelne Kollegen, die sich im Eifer des Gefechts nicht optimal verhalten, vielleicht weil sie wirklich in einem Einsatz gerade an der Belastungsgrenze sind. Aber die Kollegen sind ja gekennzeichnet. In solchen Fällen kann ich die Journalisten nur bitten, sich an die Pressestelle zu wenden. Die klärt das dann auf. Und wenn es dann wirklich etwas ist, wo man sagt, das muss man ahnden, dann ahnden wir das auch.
Unter Feuer steht die Berliner Polizei auch bei einem anderen Thema, dem Neukölln-Komplex. Die mutmaßlichen Haupttäter der rechtsextremen Anschlagsserie sind bekannt. Trotzdem heißt es seitens der Polizei: Sorry, wir können denen nichts nachweisen. Wie kann es sein, dass nach all den Monaten der Ermittlungen nichts herausgekommen ist?
In unserem Rechtsstaat reichen Vermutungen allein nicht aus - und seien sie noch so manifest. Wir brauchen gerichtsfeste Beweise auf der Grundlage der Strafprozessordnung, und die Ermittler haben sich in vielen, vielen Überstunden über die Maßen darum bemüht, solche Beweise zu finden. Es ist nicht gelungen. Darunter leiden die Betroffenen der Anschlagsserie, absolut. Aber auch die Ermittler. Ermittler wollen Erfolge, und das gilt für diese ganz besonders.
Trotzdem: Warum keine Aufklärung?
Zum Teil liegt es an den begangenen Straftaten, die schwer nachzuweisen sind. Eine Brandstiftung können Sie relativ schnell unbeobachtet begehen. Das ist eine Sache von wenigen Sekunden, die Wirkung entfaltet sich erst etwas später, da sind Sie schon längst über alle Berge - und meist ist alles, was Beweisspuren tragen könnte, klassischerweise nach einer Brandstiftung vernichtet. Auch Schmierereien sind schwer nachzuweisen, auch die sind ja schnell gemacht. So ein Hakenkreuz ist extrem schnell gesprüht, es ist ja kein Graffiti, kein anspruchsvolles, komplexes Bild. Das ist problematisch, insbesondere wenn die Täter Spuren vermeiden. Unser Gegenüber ist ja nicht dumm. Leider nicht, sonst ließen sich noch mehr Straftaten aufklären. Sie dürfen nicht vergessen, Täter haben einen Plan für die Tat, den und die wir erst einmal rekonstruieren müssen, in Teilen mit nicht mehr als mikroskopischen Indizien.
Und damit ist der Fall ad acta gelegt?
Nein, wir ermitteln weiter, mit höchster Intensität. Zudem wurde nun ja vom Innensenator eine Expertenkommission mit Externen eingesetzt, die also außerhalb des Landeskriminalamtes und der Polizei stehen, um noch einmal überprüfen zu lassen, ob wir Anhaltspunkte übersehen haben. Ich meine, dass wir wirklich alles getan und jeden Stein umgedreht haben. Wenn die Experten zu dem gleichen Schluss kommen, würde uns das vielleicht glaubhafter machen. Es ist leider so - aber aus der Perspektive Außenstehender auch verständlich -, dass die Betroffenen große Schwierigkeiten haben, uns zu vertrauen.
Sie sind jetzt seit über zweieinhalb Jahren im Amt. Welche Baustellen stehen bei Ihnen für die nächsten zweieinhalb Jahre auf der Agenda?
Die nächsten zweieinhalb Jahre gleich?! Das schwierigste Thema bei der Polizei Berlin betrifft sicherlich die Sanierung unserer Liegenschaften. Wir haben extreme räumliche Engpässe. Das ist manchmal fast absurd, gerade mit Blick auf die Personalgewinnung. Man freut sich, man kann Menschen gewinnen, und man findet auch die richtigen - und dann wird es schwierig, weil die Räume fehlen. Das geht manchen so im öffentlichen Dienst in Berlin, aber die Polizei ist in Sachen Sanierungsbedarf mit insgesamt einer Milliarde Euro beziehungsweise 1000 Euro pro Quadratmeter aktuell Spitzenreiterin. Dass den Schulen in dieser Legislatur bei der Sanierung der Vortritt gegeben wurde, finde ich richtig. Dafür stehen wir als Polizei Berlin gern zurück. Aber ein Sanierungsprogramm in der nächsten Legislaturperiode wäre ein Traum.
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