»Chiles Oligarchie muss isoliert werden«

Vicente Painel, indigener Gouverneurskandidat, über den Verfassungsprozess und die Teilnahme an Wahlen

  • Malte Seiwert
  • Lesedauer: 3 Min.

Im April wählen die Chilenen ihre Regionalgouverneure erstmals direkt; bisher wurden sie von der Zentralregierung ernannt. Sie sind Mapuche und treten in Araucania an, wo viele Mapuche-Indigene leben. Wie wurde Ihre Kandidatur in den indigenen Gemeinden aufgenommen, wenn man bedenkt, dass es in letzter Zeit eine gewisse Ablehnung gegenüber der Teilnahme am parteipolitischen System gegeben hat?

Die Mapuche-Bewegung hat sich immer an politischen Parteien beteiligt. Die Mapuche haben nicht nur teilgenommen, sondern sich damit abgefunden, unterrepräsentiert abgespeist zu werden - im Grunde genommen lediglich mit dem Posten des Indigenen-Sekretärs. Aber es ging uns immer darum, Positionen innerhalb des Staates zu gewinnen.

Zwar gibt es die erwähnte Kritik, aber ich denke, der Pragmatismus gegenüber der Teilnahme ist viel entscheidender: Die Parteien müssen ein Instrument für unseren Kampf sein und nicht umgekehrt, dann ist es legitim.

In diesem Falle bin ich neben meiner aktuellen Kandidatur auch Präsident der Federación Regionalista Verde Social im Wallmapu. Eine Partei, die sich erst vor Kurzem gegründet hat und diverse linke Akteure vereinigt, die sich mit dem Ziel einer Dezentralisierung des Landes zusammengeschlossen haben. Dieser Föderalismus ist auch Teil unseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses als Mapuche.

In welcher Form besteht bei Ihrer Kandidatur eine Koordination mit anderen indigenen Akteuren?

Gleichzeitig mit meiner Kandidatur stellen wir in mehreren wichtigen Städten unserer Region eigene Bürgermeisterkandidat*innen. Außerdem haben wir Verträge mit den Vertreter*innen der Bewegung für die Rückgewinnung von Land getroffen. Unsere Abgeordneten werden nach dem Wahlsieg eine Kommission zur Aufklärung und Wiedergutmachung des historischen Unrechts voranbringen.

Schlussendlich geht es um die Machtübernahme auf lokaler Ebene. Dazu gehört unter anderem eine echte Landverteilungspolitik.

Was meinen Sie mit Landverteilungspolitik?

Wir wollen ein Projekt der Agrarreform umsetzen, um das seit der Kolonisierung unseres Territoriums von Siedler*innen und dem Staat besetzten Land zurückzugeben. Ich meine damit aber nicht die traditionelle Sichtweise einer Agrarreform, in der Landstücke an einzelne Familien verteilt werden. Das passt nicht unbedingt auf die Lebensweise der Mapuche. Aber im Bereich des Technischen, also der Übertragung von Land durch Enteignung sind wir von der Idee der Agrarreform überzeugt.

In letzter Zeit gab es viel Gewalt und Gewaltandrohungen von rechtsextremen Gruppen in der Region. So tauchten an vielen Orten Flugblätter von Patria y Libertad auf, eine Gruppe, die während der sozialistischen Regierung Salvador Allendes Anschläge verübte. Wie würden diese auf ein solches Projekt reagieren?

Nun ja, wenn wir es schaffen eine große Mehrheit hinter einem gemeinsamen Programm zu vereinen, bleibt dem Faschismus nur noch die Gewalt. Wir müssen diese Gruppen an den Rand drängen und politisch isolieren. Dazu wollen wir zu einem Dialog zwischen der Movimiento de Recuperación Territorial - also jenen Mapuche die Ländereien besetzen -, dem Staat und der internationalen Gemeinschaft einladen. Wir sind der Meinung, dass die Präsenz der internationalen Gemeinschaft diese kleinen Gruppen weiter isolieren wird.

Abschließend wollte ich Sie fragen, wie Sie den gegenwärtigen Verfassungsprozess in Chile aus Ihrer Sicht einschätzen: Gibt es Chancen auf Veränderung?

Trotz vieler Kritikpunkte gibt es auch mehrere positive Punkte, wie die Gleichberechtigung der Geschlechter oder die eigens für indigene Völker reservierten Sitze. Ich glaube, diese neue Verfassung wird nicht die letzte sein. Heute geht es darum, das Land zu demokratisieren, die chilenische Oligarchie zu isolieren und längst überfällige Reformen durchzuführen. Wie etwa eine echte Landverteilung, wie sie in Europa im 19. Jahrhundert durchgeführt wurde.

Das ist unser Hauptproblem. Diese kleine Gruppe, welche in Form der Kontrolle des Staates ein Waffenmonopol besitzt und von der Ausbeutung natürlicher Ressourcen lebt.
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.