Heiliger Bimbam: Corona

Augen auf beim Autoquartett: Es lebe der meistgebaute Pkw!

  • Matthias Penzel
  • Lesedauer: 4 Min.

Trotz Tanne und handgeschnitztem Gebäck aus dem Erzgebirge wird die Szenerie einiger Haushalte in den kommenden Tagen anmuten wie der Besuch eines fernostasiatischen Airports. Lauter Gesichtsmasken, die jedwedes Gefühl überdecken. Gute Voraussetzung für ein Spiel Poker. Zugleich begibt es sich aber auch zu dieser Zeit, dass die kurzen Tage gut sind für Besinnung und Reflexion - und die langen Nächte sorgen mit gut Glück für Überraschungen, am besten auch gleich für Spaß mit Spielen.

Statt mit Herz-Dame und Ass zu flirten oder die Zukunft per Tarot zu beschwören, gibt es diesmal ein Kartenspiel aus der guten alten Zeit: Auto-Quartett. Aus der Mode gekommen, fast ausrangiert, da fett oder langweilig: das Spiel wie das Auto. Nur Zahlen zählen, manchmal gewinnt man mit Glück, auf die lange Strecke jedoch nur mit Strategie. Das Spiel so wie Mobilität: sehr dynamisch, überaus erkenntnisfördernd - und in seiner Vielseitigkeit kaum zu übertrumpfen. Wir nehmen eine Variante aus der Zukunft; auch Pkw bewegen sich ja nach vorne. Statt km/h vielleicht CO2, Akku-Reichweite, Stückzahl?

Oh, und was ziehen wir als oberstes Blatt? Heiliger Bimbam: Toyota Corona. Die Japaner, erinnern sich alt gewordene Junggebliebene, fingen plötzlich an, Taschenrechner zu bauen, unsere westliche Welt mit Fotoapparaten zu fluten, dann mit Hifi-Anlagen und Armbanduhren, Motorrädern, Computern. Alles Sachen, so die Fachkundigen in der Kindheit von Millionen, die: wir: erfunden: haben! Ja, und dann noch Autos aus dem »großen Inselreich des fernen Ostens« (»Branchenblatt« von 1967). Schamlos kommerziell sind die vorgegangen, nur eins vor Augen: Erfolg. Große Offensive, nach lachhaften Flops, ab Ende der Sechziger.

Autoquartett-Spieler geraten ins Schleudern, sie waren zwischen 0 und 4 Jahre alt, konnten nur Zahlen lesen, als die Billigprodukte in den Industrienationen Politiker und Produzenten ins Schwitzen brachten. Die setzten im Land des Lächelns einfach Motorradmotoren in winzige Autos - der Japaner sei klein, verstehe nicht unsere Ansprüche, so lauteten die Vorurteile. Und natürlich: dass die in Japan nichts erfinden könnten, so wie »wir«. Doch »der Japaner« - clever ist er ja, dachte man - ließ Fahrzeuge fortan im Ausland montieren. Und umging die Restriktionen und die Vorwürfe des Preisdumpings. Still schnellte Japan auf Position 3 der größten Autohersteller weltweit (hinter USA und BRD, die während des gern beschworenen Wirtschaftswunders, Wunder oh Wunder, meilenweit hinter Ford, GM und Chrysler rangierte). Das Resultat, Jahre später: Fiat, Peugeot et al. schrumpften, Toyota setzte mehr ab als die Premium-Marken westdeutscher Provenienz. Ganz vorne Toyota. Noch 1937 befasste sich der Familienbetrieb mit Webstühlen und Spinnereimaschinen! 30 Jahre später infizierte deren Autopalette nicht nur die direkte Nachbarschaft und andere arme Länder, sie strömten sogar in unsere Breiten.

Dabei haben sie nur kopiert, aber wie! Von den Amis die Radaufhängung (lange zu antiquiert), den Look von Briten oder Italienern grotesk vermixt, irgendwie hybrid aus Detroit-Barock mit Chrom wie Lametta und Linien von Gucci oder Bertone. Von den Deutschen das Ingeniöse. Kühl mit Tunnelblick perfektioniert, jedes Teil, jede Lösung. Motor von Otto, entwickelt von Maybach und Daimler, geborener Däumler aus Bäckerfamilie in Reutlingen, Diesel, Wankel: überall! Und mit System. Und Robotern. Nur das Beste von allem, ständig modifiziert.

So auch die Modelle. Man nennt es Badge-Engineering: dasselbe Auto in dem einen Land als »Corona« verkaufen, woanders als »Corolla« usw. Für Autoquartett-Connaisseure ein Horror. Vom Corolla, nicht Corona, so viele unterschiedliche Varianten über Jahrzehnte hinweg, dass das Modell heute als absoluter Spitzenreiter gilt in der Kategorie »Meistgebauter Pkw«: viele Nullen mehr als der »Käfer« oder der »Ford Model T«. Auch gewieft: Nicht jedes Jahr ein neuer Thunderbird - wie in den USA - sondern alle drei Jahre mit Update - wie »Fairlady« von Datsun. Oder Nissan, hieß auch »Sports 1600«, »Sports 2000« ... und sah aus wie die Granaten, aus denen Emma Peel - mit Charme und ohne Schirm - kletterte. Ein »2000 GT«, das nun wieder ein Toyota, bedrohte wiederum mit unvergesslichen Manövern schon 1967 James Bond. 08/15 gegen 007? Tja, man lebt nur zweimal, und wer nicht in den Rückspiegel blickt, den frisst die Konkurrenz. Bei den vielen Namen und Typen, Alias und Legenden blickt kein Kartenspieler mehr durch. Auch die Oligarchen der weltweit doch überschaubar wenigen Kfz-Giganten vermochten es nicht, die Herausforderung aus Fernost korrekt einzuschätzen. Selbst Pkw mit Allrad, sogar bei »dem seit wenigen Jahren in Mode gekommenen Markt für Freizeit-Geländewagen« (so Automobil-Historiker Erik Eckermann 1981) waren Subaru und Suzuki ganz vorne.

Unterdessen bauten die Leute da unten fleißig »Corolla« und/oder »Corona« mit gleichen Teilen und Fahrwerken, benutzten Motor und Getriebe auch in anderen Modellen. So wie Lego. Ein Traum für die - in Europa schnell errichteten - Ersatzteillager: wenig Teile für viele Modelle. Vom »Corona« gab es Viertürer, Kombi, Fastback-Coupé, Pick-up. Ein schwer geschätzter VW-Chef erfand das Jahrzehnte später als - alternativ: ließ sich feiern mit - »Plattformstrategie«. Beim Quartett zeigt sich, Qualität und Haltbarkeit lassen sich in Zahlen so wenig ausdrücken wie Ignoranz oder Überheblichkeit. Im Spiel der Zukunft würden auch da die Karten manches Überholspurfetischisten - mit oder ohne Diesel und abgeriegelten 250 km/h - ziemlich mau aussehen.

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