Traktoren als Barrikaden

2020 war auch das Jahr der Bauernproteste

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 4 Min.

Inzwischen sind sie Tradition: Im Januar zur Grünen Woche gehen Landwirt*innen gemeinsam mit Verbraucherschutzverbänden, Umweltgruppen und Entwicklungsorganisationen unter dem Motto »Wir haben es satt« auf die Straße. Ihr Ziel ist eine Agrarwende, also eine grundsätzlich andere Ausrichtung der Europäischen Agrarpolitik. In diesem Januar kamen weitere Bäuer*innenproteste hinzu. Das Netzwerk »Land schafft Verbindung« (LsV) hatte bereits seit Herbst 2019 zu Straßenprotesten aufgerufen. Spätestens seitdem ist für alle sichtbar: Die Landschaft der Bauernverbände in Deutschland ist divers, ihre Ziele unterschiedlich.

Entstanden ist das Netzwerk »Land schafft Verbindung« aus Landwirt*innen, die sich von der seit Jahrzehnten stärksten Branchenvereinigung, dem Deutschen Bauernverband (DBV), nicht mehr vertreten fühlen. Zwar gab es auch früher Abspaltungen, so massiv jedoch stand der eng mit dem Agrarministerium verbandelte Verband zuvor nicht in der Kritik. Kern der Auseinandersetzung waren die EU-Düngerichtlinie, mit der zu hohe Nitratwerte im Grundwasser abgesenkt werden sollen, und ein Insektenschutzprogramm gegen das Artensterben. Seit 1999 hatte der DBV in enger Abstimmung mit dem Agrarministerium die Umsetzung der Düngeverordnung ausgesessen. Auf die Straße gehen musste der Bauernverband dafür nicht. Doch damit war angesichts der drohenden Strafzahlungen aus Brüssel Ende 2019 Schluss. Bundesagrarministerin Julia Klöckner musste handeln. Die CDU-Politikerin signalisierte der EU-Kommission die Umsetzung der Richtlinie. Damit zog sie den Zorn der Landwirt*innen auf sich. Auch der DBV verlor an Unterstützung in der Bäuer*innenschaft.

Traktoren legten im Frühjahr immer wieder den Verkehr in Berlin und weiteren Städten lahm. Sonst von der Öffentlichkeit unbemerkt stattfindende Konferenzen der Länderagrarminister*innen sahen sich mit Protesten konfrontiert. In der neuen Bewegung waren rechte Bäuer*innen und Parteien mit von der Partie. So tauchte in Hannover das Symbol der antisemitischen Landvolkbewegung auf, in Nürnberg versprachen Plakate mit Eisernem Kreuz und Adler »Die Wahrheit siegt«, in Berlin verteilten AfD-Politiker Visitenkarten. Nicht nur Klöckner warnte vor einer Radikalisierung.

Die neue Bewegung tat sich zunächst schwer mit Distanzierungen, anders als die jährliche »Wir-haben-es-satt«-Demonstration, die in ihren Anfängen vor zehn Jahren ähnlichen Versuchen der Vereinnahmung öffentlich entgegentrat. Zwar distanziert sich »Land schafft Verbindung« immer mal wieder von rechtsextremen Positionen, gebannt ist die Gefahr einer rechten und nationalistischen Ausrichtung jedoch nicht.

Coronabedingt mussten im Jahresverlauf auch die verschiedenen Bäuer*innenproteste auf massenhafte Straßenpräsenz verzichten. Gemeinsame Positionen gibt es weiterhin kaum, besonders in der grundsätzlichen Ausrichtung unterscheiden sich die Bündnisse. Das gilt auch für die Positionen zur Gemeinsamen Agrarpolitik der EU, dabei werden genau hier die Grundlagen für die zukünftige Landwirtschaft gelegt. Unter den Bäuerinnen und Bauern jedoch sind Fragen nach Exportorientierung, Wachstumszwang und geänderten Prinzipien für Subventionen umstritten. So verwundert es auch nicht, dass ein im September einberufener Runder Tisch Landwirtschaft unter Federführung des Agrarministeriums kaum Ergebnisse brachte.

Ein weiteres Bündnis aus Landwirt*innen hat im Herbst dieses Jahres den Fokus auf Milch- und Fleischerzeuger*innen gelegt. Wieder Traktoren auf der Straße, diesmal jedoch richtete sich der Protest direkt gegen den Lebensmitteleinzelhandel. Im Bündnis »Milchdialog« haben sich verschiedene Bäuer*innenorganisationen auf das Ziel geeinigt: Die Preise müssen hoch, denn es bleibt zu wenig bei den Erzeuger*innen hängen, während die Gewinne im Handel steigen. Der Lebensmitteleinzelhandel soll zudem Kontrakte mit den Verarbeiter*innen »umgehend aufmachen« und so höhere Preise möglich machen. Wohl aus Angst um das Weihnachtsgeschäft signalisierten Handelskonzerne wie Rewe, Lidl und Co. schnell Gesprächsbereitschaft und erhöhten die Preise. »Ein Tropfen auf den heißen Stein«, der nur einzelnen Landwirt*innen helfe, kritisiert Ottmar Ilchmann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft gegenüber »nd«. Grundsätzlich sei nichts geklärt, deswegen werden die Proteste auch im neuen Jahr weitergehen.

Auch Hans Foldenauer sieht bisherige Forderungen nicht erfüllt. Der langjährige Sprecher des Bundes Deutscher Milchviehhalter betont, der Lebensmitteleinzelhandel nehme nur rund 30 Prozent der Milch ab, deswegen sei die zweite Forderung an das verarbeitende Gewerbe umso wichtiger. Medienberichte, nach denen es über das Netzwerk »Land schafft Verbindung« Einigungen mit dem Handel gegeben habe, seien irritierend, weil nicht vom Bündnis Milchdialog ausgehandelt. Dessen Proteste sollen im kommenden Jahr wieder aufgenommen werden. Den Anfang macht wie in den vergangenen Jahren das Agrarbündnis »Wir haben es satt«, wenngleich die Proteste auch 2021 coronabedingt anders aussehen werden.

Weitergehen werden wohl auch alle anderen Agrarproteste. Dabei kann »Land schafft Verbindung« durchaus Erfolge verbuchen: Das Insektenschutzprogramm ist verschoben und die Düngeverordnung wurde, so langsam wie es geht, umgesetzt, indem die Ausweisung der besonders nitratbelasteten Gebiete den Ländern überlassen wurde. Zudem gelten die neuen, strengeren Regeln erst ab Januar. Für die einen sind das notwendige Angleichungen, andere sprechen von Verzögerungstaktik.

Die Anzahl der Proteste zeige aber auch, »wie angespannt die Situation auf den Höfen ist«, sagt Foldenauer. Weniger Zersplitterung sei zwar wünschenswert, aber leider fehle an der ein oder anderen Stelle der »Weitblick« - etwa bei der grundsätzlichen Ausrichtung der EU-Agrarpolitik, die sich nach Jahrzehnten endlich ändern müsse.

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