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Leben an der Grenze
Eine Studie belegt mikrobielles Leben bei Temperaturen bis zu 120 Grad Celsius, 1200 Meter unter dem Meeresboden und liefert Indizien für noch ungelöste Fragen.
Leben kann sich an die widrigsten Bedingungen erstaunlich gut anpassen. So finden sich im Toten Meer trotz des hohen Salzgehalts Bakterien oder in unmittelbarer Umgebung von Hydrothermalquellen hochspezialisierte Mikroben, Muscheln und Krebstiere. Seit gut 25 Jahren weiß man, dass Mikroorganismen trotz zunehmendem Druck und steigender Temperatur auch den Ozeanboden bis zu mehreren Kilometern Tiefe besiedeln. Eine kürzlich im Wissenschaftsjournal »Science« publizierte internationale Studie lotet die Grenzen für das Leben dort aus.
Die tiefe Biosphäre ist noch weitgehend unerforscht, denn die Erkundung der Tiefsee ist aufwendig und teuer. »Nur wenige wissenschaftliche Bohrungen haben bisher Tiefen erreicht, in denen die Sedimente heißer sind als 30 Grad Celsius«, erklärt Studienleiter Kai-Uwe Hinrichs von Marum, Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen. So betraten er und sein Team wissenschaftliches Neuland, als sie im Rahmen des International Ocean Discovery Programs (IODP) 2016 das bis zu 120 Grad heiße Sediment im Nankai-Graben vor der Ostküste Japans erkundeten.
Den in 4800 Metern Wassertiefe gelegenen Bohrort wählten die Forscher*innen aufgrund seiner geologischen Besonderheiten. Denn schon knapp 1200 Meter unter dem Meeresboden herrschen Temperaturen von 120 Grad Celsius. In der Regel ist das erst in 4000 Metern Tiefe der Fall. Grund dafür ist, dass der Nankai-Graben in einer Subduktionszone liegt. Die Philippinische Platte schiebt sich dort unter die Eurasische und hebt dabei Japan an.
Dabei entstehen Gebirge und ein Relief, begleitet von starken Erosionsprozessen. »Die enorme Sedimentfracht, die in den letzten 400 000 Jahren ins Meer eingetragen wurde, hat am Meeresgrund eine 600 Meter mächtige Schicht gebildet«, erklärt Verena Heuer, Co-Expeditionsleiterin und Geochemikerin am Marum. Sie überdeckt ähnlich dicke Schichten von Sedimenten, die sich zuvor über 15 Millionen Jahre auf der ozeanischen Kruste abgelagert hatten. Diese Ablagerungen vermindern den Kühlungseffekt des Meerwassers auf die Erdkruste.
Bei Temperaturen von bis zu 45 Grad Celsius fanden die Wissenschaftler*innen in den Proben große Populationsdichten von Mikroorganismen. Erst bei höheren Temperaturen brachen diese ein, während die Konzentration von Endosporen rapide anstieg und bei 85 Grad Celsius ihr Maximum erreichte. Endosporen werden im Inneren von Bakterien produziert, wenn die Lebensbedingungen zu schwierig sind. Sie sind sehr hitzebeständig und vollziehen keinen Stoffwechsel. So können Bakterien sehr lange Zeiträume überdauern, bis sie unter günstigeren Bedingungen wieder in die aktive Phase treten.
Die besten Hinweise auf die Aktivität von Bakterien und Archaeen - die neben Bakterien und Eukaryonten die dritte Domäne zellulärer Lebewesen darstellen - lieferten Isotopenanalysen des in den Poren des Sediments eingeschlossenen Wassers und der darin gelösten Gase und Stoffwechselprodukte. »Sie demonstrieren, dass bis 730 Metern Tiefe bei bis zu 85 Grad Celsius durch biologische Prozesse Methan gebildet wird«, erklärt Heuer. Die Substrate hierfür sind Wasserstoff und Kohlendioxid (CO2) sowie Acetate, die Salze der Essigsäure. »Interessanterweise zeigt unsere Studie, dass die Acetatkonzentration ab 60 Grad Celsius steil ansteigt, während gleichzeitig die von Methan sinkt.« Das deute auf eine Entkoppelung von Acetatproduktion und -verbrauch hin. Heuer erklärt das gesteigerte Acetatangebot damit, dass diese bei diesen Temperaturen auch durch thermische Prozesse gebildet werden. Gleichzeitig zeige der niedrigere Methangehalt, dass weniger Acetat verstoffwechselt werde als bei Temperaturen unter 60 Grad.
Gewöhnlich verwerten die Mikroorganismen die Kohlenstoffverbindung bis auf einen minimalen Rest. Doch am Ort der Probenentnahme wird zwischen 829 und 1021 Metern Bodentiefe möglicherweise gar kein Acetat mehr konsumiert. »In dieser Zone konnten wir weder vegetative Zellen noch Endosporen nachweisen«, berichtet die Erstautorin der Studie. Dagegen weisen Isotopenmessungen darauf hin, dass Mikroorganismen in den darunterliegenden, über 100 Grad heißen Sedimenten das Substrat nutzen. Diese Nähe von Grenzen und Überlebenschancen am Rand der scheinbar leblosen Zone überraschte die Forscherin. Möglicherweise werde das Leben in den heißesten Sedimenten erst durch den Aufbau eines ausreichend großen Acetatvorrats in der darüber liegenden Schicht möglich.
Die fehlenden Funde von Mikroorganismen dort erklärt Heuer mit den komplexen Prozessen in der Subduktionszone. »Die Zone weist aktuell einen leichten Überdruck auf, und Mineralneubildungen deuten darauf hin, dass es immer wieder kurze Episoden - in der Größenordnung von Stunden oder Tagen - gegeben hat, in denen entlang von schmalen Adern hydrothermale Fluide mit Temperaturen von 145 bis zu 220 Grad Celsius eingedrungen sind, möglicherweise in der Folge von Erdbeben«, sagt sie. Diese zwischenzeitlich hohen Temperaturen hatten anscheinend die Organismen getötet.
Noch keine abschließende Antwort haben die Forscher*innen auf die Frage, wie die gefundenen Mikroorganismen Temperaturen bis zu 120 Grad Celsius aushalten. »Bei den hohen Temperaturen gehen Biomoleküle sehr schnell kaputt. Sie müssen ständig repariert werden«, so Heuer. Dies koste viel Energie, wie sie etwa Hydrothermalquellen lieferten. Möglicherweise erfülle die acetatreiche Zone an diesem Standort eine ähnliche Funktion. Wie es unter anderen geologischen Bedingungen aussieht, muss noch geprüft werden.
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