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Liebe in Zeiten von Corona
Geschichten über Liebe, Lust und Leidenschaft in der Pandemie
Die einen freuen sich für die Nachbarn, dass sie jetzt, unter Corona, so häufig Sex haben. Die anderen versuchen, sich wegen einer Vorerkrankung so gut wie möglich zu isolieren. Sie verstehen, dass das Kind wütend ist, weil es immer nur zu Hause ist. Die nächsten drücken ihre Liebe in Fürsorge aus. Und ein Single versucht sich an einer coronakonformen Kontaktanzeige. Wir haben Geschichten gesammelt über Liebe, Lust und Leidenschaft in der Pandemie – und von deren Abwesenheit. Manche Geschichten sind wahr, manche nur ein bisschen.
Frau Punktpunktpunkt
Ich wohne in einem klassischen Berliner Altbau mit Nachbarn, die erträglich bis sehr nett sind. Vor einer Woche hing in unserem Hausflur an gut sichtbarer Stelle ein ausgedruckter Zettel. »Liebe Frau ..., Gratulation zu Ihrem intakten Sexleben. Aber bitte dämpfen Sie in Zukunft Ihre Lustschreie und schließen Sie Ihr Fenster. Ihre Nachbarn werden es Ihnen danken!«
Sofort hegte ich einen Verdacht, wer sich da anonym beklagte, nämlich eine nur mit viel Toleranz noch knapp erträgliche Mieterin. Und ich wusste auch, wer Frau Punktpunktpunkt sein musste. Während ich in meine Wohnung stieg, dachte ich wegen des Wortes »Lustschreie« kurz »Hihi«. Oben angekommen war meine Freude über den altmodischen Begriff verflogen, den leeren Platz übernahm Empörung. Ich empörte mich über die mangelnde Diskretion der Schreiberin, warum ist sie nicht einfach zur ... hoch und hat mit ihr gesprochen? Und warum erlaubt sie sich, im Namen der Nachbarn zu sprechen? Natürlich hatte ich auch gehört, dass da nächtens was im Gange war. Aber ich hörte nur laute Seufzer; Seufzer, die durch die Nacht wehten und bei denen ich dachte: »Schön, wenigstens denen geht’s grade mal gut.«
Jetzt seufzte auch ich, denn ich würde nochmal runter und den Zettel abreißen müssen, da führte kein Weg dran vorbei. Also los. Doch andere waren schneller. Und schlauer. Neben der Schmähung stand nun: »Man soll bei Besuch wegen Corona alle 20 Minuten lüften und genau das hat Frau ... getan. Danke dafür im Namen der netten Nachbarn!« Als abends der Mann nach Hause kam, hatte er den Zettel fotografiert. Mittlerweile war einiges dazugekommen. Unter dem Gegenkommentar las ich: »Seh ich genauso!« und »Ebenfalls«. Ein anderer Nachbar kritzelte ein »Hach, ich war so neidisch, als ich euch gehört hatte.« Darunter: »Und ich erst!!!« Neben einem traurigen Smiley außerdem: »Ich hab seit Monaten keinen Sex mehr wegen der Kontaktbeschränkungen.« Das waren sicher Offenbarungen der schwulen Dreier-WG unter uns, die sich sehr streng an die Corona-Auflagen halten und nur ihre Mütter treffen.
Am nächsten Tag hing neben dem Ursprungszettel ein neues Blatt. In mehr gemalter als geschriebener Schrift erklärte eine mittelalte Frau aus dem Seitenflügel unter der Überschrift »Liebe heilt alles!«, dass es traurig sei, anderen Menschen die Liebe nicht zu gönnen. Und bei der Gelegenheit möchte sie an die vier allein lebenden und hochbetagten Menschen im Haus erinnern. Sie bot an, für sie einkaufen zu gehen, damit sie sich keiner Ansteckungsgefahr aussetzen, entschuldigte sich, nicht schon früher daran gedacht zu haben, und forderte uns auf, es ihr gleichzutun. Alle I-Punkte waren durch rote Herzchen ersetzt. Ich fühlte mich beim Lesen ein bisschen peinlich berührt.
Als ich am Abend zurückkehrte, stand in fetten roten Buchstaben unter der albernen Überschrift »Corona nicht!«, und neben dem Einkaufsangebot in zittriger Greisenschrift »Unterstehen Sie sich!« Das ist mein Haus, dachte ich fröhlich und klingelte bei der alten Frau Cloth. Für die gehe ich nämlich schon seit Februar einkaufen.
Es muss noch gehen
Evina ist schwer vorerkrankt. Sie hat einen Faktormangel, der macht, dass sie nicht einmal zwei Stunden Auto fahren kann, ohne sich vorher Heparin zu spritzen. Ihr Blut klumpt so schnell, selbst zu langes Liegen kann zu einer Thrombose führen. Was Covid-19 in ihrem Körper anrichten würde, niemand mag es sich ausmalen.
Evina hat eine Tochter, zu der gehört ein Vater. Der Vater wurde verlassen, vor sieben Jahren, da war die Tochter sechs Monate alt. Er hat das sehr schlecht verwunden. Seither tut er, was er kann, um Evina zu schaden – ob aus Hass oder Gleichgültigkeit, das wechselt, boshaft ist es immer. Sie sagt ihm, dass von seinem Verhalten abhängt, ob sie überlebt oder nicht: Er lacht. Er winkt ab. Er zuckt die Schultern. Er nennt sie »die Alte«. Er sagt: »Die Alte stellt sich an.« Und dann lacht er, dass die Eckzähne funkeln.
Evina lebt vollständig isoliert. Das Kind ist im Homeschooling seit Anfang März. Der Vater feiert Partys, plant seine Urlaube, trägt keine Maske. Er sieht das Kind immer mittwochs und jedes zweite Wochenende. Weil er mit dem Kind nicht viel anfangen kann, macht er Dates mit anderen Eltern aus: Sie gehen auf Spielplätze, essen zusammen Eis, besuchen sich. Er fährt zu seinen Eltern und gibt das Kind bei den Nachbarn ab. Der Vater erzählt dem Kind davon, dass alle anderen in die Schule gehen und wie schön alle anderen das finden; und dass die Mama sie nicht lässt. Jedes Mal erzählt er ihr das.
Evina sitzt zu Hause und kann nichts tun, nur hoffen. Hoffen, dass sich das Kind per Zufall nicht ansteckt. Sie braucht Glück, und sie braucht Nerven, denn das Kind kommt nach Hause und ist böse auf sie. Sie will auch in die Schule, weil es da so schön sein soll. Alle Kinder spielen zusammen, nur sie darf nicht. Evina wird viel gehauen von dem Kind, viel angeschrien. Sie versteht das. Wenn sie mal einen Tag frei hat, überlegt sie, ob sie für eine Stunde ein Bad nehmen soll oder weinen.
Der Vater sammelt Argumente für eine Sorgerechtsklage, das tut er schon seit Jahren. Er findet, er zahlt zu viel Unterhalt. Er engagiert sich in Männerrechtsvereinen. Dass das Kind nicht zur Schule geht, mache ihm Sorgen, sagt er. Es könne zurückfallen im Stoff. Er selbst hat noch nicht eine Minute Hausaufgaben gemacht mit dem Kind. Glücklicherweise hält er jetzt schon die vereinbarten Zeiten nicht ein, er kommt immer zu spät, eine Stunde oder drei. Manchmal vier. Er sagt nie Bescheid. Er kommt, wann er kommt. Er bringt das Kind auch immer früher als vorgesehen: Immerhin da schreibt er kurz vorher. Evina muss zum Arzt, sie hat viele Beschwerden, aber sie kann keine Termine ausmachen, weil sie nie weiß, wann der Vater kommt. Oder weil das Kind sehr früh wieder zurückkehrt.Trotzdem ist sie froh: Wenn der Vater jetzt schon die Umgangszeiten nicht einhalten kann, heißt das, dass seine Klage keinen Erfolg haben wird. Dass ihr Kind gut versorgt sein wird, solange es bei ihr ist. Sie weint viel die letzten Monate, und dann sagt sie: Es geht noch. Es geht noch. Es muss noch gehen.
Dies ist eine echte Geschichte, nur der Name ist ausgedacht. Evina heißt Liebe. Sie findet den Namen etwas pathetisch, aber sie hat keine Zeit, sich einen anderen Namen auszudenken.
Liebe ist ... ansteckend
Erinnert sich noch jemand an die bis weit in die 90ergrassierende »Liebe ist…«-Pest? Die von der neuseeländischen Cartoonistin Kim Casali Mitte 1960 begonnenen Comicserie zeigte eine stilisierte Frau und einen stilisierter Mann, beide ohne Geschlechtsmerkmale, dafür aber häufig umgeben von vielen roten Herzchen, in diversen Situationen, die allesamt erklären sollten, was das Wesen der Liebe sei: Blümchen pflücken, zum Beispiel, miteinander telefonieren, gemeinsam Geschirr spülen, verträumt nebeneinander auf einer Bank im Grünen zu sitzen, Hand in Hand am Strand spazieren gehen, alles Liebe.
Aus den schwer kitschigen Bildchen, die ursprünglich private Geschenke an Casalis Mann Robert waren, lässt sich kaum etwas über die Liebe lernen und schon gar nicht über die Liebe während einer Pandemie, in der es die meiste Zeit nicht möglich ist, gemeinsam an irgendeinem südlichen Strand in den Sonnenuntergang zu reiten oder einander in Restaurants besonders wohlschmeckende Bissen vom eigenen Teller in den Mund zu stecken und die Blumenläden außerdem geschlossen haben. Andererseits nahm die Liebe von Kim und Robert Casali ein tragisches Ende, nach fünfjähriger Ehe starb er im Alter von 31 Jahren an Krebs, wie eben jede menschliche Beziehung früher oder später mit Trennung oder Tod endet.
Weswegen sich Liebe derzeit hauptsächlich darin äußert, vorsichtig zu sein. Und dafür zu sorgen, dass der andere immer genug ihren Zweck erfüllende Mundschutzmasken hat und natürlich auch fläschchenweise von dem Desinfektionsmittel mit dem angenehmen Geruch und Taxigeld und guck, ich war einkaufen und hab dir Dings mitgebracht, dann brauchst du nicht rausgehen und ja, alles grau und nervend im Moment, aber sowie der ganze Mist vorbei ist, lade ich dich für eine Woche nach Wohinduwillst ein, lass uns doch schon mal Pläne machen und ausmalen, wie schön das wird – Liebe ist, alles dafür zu tun, dass man diese Zeit irgendwie gemeinsam übersteht und dass es tatsächlich eine Chance auf ein Danach gibt.
Was bedauerlicherweise durch diejenigen erschwert wird, die in Innenstädten herumtrampeln und ihre Sicht auf die Corona-Pandemie und -Viren verbreiten. Plus, angeblich, auf Liebe, was sich vorrangig darin äußert, dass auf den Bühnen der so genannten Querdenker häufig gleichermaßen engagierte wie nicht unbedingt tonsichere Menschen vielstrophig Selbstgedichtetes zum Thema vortragen. Darin geht es nicht um gemeinsames Geschirr spülen, sondern darum, alle zu lieben, was natürlich Quatsch ist, denn a) gibt es sehr wohl eine ganze Menge definitiv nicht liebenswerter Menschen und b) kommt »Liebe ist … andere Leute durch offensive Ignoranz mit einem potenziell tödlichen Virus anzustecken« bei Casali nirgendwo vor.
Bezugspersonen-Tetris
Gibt es eigentlich schon erste Statistiken, ob die Zahl der Trennungen im Corona-Jahr deutlich zugenommen hat? Was machen denn all die Paare, die plötzlich mit ihrem Partner und womöglich auch noch ihren Kindern zu Hause klarkommen müssen, ohne in die Kneipe, in den Darkroom oder nach Mallorca entfliehen zu können?
Blöde Frage: sich trennen natürlich. Wie bei Schwager Klaus, Bruder der Geliebten. Nach zwei Lockdowns hat seine Frau es nicht mehr ausgehalten und ihn vor die Tür gesetzt. Leider machen die Umstände es derzeit unmöglich, ihn auf irgendwelchen Ü50-Partys zu entsorgen, und da er nach der neuen coronaverordnungsbedingten Blutsdefinition zu meinem Entsetzen plötzlich als Verwandter in direkter Linie gilt, hatten wir ihn zu den Feiertagen ganz offiziell an der Backe.
Ich insistierte noch verzweifelt auf die Appelle der Wissenschaft, jeden überflüssigen Kontakt zu reduzieren, und Schwager Klaus ist nun wirklich in jeder Beziehung der Prototyp eines überflüssigen Kontakts, aber es hatte alles keinen Sinn. Der deprimierende Befund lautete: Wir haben noch Platz. Unser staatlich zugeteiltes Personenkontingent war noch nicht ausgereizt, und da Klaus halt bei seiner Ex nicht mehr unterkommen konnte, musste er irgendwo anders zwischengelagert werden. Der Rest der Sippschaft aber hatte bereits so geschickt Bezugspersonen-Tetris gespielt und die erlaubten Gruppengrößen ausgereizt, dass klar war: Klaus passte nur noch bei uns. Es ist ein bisschen wie bei diesem Zertifikatehandel für Verschmutzungsrechte.
Das wäre schon in normalen Zeiten eine echte Prüfung, aber Corona macht alles nur noch schlimmer: Denn Klaus denkt selbstständig. Was heißt: Er plappert den Quatsch von wahlweise irgendwelchen Querdenkern, Diether Dehm oder dem Wendler nach. Dass seine Beziehung zu Claudia gescheitert ist, liegt natürlich nicht etwa daran, dass er einfach ein egozentrischer Vollpfosten ist, sondern ist – so meint er – das Resultat eines perfide von Angela Merkel, Bill Gates und der jüdischen Impfindustrie eingefädelten Plans, eigens ersonnen, um kritische Geister wie ihn mundtot zu machen.
Leider ein sehr schlampig ausgeführter Plan. Denn Klaus ist alles andere als mundtot. Er erzählt das alles bei jeder sich bietenden Gelegenheit jedem, der nicht bei drei auf dem Weihnachtsbaum ist. Das ist ja überhaupt das eigentlich Demütigende an diesen Zeiten: dass man als Linker permanent gezwungen ist, allen Ernstes Leute wie Merkel und Altmaier zu verteidigen. Und dass am Ende sogar Jens Spahn noch Recht behält: »Wir werden uns alle noch viel verzeihen müssen.« Ob ich der Geliebten allerdings wirklich werde verzeihen können, dass sie uns über den Jahreswechsel ihren Bruder ins Haus geholt hat, da bin ich noch nicht so sicher.
Mein Vorschlag an die Regierung jedenfalls: Bei der nächsten Pandemie bitte komplette Isolation für alle verordnen! Zur Aufrechterhaltung der Sozialgefüge wäre es zweifellos am besten, wenn für einen Monat die einzige erlaubte Bezugsperson der Bäcker ist.
Aber für dieses Mal muss ich am Ende zähneknirschend sogar Armin Laschet zustimmen: Ja – das war das härteste Weihnachten seit Kriegsende.
Entstanden aus Stumpfsinn
Sie sind schon jetzt sagenumwoben: Die »Lockdown-Babys«, wahlweise auch Corona-Babys, Coronials oder Pandennials, gezeugt ab März diesen Jahres. Mit der Familienplanung eigentlich längst durch, wollte auch ich im Frühjahr plötzlich eines dieser Babys haben. Wann gibt es denn schon mal so vorab gelabelte Kinder? Meine älteren Kinder waren Normalo-Babys aus Nullachtfuffzehn-Jahrgängen, aus der endlos öden Zeit der GroKo, den bleiernen Merkel-Jahren, lediglich von einer Finanzkrise frech durchbrochen. Klar, es gab auch »Wende-Babys« oder »Nachkriegsbabys«, aber das ist lange her.
Um Lockdown-Babys ranken sich schon jetzt die schönsten Mythen. Allein schon ihre Genese! Entstanden aus quälender Langeweile, Lagerkoller und geschlossenen Erotikfachmärkten, wo sollte man da hochwertige Kondome kaufen? Gezeugt zwischen angefangenen 2000-Teile-Puzzles, gehorteten Klopapierpyramiden und zu viel Wein.
Mit meiner Schwangerschaft hat es dann auch ziemlich schnell geklappt.
Ich freue mich schon jetzt, dem Kind eines Tages aus dieser Zeit zu erzählen: »Es war ein düsterer, endlos einsamer Frühling. Die Menschheit war in Angst. Die Kanzlerin hatte zum Daheimbleiben aufgerufen. Deine Geschwister waren mit Homeschooling-Stoff gut eingedeckt, und der Christian-Drosten-Podcast, der Sound dieser Wochen, war mal wieder strunzlangweilig. Kurz, es herrschte endlose Ödnis. Und als deinem Papa und mir gar nichts mehr einfiel …«, und so fort.
Eine Schwangerschaft in Pandemie-Zeiten hat übrigens allerlei Gutes: keine leutseligen Geburtsvorbereitungskurse, keine Babyshower-Partys, und kein einziger Fremder streichelt dir in der S-Bahn ungefragt über den Bauch. Manche sagen, ein Minuspunkt sei, dass der Partner bei der Geburt nicht dabei sein dürfe oder nur unter strengen Auflagen. Aber mal ehrlich: Der Partner trägt bei einer Geburt rein gar nichts bei, außer unbeholfenem Mensplaining (»Ruhig atmen. Und eins, und zwei …«).
Monatelange wurde medial gemunkelt, ein richtiger Baby-Boom könne durch die Pandemie entstehen, was dem Scooter-Smashhit »FCK 2020« noch mal einen neuen Bedeutungsdreh geben würde. Der viel beschworene Baby-Boom scheint jedoch auszubleiben: Der Winter 2020/21 wird laut gynäkologischen Studien in Deutschland nur circa 5 Prozent geburtenstärker als sonst sein. Auch neue Vornamen finden sich in den Hitlisten nicht, obwohl Pandemil oder Viruslana durchaus niedlich klängen.
Bleibt nur noch die Frage, wie die Lockdown-Babys wohl charakterlich drauf sind. Eher ruhige Gesellen, gechillt, krisenerprobt, hypochondrisch oder womöglich komplett soziophob? Sprich, einsame Wölfe, die nie jemandem die Hand geben und sich am liebsten zurückziehen in ihr Kinder- und Jugendzimmer, mit einem schönen 2000-Teile-Puzzle? Hoffen wir jedenfalls, dass sie Wörter wie Covid-19 oder Übersterblichkeit dann nur noch vom Hörensagen kennen.
Zusammen ist man weniger allein
30 Quadratmeter sind alleine auf Dauer doch ziemlich eng. Gerade wenn man nur zu einem Drittel eine Kernfamilie ist. Gerade in Zeiten des »harten Lockdowns«, da die Öffentlichkeit als »Erweiterung des privaten Raums«, wie Kevin Kühnert sagte, für junge Leute, zu denen ich mich, nun ja, auch noch selbst zähle, entfällt. Tinder ist nur noch Werbung für den eigenen Insta-Account und auf Bumble kann man gar die Filter »Social Distancing-Dates« oder »Social Distancing mit Maske« wählen. Und letztere ist noch nicht einmal eine Fetisch-App. Glücklich ist, wer solcherlei nicht kennen muss, wie der suchende Single von heute zwangsläufig. Dann doch lieber ein Gesuch auf klassischem Wege. Also: In medias res!
Zu mir
Meine Hobbys sind derzeit, den Umständen entsprechend: Allein zu Hause sein, wie Kevin (nicht Kühnert), Homeoffice (ist noch erlaubt, da Lohnarbeit), ferner Home-drinking (Trinken »ohne soziale Kontrolle«; ist das schon problematisch?), ferner Nahrung beim Lieferservice bestellen (Zustellung »kontaktlos«), mich durch meine DEFA-DVD-Sammlung schauen – 21 Folgen der Stomatologen-Serie »Zahn um Zahn«, echt spannend und spaßig (kein Scherz) –, in die Armbeuge niesen und mir ins Gesicht fassen.
Zu dir
Du bist »sehr naturverbunden«? An der sogenannten »Natur« finde ich nur die Nahrungskette interessant. Du kannst »ohne Berge nicht leben«? Berge halte ich für eine ziemliche Platzverschwendung – es sei denn, es handelt sich um Weinberge.
Und Obacht: Ich bin nicht »bodenständig«. Höchstens insofern, als dass ich ständig auf dem Boden stehe. Es gibt keinen Grund, auf eine physikalische Gegebenheit wie die Schwerkraft stolz zu sein. Ich wünschte etwas weniger davon.
Sollte dich – die du schon mal die richtige Zeitung liest, Glückwunsch! – das alles noch nicht abgeschreckt haben und du mir, statt ich mir selbst, ins Gesicht fassen willst, schreib mir!
Lass uns eine Infektionsgemeinschaft bilden! Dann können wir einander nach Herzenslust anhusten. Oder zumindest nach belgischem Vorbild einen »Knuffelkontakt« initiieren.
Und zusammen kommen wir auch leichter auf den Mindestbestellwert bei Lieferando. *Zwinkersmiley*
Bitte nur ernsthafte Zuschriften! Denn wer jetzt noch immer keine Witze über Corona macht, hat den Ernst der Lage nicht erkannt.
PS: Body modification bin ich nicht abgeneigt. So habe ich mir im harten Lockdown diesen Winter meinen Bauch vergrößern lassen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
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