Eine durchwachsene Bilanz

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft war vor allem von der Coronakrise und ihren Folgen geprägt. Wichtige Projekte blieben deswegen auf der Strecke

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Die Spitzenpolitiker der Bundesregierung sind insgesamt zufrieden mit der kürzlich zu Ende gegangenen deutschen EU-Ratspräsidentschaft. »Ich glaube, wir haben das geliefert, was auch von uns erwartet worden ist«, sagte Außenminister Heiko Maas der dpa. Der SPD-Politiker verwies auf die in letzter Minute erreichte Einigung auf den Brexit-Handelspakt mit Großbritannien, den beschlossenen EU-Haushalt und die Corona-Hilfen sowie die begonnene Diskussion über mehr europäische Souveränität.

Allerdings hatten sich Maas und einige seiner Kollegen noch mehr erhofft. Enttäuscht war er darüber, dass im vergangenen Jahr kein Durchbruch beim Streitthema Migration erzielt werden konnte. »Ich hätte mir gewünscht, auch da weiterzukommen, aber das ist aufgrund der Blockade einzelner Länder nicht möglich gewesen«, erklärte Maas. »Das bleibt einer der großen Spaltpilze in der Europäischen Union.«

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wollte eine politische Einigung der EU-Staaten auf Eckpunkte einer Asylreform noch vor Jahresende erzielen. Die EU-Kommission machte aber erst im September einen Reform-Vorschlag - wegen langer Vorgespräche mit den EU-Staaten und der Coronakrise viel später als gedacht. Ein Durchbruch gelang dann in der verbleibenden Zeit nicht mehr. Die strittige Frage der Verteilung von Schutzsuchenden in der EU blieb ungelöst. Einige EU-Staaten beharren darauf, andere wollen stattdessen einen »flexiblen Mechanismus«.

Die Organisation Pro Asyl hatte kritisiert, dass die EU-Kommission mit ihren Plänen faktisch ein Zwei-Klassen-Asylsystem einführen würde: Die einen bekommen demnach ein Schnellverfahren an der Grenze, die anderen ein reguläres Asylverfahren. »Grenzverfahren sind aber keine fairen Asylverfahren. Das Ziel dieses Verfahrens ist es, schnell abzulehnen und dann schnell abzuschieben«, so Pro Asyl.

Der Grünen-Europapolitiker Sven Giegold monierte im Kurznachrichtendienst Twitter, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft keine ambitionierte Klimapräsidentschaft geworden sei. »Zum EU-Klimagesetz hat sich unter den nationalen Regierungen eine deutlich schwächere Position als im EU-Parlament durchgesetzt«, kritisierte Giegold. So hatten die Abgeordneten etwa das Ende aller fossilen Subventionen und einen europäischen wissenschaftlichen Klimarat gefordert. Die Kommission strebt immerhin an, dass die EU bis 2050 klimaneutral werden soll.

Das stark von Kohle abhängige Polen hatte im Dezember weitere Zugeständnisse bei der Unterstützung des Umbaus seiner Wirtschaft gefordert. Nur einen Tag vor dem UN-Klimagipfel konnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dann die Einigung auf eine Reduzierung der CO2-Emissionen um mindestens 55 Prozent bis 2030 vermelden.

Der Linke-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko rechnete kürzlich in einem Beitrag für die Zeitschrift »Clara« mit der deutschen EU-Politik ab. »Statt richtungsweisender Impulse zur Lösung der großen Krisen in der Europäischen Union mussten wir in Brüssel und Berlin weitgehend Stillstand und Ideenlosigkeit feststellen«, so Hunko. Insbesondere im Gesundheitssystem werde derzeit erschreckend deutlich, in welchem Widerspruch Profitlogik und Gemeinwohl stehen, so Hunko mit Blick auf die Corona-Pandemie.

Allerdings sah er auch einen Lichtblick. »Immerhin wurden endlich kleine Risse in das Austeritätsdogma geschlagen, das die EU seit Jahren dominiert. Die strengen Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, mit denen vor allem in südeuropäischen Staaten harte Kürzungen begründet wurden, sind vorübergehend außer Kraft gesetzt«, erklärte Hunko.

Vier Tage und vier Nächte hatten die EU-Staats- und Regierungschefs im Juli verhandelt, um den 750 Milliarden Euro schweren Hilfsfonds gegen die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise zu vereinbaren. Doch Polen und Ungarn legten im November ihr Veto ein, weil sie die gleichzeitig vorgesehene Kürzung von EU-Geldern bei Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien nicht akzeptieren wollten. Großes Lob gab es für Merkel, dass diese Blockade beim Dezember-Gipfel fiel.

Erkauft wurde der Gipfel-Kompromiss mit einer Gnadenfrist. Ein vom deutschen EU-Vorsitz ausgearbeiteter Kompromiss sieht vor, dass bei Klagen Warschaus und Budapests vor dem Europäischen Gerichtshof gegen den Rechtsstaatsmechanismus vorerst keine Kürzung von EU-Geldern droht. Damit könnte sich der Start bis ins Jahr 2022 verschieben. Agenturen/nd

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