Von der Abschaffung des Menschen
Das Wiener Burgtheater zeigt die Vision des Transhumanismus als Soloabend im Livestream
Viele Transhumanist*innen sehen im Körper eine Maschine aus Fleisch. Wie Add-Ons fügen sie diesem Geräte hinzu, welche die menschliche Erfahrungswelt erweitern und treiben die eigene Cyborgisierung voran. In letzter Konsequenz zielt dies auf die Überwindung der verletzlichen Fleischhülle. Der Journalist Mark O’Connell spricht in der Reportage »Unsterblich sein. Reise in die Zukunft des Menschen« mit diesen Technikgläubigen. Fortschritts- und Optimierungszwang bejahend, arbeiten einige von ihnen daran, das »Problem des Todes« zu lösen, um Unsterblichkeit zu erreichen. Wenn der Mensch als System betrachtet wird, dessen Funktionsweise entschlüsselt werden kann, ist es denkbar, dass das ganze Gehirn reduziert auf elektronische Impulse und physikalische Gesetzmäßigkeiten in einem neuen Medium simuliert wird. Um das zu verwirklichen, werden schon heute Leichen durch Kryotechnik eingefroren, in der Hoffnung, virtuell aufzuerstehen.
O’Connell fragt, was bei diesen Visionen, die viele Finanziers und Begründer der Tech-Firmen im Silicon Valley verfolgen, verloren geht und ob das ewige Leben überhaupt eine erstrebenswerte Idee ist. Die freie Theatergruppe Dead Centre führt gemeinsam mit dem Autor die Untersuchung in einer Adaption der Reportage fort. »Die Maschine in mir (Version 1.0)« ist eine Koproduktion mit dem Dublin Theatre Festival, wo die Inszenierung mit Schauspieler Jack Gleeson zur Premiere kam. Nach »Die Traumdeutung von Sigmund Freud« ist der transhumanistische Soloabend die zweite Produktion, die von Dead Centre am Burgtheater Wien gespielt wird. Hier übernimmt Michael Maertens den 50-minütigen Monolog.
Der Schauspieler moderiert teils als Mark O’Connell, teils als er selbst den Abend live vor einem Zuschauerraum, aus dem das Publikum auf den Bildschirmen von Tablets zurückblickt. Die voraufgezeichneten Reaktionen der Zuschauer*innen (Lachen, Interesse, Schlafen) werden nach Bedarf eingespielt. Vor den sterilen Blicken in Endlosschleife und Tonbandgelächter bleibt auch das Spiel Maertens steif. Er betont die Live-Situation, indem er die Zeit ansagt und etwas aus dem nur zu diesem Zweck eingeschalteten Chat vorliest. Um festzustellen, dass das Publikum nicht aus Chat-Bots besteht, soll die Frage beantwortet werden, wie wir uns den eigenen Tod vorstellen. »Allein« oder »Durch Selbstmord« sind offenbar Antworten, die eine Maschine nicht geben könnte. Der Turing-Test ist bestanden. Aus der bewiesenen Gleichzeitigkeit ergibt sich jedoch keine Gemeinschaft, welche die virtuelle Distanz überbrückt. Eher stellt sich ein Gefühl für die Einsamkeit des Schauspielers im leeren Raum ein, der gegen die Widrigkeiten anspielt.
Maertens gibt in dem performativen Vortrag einen kurzen Einblick in die wie Science-Fiction anmutende Wirklichkeit der Transhumanist*innen. Unterstützt von einem Tablet, auf dem die Gesprächspartner O’Connells nacheinander erscheinen, werden einige Ausformungen des »Übermenschlichen« präsentiert und Überlegungen in den Saal geworfen. Das reicht von der Feststellung, dass im Kapitalismus Arbeiter*innen der Maschine dienen und ein Teil von ihr werden, bis zur Gleichsetzung des Darstellens einer Rolle mit dem Hochladen einer anderen Persönlichkeit.
Oberflächlich umkreist der Abend die Frage, was im Versuch, den zerbrechlichen Leib zugunsten der Unsterblichkeit zu überwinden, vom menschlichen Ich zurückbleibt. Mitentwickelt durch die Science Gallery in Dublin, die sich der Verschmelzung von Kunst und Wissenschaft widmet, ist das Format auch Selbstversuch. Wie können Menschen im Theater zusammengebracht werden, wenn vom Körper Gefahr ausgeht? Offenbar verschwindet im Wegkürzen der gemeinsamen Präsenz im Raum ziemlich viel. Das nicht aufgegangene Experiment zeigt, was inzwischen zur banalen Feststellung geworden ist: Die Energie im Theater stellt sich durch das Zusammensein von Menschen ein. Der Nachsatz »Version 1.0« lässt immerhin auf eine Überarbeitung für eng beieinandersitzende Zuschauer*innen hoffen.
Nächste Vorstellungen: 6. bis 16. Januar. Tickets unter www.burgtheater.de
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