Auf einmal beginnt der Sohn zu beten
Ein allzu didaktischer Roman, der alles richtig machen will: »Im Norden der Dämmerung« von Nuruddin Farah
Mugdi, die zentrale Figur in Nuruddin Farahs Roman »Im Norden der Dämmerung«, war einmal Botschafter von Somalia. Doch der Bürgerkrieg, der dort seit Anfang der 1990er Jahre wütet, zerstörte alle staatlichen Strukturen. Mugdi verlor seinen Posten und wurde staatenlos. Zusammen mit seiner Frau Gacalo, seinem Sohn und seiner Tochter erhielt er in Norwegen Asyl.
Seine Kinder wuchsen in Oslo auf und wurden wie ihre Eltern norwegische Staatsbürger. Ein Schicksal, das Nuruddin Farah aus eigener Erfahrung kennt. Auch er konnte aus politischen Gründen nach seinem Studium in London in den 1970ern nicht mehr nach Somalia zurückkehren. Erst 1996 war er zu einem Besuch wieder in dem Land am Horn von Afrika, hat es aber wegen des Bürgerkriegs wieder verlassen müssen. Nach unterschiedlichen Stationen - darunter auch Norwegen - lebt Nuruddin Farah heute in Südafrika. Die Geschichte seines Romans »Im Norden der Dämmerung« geht, wie er in einer Anmerkung am Ende des Buches schreibt, auf einen realen Fall zurück.
Für Mugdi und Gacalo hatte Religion nie eine große Rolle gespielt. Um so verwunderter sind sie, als ihr Sohn Dhaqaneh eines Tages in einer für ihren radikalen Imam bekannten Moschee zu beten beginnt. Dann geht alles sehr schnell. Dhaqaneh wandert nach Somalia aus, schließt sich einer islamistischen Gruppierung an und heiratet eine Frau mit zwei Kindern. Als aus Mogadischu die Nachricht vom Selbstmordattentat seines Sohnes eintrifft, hat Mugdi Dhaqaneh bereits aufgegeben. Statt über seinen Tod zu weinen, ist er nur noch wütend. Nuruddin Farah lässt die eigentliche Geschichte seines Romans an dieser Stelle beginnen. Ihn interessiert nicht der Weg in die Radikalisierung, sondern die Folgen für die Familie des Terroristen.
Eines Tages bekommen Mugdi und Gacalo eine Nachricht aus einem kenianischen Flüchtlingslager. Dhaqanehs Witwe Waliya bittet ihre Schwiegereltern um eine Bürgschaft, um nach Norwegen einreisen und Asyl beantragen zu können. Die Zustände im Flüchtlingslager seien katastrophal; ihre Tochter Saari, die wie ihr Sohn Naciim aus einer ersten Ehe stammt, sei vergewaltigt worden. Mugdi will die strenggläubige Frau, die weder er noch Gacalo kennen, nicht bei sich aufnehmen; aber Gacalo stimmt ihn am Ende um.
Und so fliegt Waliya mit ihren beiden Kindern nach Oslo. Sie bekommt eine Sozialwohnung zugewiesen. Und ihr Sohn Naciim besucht - im Gegensatz zu seiner Schwester - eine Schule. Dann geht Waliya ausgerechnet in jene radikale Moschee, in der schon Mugdis Sohn gebetet hatte. Und will zum Ärger ihres Sohnes einen der Imame heiraten. Gleichzeitig beginnt sich Naciim mit Mugdi anzufreunden und ihn als Großvater zu akzeptieren.
Nuruddin Farah erzählt davon, wie das Leben nach einer Familienkatastrophe weitergeht. Ein Leben, das nicht aufhört, Forderungen zu stellen und in dem es immer wieder darum geht, Widersprüche auszuhalten. Er erzählt von einem toleranten Norwegen, in dem gleichzeitig Anders Behring Breivik über siebzig Menschen - die meisten Kinder und Jugendliche - ermordet, darunter drei Jugendliche mit somalischen Wurzeln.
Aber Nuruddin Farah will zu viel, will von allen Aspekten der Familienkatastrophe und des Aufeinandertreffens von somalischer und norwegischer Kultur erzählen. Viele seiner Figuren haben wohl auch deshalb nur einen funktionalen Charakter, sind wenig aus sich selbst heraus entwickelt. Oft wird schnell klar, worauf der Autor hinauswill; an diesen Stellen wirkt »Im Norden der Dämmerung« didaktisch. Andere Ereignisse werden für die von Farah gewählte Perspektive des allwissenden Erzählers zu kurz abgehandelt, wie zum Beispiel der Selbstmord von Mugdis Frau Gacalo. So dass der Leser am Ende einen Roman in Händen hält, der alles richtig machen will, aber literarisch gerade deshalb enttäuscht.
Nuruddin Farah: Im Norden der Dämmerung. A. d. Engl. v. Wolfgang Müller. Kunstmann, 352 S., geb., 25 €.
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