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Alles für den Markt
Auf dem Dreikönigstreffen der FDP kritisiert Parteichef Christian Lindner die Corona-Politik der Großen Koalition
Die Ränge im Stuttgarter Opernhaus sind leer und dunkel. Nur die Bühne ist besetzt. Hier steht der FDP-Vorsitzende Christian Lindner im Rampenlicht und redet vor einer Kamera. Das traditionelle Dreikönigs-Treffen der Partei läuft am Mittwoch pandemiebedingt anders ab als in den vergangenen Jahren. Interessierte können sich die Rede von Lindner im Internet ansehen. Der kritisiert die kürzlich getroffenen Entscheidungen von Bund und Ländern zur Eindämmung der Corona-Pandemie. »Ich verstehe die Notwendigkeit der Kontaktbeschränkungen, aber der jetzige Beschluss schießt über das Ziel hinaus«, sagt Lindner. Die neue Regelung besagt, dass ein Hausstand nur noch einen weiteren Menschen treffen darf. Auch die Einschränkung des Bewegungsradius auf 15 Kilometern in Corona-Hotspots kritisiert Lindner. Das Infektionsrisiko sei nicht durch eine Strecke bestimmt, sondern durch den Kontakt mit anderen Menschen. Der FDP-Politiker hätte sich eine regional differenzierte Herangehensweise bei der Pandemiebekämpfung gewünscht.
Teile seiner Rede lassen sich so interpretieren, dass die FDP wieder stärker als Bürgerrechtspartei wahrgenommen werden will. Allerdings wird es die Partei mit dieser Taktik nicht leicht haben, im öffentlichen Diskurs wahrgenommen zu werden. Die sogenannten Querdenker, in deren Reihen viele Rechtsradikale mitdemonstrieren, haben inzwischen den Freiheitsbegriff für sich beansprucht und fordern eine radikale Abkehr von der derzeitigen Corona-Politik. Die FDP-Spitze hält Abstand zu der Bewegung, weil dort auch Verschwörungstheorien verbreitet werden.
Bundesweite Umfragen sehen die FDP derzeit zumeist bei sechs Prozent. Das zeigt, dass sie im Herbst einmal mehr um den Wiedereinzug in den Bundestag kämpfen muss. Die Partei hat auch deswegen Probleme, weil in Krisensituationen staatliche Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stoßen. Die Behauptung der Freien Demokraten, dass der Markt fast alles regeln könne, wird hingegen ad absurdum geführt. Sollte die FDP trotzdem in der nächsten Legislaturperiode erneut im Bundestag sitzen und möglicherweise einer Regierung angehören, wird sie sich mit aller Kraft gegen Steuererhöhungen für Vermögende und Spitzenverdiener wehren. »Höhere Steuern sind kein guter Rat, wenn man die Wirtschaft wiederbeleben will. Wir müssen stattdessen an Entlastungen arbeiten«, sagt Lindner. Einzige Ausnahme ist für ihn der »Silicon Valley Plattform Kapitalismus«. Die dortigen Konzerne wie Google müssten einen fairen Beitrag für das Gemeinwohl zahlen.
Ein weiteres großes Problem der FDP ist, dass sie allein auf ihren Vorsitzenden zugeschnitten ist. Vorbei sind die Zeiten, als alle halbwegs politisch interessierten Bundesbürger mehrere Namen von FDP-Politikern wie Klaus Kinkel, Hans-Dietrich Genscher oder Jürgen Möllemann kannten. Heutzutage ist Lindner der einzige überregional bekannte Vertreter seiner Partei. Als allmächtiger Vorsitzender sitzt er weiterhin fest im Sattel. Nach einem Bericht des ARD-Hauptstadtstudios gibt es allerdings Bedenken, innerhalb der Partei, ob man im Wahlkampf hauptsächlich auf Wirtschaftsthemen setzen sollte, wie es sich Lindner offenbar zeitweise vorgestellt hat. So fordern die jungen Bundestagsabgeordneten Konstantin Kuhle und Johannes Vogel einen stärkeren Fokus auf Themen wie Umwelt, Gleichberechtigung oder Migration.
Diesen Anliegen kommt Lindner in seiner Rede teilweise nach. »Alltagsrassismus« sowie »Bürokratie, Abgaben und Steuern« stören ihn gleichermaßen, weil sie verhindern, dass auch Migranten in Deutschland eine Chance haben, Unternehmen aufzubauen. Alles soll dem Markt untergeordnet werden. Lindner will keine »unkontrollierte Einwanderung«, also nicht den Fokus darauf legen, den Schwachen zu helfen, sondern eine »gezielte Zuwanderung« von Fachkräften. Alle, die auf dem Arbeitsmarkt verwertbar sind, heißt der FDP-Vorsitzende willkommen.
Das gilt auch für Frauen. Sie sollen nach seiner Ansicht in jungen Jahren an technische Berufe herangeführt werden. So ließen sich überkommene Rollenbilder überwinden. Die jüngere Generation in der Partei dürfte zufrieden sein mit diesen Forderungen ihres Vorsitzenden. Zumal Lindner in Bezug auf Frauen noch etwas wiedergutmachen musste. Er hatte im September in einer Rede über die scheidende FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg gesagt: »Ich denke gerne daran, Linda, dass wir in den vergangenen 15 Monaten ungefähr 300 Mal den Tag zusammen begonnen haben.« Nach einer Kunstpause, während der einige Anwesende im Saal anfingen zu lachen, sagte Lindner: »Ich spreche über unser tägliches, morgendliches Telefonat zur politischen Lage. Nicht, was ihr jetzt denkt.« Wegen dieses Herrenwitzes war dem Parteichef von vielen Seiten Sexismus vorgeworfen worden. Er entschuldigte sich später öffentlich.
Angesichts solcher Aussagen ist es nicht verwunderlich, dass Frauen in der Partei unterrepräsentiert sind. Nur 21,6 Prozent der Mitglieder sind weiblich. 62 Männer und 18 Frauen sitzen für die Freien Demokraten im Bundestag. Nachfolger von Teuteberg ist übrigens der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing. In seinem Land und in Baden-Württemberg startet am 14. März das Wahljahr. Für die FDP könnte es mit einer Niederlage beginnen. Umfragen sehen sie bei der Wahl zum Mainzer Landtag bei lediglich fünf Prozent. Im südlichen Nachbarland kommt die Partei auf sieben Prozent.
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