Parlamentswahlen in Kasachstan
Am Sonntag machen die Menschen ihr Kreuz auf dem Wahlzettel, damit alles beim alten bleibt
Im größten zentralasiatischen Land Kasachstan sind am Sonntag rund 11,9 Millionen Wähler aufgerufen, 107 Volksvertreter für ein fünfjähriges Mandat in ein neues Parlament zu entsenden. Niemand erwartet irgendwelche Überraschungen beim Wahlergebnis. Die Frage ist nicht, welche der zugelassenen Parteien die Wahl gewinnt, sondern wie groß der Stimmenanteil der Präsidentenpartei »Nur Otan« (Licht des Vaterlands) sein wird. Bei den letzten regulären Parlamentswahlen kam die Partei auf 82,2 Prozent der Stimmen und eroberte damit 84 Parlamentssitze. Ein Wahlergebnis unter 80 Prozent müsste die »Nur Otan«-Partei als Niederlage verbuchen.
Eine wirkliche Oppositionspartei gebe es in Kasachstan ohnehin nicht, sagt gegenüber »nd« Beate Eschment, Zentralasien-Expertin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in Berlin. »Ich erwarte, dass die Partei des Präsidenten Nur Otan wie immer ein gutes Ergebnis einfahren wird.« Der ehemalige Präsident Nursultan Nasarbajew, der 2019 das Amt des Staatsoberhaupts an den 67-jährigen Kasym-Schomart Tokajew übergeben hat, hält nach Beobachtern weiterhin im Hintergrund viele Fäden der kasachstanischen Politik in der Hand - und das auf ganz legalem Weg.
Nach dem Rücktritt Nasarbajews am 20. März 2019 und den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen vom 9. Juni 2019 versprach der neu gewählte Präsident Tokajew die alte Politik, also die Fortsetzung der Ära Nasarbajews. Trotz des Rücktritts vom Amt trägt Nasarbajew weiterhin den Titel »Führer der Nation«, sicherte sich auf Lebenszeit den Vorsitz des Nationalen Sicherheitsrates, führt die Partei »Nur Otan« und ist Mitglied des Verfassungsrates.
Der neue Präsident Tokajew blieb dennoch nicht untätig und setzte neue Akzente. So schaffte er erst vor ein paar Tagen per Gesetz die Todesstrafe ab. Er verringerte auch die erforderliche Anzahl von Mitgliedern in politischen Parteien, um registriert zu werden. Im Dezember 2019 war Tokajew auf Staatsbesuch in Deutschland, um Investitionen einzuwerben. »86 Prozent des deutschen Handels mit Zentralasien entfallen auf Kasachstan«, sagte er im Interview mit »Deutsche Welle«. Kasachstan ist mit seinen Ölressourcen ein ökonomischer Appetithappen, bleibt aber trotzdem ein repressiver Staat. Daran werden auch die Wahlen am Sonntag nichts ändern.
»Die spannende Frage bei dieser Wahl ist, was mit den etwas unruhig gewordenen jungen, gebildeten Bewohnern von Almaty sein wird«, sagt Beate Eschment. Diese hätten nach Nasarbajews Rücktritt und der »etwas orchestrierten Wahl von Tokajew« darauf gedrungen, dass das politische Leben offener und demokratischer ablaufe. »Ich könnte mir vorstellen, dass die Leute auf die Straße gehen, erwarte aber keine einschneidenden Ereignisse.« Letztlich gebe es auch überhaupt keine zugelassene Oppositionspartei. »Es stehen nur Regierungsparteien auf dem Wahlzettel, im Augenblick hat man tatsächlich nur Parteien auf Linie.« Wozu also Wahlen? Beate Eschment hat die Antwort: »Es geht bei dieser Wahl darum, dass man sich selbst legitimiert und sagen kann: Wir haben das Volk hinter uns. Wie diese Zustimmung des Volks zustande kommt, darüber schweigt man dann.«
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