Journalismus als Krankheit

Gerichtsurteil pathologisiert das Wirken von Julian Assange

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 4 Min.

Es waren bange Minuten, als Richterin Vanessa Baraitser das Urteil im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange verkündete. Satz um Satz des Urteilsspruchs twitterten die wenigen Journalist*innen, die im Pressesaal am Woolwich Crown Court eine Videoübertragung verfolgen durften, in die Öffentlichkeit. Zunächst schien sich eine Niederlage im Verfahren anzubahnen, doch dann kam die Erleichterung: Auslieferung abgelehnt.

So sehr sich die Unterstützer*innen des 49-jährigen Wikileaks-Journalisten und -Herausgebers Assange darüber freuen können, dass ihm Großbritannien zunächst einen sicheren Aufenthalt gewährt, so zynisch fällt der Richterspruch aus. Es ist der Gesundheitszustand, den die Richterin als Grund für die abgelehnte Auslieferung anführt. Beim Blick in das Urteil wird deutlich, dass das journalistische Wirken von Assange und Wikileaks keinerlei Berücksichtigung findet.

»Sie haben Julian als Gefährdung eingestuft, weil sie Journalismus als Gefährdung sehen«, konstatiert der australische Journalist John Pilger. Der 82-Jährige gilt als einer der prominentesten englischsprachigen Journalisten und Dokumentarfilmer. »Es gibt nur drei Gefährdungen für Regierungen: Spione, Terroristen und den investigativen Journalismus.« Für ihn ist der Urteilsspruch im Kern ein Attest, dass das Wirken von Julian Assange im Journalismus zur behandlungsbedürftigen Krankheit erklärt.

Die Unterstützer von Assange setzen ihre Arbeit fort. Zu ihnen zählt auch Jeremy Corbyn, der als ehemaliger Vorsitzender der Labour-Partei bei einer Veranstaltung der »Stop the War«-Initiative am Donnerstag dafür warb, weiter für Assange einzutreten. Das ist dringend nötig. Denn die von der Vertreterin der US-Anklage vorgebrachten Argumente schädigen den Journalismus nachhaltig, wenn sie sich in weiteren Verfahren zu Grundsatzurteilen auswachsen.

Assange wird vorgeworfen, er habe die Quelle Chelsea Manning (damals Bradley Manning), die als Analystin für die US-Truppen im Irak arbeitete, angestiftet. Manning war 2010 selbst an Wikileaks herangetreten und hatte geschildert, dass die öffentliche Darstellung des Irak- und Afghanistankrieges vom wirklichen Geschehen vor Ort abwich. Die Daten, die das belegten, lieferte Manning an Wikileaks.

Assange wird nun zur Last gelegt, dass er in Chats mit Manning äußerte, »neugierige Augen werden immer etwas finden«. Die US-Seite sieht darin eine Anstiftung, weitere Dokumente zu stehlen. Dabei wird ausgeblendet, dass es zum damaligen Zeitpunkt stetig wachsende Zweifel an der Kriegsführung der USA gab. Der Irak-Kriegsveteran Joshua Key, der 2003 an der Invasion beteiligt war, hatte in seinem Buch »Ich bin ein Deserteur« im Jahr 2007 beschrieben, wie die US-Truppen mit nächtlichen Überfällen auf irakische Häuser, bei denen Männer verschleppt und die Häuser verwüstet wurden, quasi selbst Terrorismus betrieben, also im Wortsinn des englischen Begriffs »terror« - Angst und Schrecken - verbreiteten. Kriegsberichte von Ex-Soldat*innen und Deserteur*innen sind seit jeher Anlass für Journalist*innen weltweit, Recherchen aufzunehmen und Kriegsverbrechen zu enttarnen.

Problematisch ist auch die Rechtsauslegung der US-Anklage, dass die Darstellung der eigenen journalistischen Arbeit einem Aufruf zum Geheimnisverrat gleichkomme. Beispielhaft führte man die Auftritte auf Konferenzen an, bei denen Assange für die Plattform Wikileaks und die journalistische Arbeit warb. Assange habe damit quasi zum Geheimnisverrat aufgerufen. Folgt man dieser Auslegung, dann wird in letzter Konsequenz die bloße Existenz von investigativ arbeitenden Redaktionen problematisiert.

Regierungen halten sich bedeckt

Die Richterin machte sich in ihrem Urteilsspruch auch die Position der US-Seite zu eigen, Manning habe mit der Weiterleitung der Dokumente Regierungsmitarbeiter*innen gefährdet. Beim Blick auf das Gerichtsverfahren, das gegen Manning geführt wurde, erweist sich diese Einschätzung jedoch als unhaltbar. Denn auch in diesem Verfahren konnte die US-Seite keine konkreten Auswirkungen und Gefährdungen nachweisen, die mit den Veröffentlichungen der Dokumente einhergingen. Zwar mussten zum Schutz einige der genannten Personen ihren Dienst- und Einsatzorte wechseln. Dies jedoch gehört zur ständigen Gefährdungsbeobachtung und letztlich zum Berufsrisiko von Spionen und Informant*innen, das diese bewusst eingehen, wenn sie an der Kriegsführung teilnehmen. Assange vertritt die Ansicht, dass Journalist*innen nicht dazu verpflichtet sind, militärische Quellen oder Spione im Sinne der kriegführenden Staaten zu schützen. Gleichwohl setzte Wikileaks alles daran, nur anonymisierte Dokumente zu veröffentlichen, bei denen eine Gefährdung ausgeschlossen werden konnte.

Zeug*innen der Verteidigung, darunter auch der damals für den Spiegel tätige John Goetz, hatten als Expert*innen die Arbeitsweisen bei der Berichterstattung eingeordnet. Goetz beschrieb, dass Wikileaks bei der Veröffentlichung auch auf Vorschläge der US-Regierung einging. So hielt Wikileaks 15 000 Dokumente unter Verschluss, nachdem das Weiße Haus angeboten hatte, diese zunächst durch die ISAF-Truppen in Afghanistan auf möglicherweise gefährdete Informant*innen prüfen zu lassen.

Bezeichnend für diese Woche ist auch, dass die Regierungen maßgeblicher Staaten keine Stellung zum Auslieferungsverfahren beziehen. Dabei wären Großbritannien und Deutschland, deren Medien »Guardian« und »Spiegel« mit Wikileaks kooperierten, wichtige Stimmen für den Aspekt der Pressefreiheit. Die ausbleibenden Stellungnahmen deuten darauf hin, wie kriegführende Staaten kritische Stimmen behandeln.

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