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»Menschen wie ich werden einfach vergessen«
Junge Pflegebedürftige bekommen in der Corona-Pandemie weder Schnelltests noch eine schnelle Impfung
Hameln. Constantin Grosch ist ein optimistischer und meistens gut gelaunter Mensch. Äußerlich wirkt der 28-Jährige, der eine Muskelschwäche hat, gelassen. In seinem Gesicht spielt meist ein schelmisches Lachen. Doch in ihm brodelt es. »Seit zwei, drei Wochen steigt in mir die Wut auf«, sagt der Soziologiestudent aus Hameln, der sich als »Inklusions-Aktivist« bundesweit für die Teilhabe behinderter Menschen einsetzt. »Politik, Krankenkassen und Experten haben Menschen wie mich in der Corona-Pandemie einfach vergessen.«
Menschen wie er - das sind jüngere chronisch Kranke oder Behinderte, die zu Hause von Angehörigen oder angestellten Fachkräften gepflegt und unterstützt werden. Viele tragen wie Grosch ein hohes Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken. »Aber wir bekommen keine Schutzausrüstung und keine Antigen-Schnelltests.« Er hatte seine Hoffnung auf eine frühe Impfung gesetzt. Doch laut Impfverordnung gehört er zu keiner der beiden ersten Risikogruppen. Es ist sogar fraglich, ob er in die dritte einsortiert wird. »Ich finde es ungerecht, dass wir weder einen passiven noch einen aktiven Schutz bekommen.«
Das niedersächsische Sozialministerium verweist auf die begrenzten Kapazitäten in der Impfstoffproduktion. »Deshalb hat sich die Ständige Impfkommission gemeinsam mit dem Deutschen Ethikrat und der Nationalen Akademie der Wissenschaften intensiv mit der Frage beschäftigt, welche Personengruppen zunächst geimpft werden sollen, um auf der einen Seite so schnell wie möglich individuelles Leid zu reduzieren und auf der anderen Seite das Gesundheitswesen zu entlasten«, erläutert Sprecherin Silke von der Kammer. »Junge Menschen mit Vorerkrankungen sind hier auch berücksichtigt, aber eben nicht an erster Stelle.«
Constantin Grosch hat Muskeldystrophie, eine fortschreitende Erkrankung, die ihm nach und nach die Muskelkraft nimmt. Seine Lungenfunktion ist eingeschränkt. Er sitzt im Rollstuhl und ist 24 Stunden am Tag auf Hilfe angewiesen. Ein Team von Pflegern, die direkt bei ihm angestellt sind, betreut ihn. Doch in den Corona-Regeln für Risikogruppen kommt dieses Modell der Assistenz nicht vor, obwohl es nicht so selten ist, wie Grosch sagt. »Pflegeheime, Krankenhäuser, Pflegedienste werden mit Hilfsmitteln ausgestattet. Aber diejenigen, die die ambulante Versorgung zu Hause selbst organisieren, fallen hinten runter. Wir werden ignoriert.«
Schon Anfang Oktober hatte der Student den Spitzenverband der Krankenkassen angeschrieben und um Schnelltests gebeten. Zur Antwort habe er bekommen, dass er darauf keinen Anspruch habe. »Dann gaben sie mir noch den Hinweis, dass es in einigen Drogerien Tests zu kaufen gebe.«
Jetzt hat Grosch sich als Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke in einem offenen Brief unter anderem an Gesundheitspolitiker und den Bundesbehindertenbeauftragten gewandt. Er fordert, die Regeln zu ändern. »Bei den steigenden Fallzahlen können pflegende Angehörige und Pflegekräfte ohne Schutzausrüstung, Impfung und präventive Testung zu tödlichen Gefahren werden.«
Das Büro des Bundesbehindertenbeauftragten antwortete dem Evangelischen Pressedienst (epd), mit Blick auf knappe Impfstoffe sei die Priorisierung unausweichlich. »Für uns haben Menschen, die in Einrichtungen leben, Vorrang, weil sie noch einmal gefährdeter sind«, sagt Sprecherin Regine Laroche. Allerdings sei dem Behindertenbeauftragten wichtig gewesen, dass die Impfverordnung in ihrer neuesten Fassung auch Ausnahmen zulasse und in Einzelfällen weitere Menschen vorrangig geimpft werden könnten.
Seit Monaten lebt Grosch quasi in Selbstisolation. »Aber so richtig effizient ist das natürlich nicht, denn ich weiß ja nicht, wie meine Pfleger sich draußen verhalten«, berichtet er. Die arbeiten bei ihm jeweils für zwei bis drei Tage am Stück. Dann ist Schichtwechsel. »Es wäre also eine große Erleichterung für mich, wenn sie bei Dienstantritt wenigstens einen Antigen-Schnelltest machen könnten.« epd/nd
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