Gott erhalte uns den Kommunismus

Julia Killet geht in ihrem nun erschienenen Buch der Darstellung von Rosa Luxemburg nach

  • Michael Brie
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit Freunden, Genossinnen und Genossen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Rosa-Luxemburg-Stiftung habe ich 2002 am Weltsozialforum in Porto Alegre teilgenommen. Wir hatten aus Berlin Fahnen der Rosa-Luxemburg-Stiftung mitgenommen, auf denen neben deren Logo auch ein Bild von Rosa Luxemburg zu sehen war. Und als wir in das Jugendcamp des Weltsozialforums kamen, wurde ganz klar: Es gab zwei Lichtfiguren für die dort versammelte internationale Linke: Che Guevara und Rosa Luxemburg. Beide zeichnete gemeinsam eines aus: Ihr Leben war ihr Werk. Und für beide galt, was Rosa Luxemburg kurz vor ihrem Tode als den »wahren Odem des Sozialismus« bezeichnet hatte: die Verbindung von »weitherzigster Menschlichkeit und revolutionärer Tatkraft«. Dies wird in beeindruckender Weise deutlich, wenn man Julia Killets Buch »Fiktion und Wirklichkeit. Die Darstellung Rosa Luxemburgs in der biographischen und literarischen Prosa« liest.

Es gibt interessante, gute, und es gibt auch schöne Bücher. Und es gibt Bücher, die sind all dies gleichzeitig. Julia Killets Buch gehört zu den wenigen letzteren. Sie zeichnet auf der Basis ihrer Dissertation 14 wichtige Biografien und acht literarische Prosa-Werke sowie zwei Filme nach, die zwischen 1919 und 2010 erschienen sind. Die Geschichte der Auseinandersetzung mit dem Lebenswerk von Rosa Luxemburg begann unmittelbar nach ihrem Tod. Sie war keine 48 Jahre alt. Während die einen ihre Ermordung 1919 geradezu feierten und andere wie Paul Levi versuchten, ihr Werk fortzusetzen, war es die Veröffentlichung von Briefen Luxemburgs aus dem Gefängnis durch die Kommunistische Jugendinternationale, die einen Einschnitt darstellte und die Fronten durcheinanderwirbelte.

Der österreichische Schriftsteller Karl Kraus veröffentlichte einen dieser Briefe in seiner Zeitschrift »Die Fackel« und erhielt von einer adligen Gutsbesitzerin die Zeilen, dass Luxemburg die »Bekanntschaft mit dem Gewehrkolben« erspart geblieben wäre, wenn sie nur in einer Gärtnerei gearbeitet hätte. Für immer erinnerungswürdig ist die Antwort von Kraus: »Der Kommunismus als Realität ist nur das Widerspiel ihrer [der herrschenden Eliten - M. B.] eigenen leben-schänderischen Ideologie […] - der Teufel hole seine Praxis, aber Gott erhalte ihn als konstante Drohung über den Häuptern jener, so da Güter besitzen […]. Gott erhalte ihn uns, damit dieser […] Gesellschaft der ausschließlich Genussberechtigten […] wenigstens die Lust vergehe, ihren Opfern Moral zu predigen, und der Humor, über sie Witze zu machen.«

Das Lebenswerk von Rosa Luxemburg hallt nach. Jetzt schon 100 Jahre über ihren Tod hinaus. Es gibt Wellen, in denen sich der Nachklang verändert, hoffnungsvollere oder düstere Töne annimmt. Aber er hört nie auf, weil die ungeheure Spannung von dem unbändigen Streben Luxemburgs, zur Überwindung von Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg beizutragen, und dem genauso unbedingten Anspruch, ein reiches selbstbestimmtes Leben zu führen, durch sie in einer Weise ausgetragen wurde, die seit 100 Jahren inspiriert. Diese Inspiration hat nicht nachgelassen.

Julia Killet geht auf die persönlichen Erinnerungen von Clara Zetkin, Karl Radek, Luise Kautsky und Paul Frölich ein, auf die bedeutenden wissenschaftlichen Biografien von Peter Nettl (bis heute noch der Standard überhaupt) und Annelies Laschitza sowie die eher populärwissenschaftlichen Biografien unter anderem von Fred Oelßner und Helmut Hirsch, Jakow Drabkin, Heinz Knobloch und Dietmar Dath sowie von Jörn Schütrumpf. Bemerkenswert ist, dass Julia Killet zudem die literarische Prosa untersucht, die sich Luxemburg zuwandte und sogar Filme einbezieht. So sind hier neben anderen Alfred Döblin, Egon Erwin Kisch und Heiner Müller, Günter Reisch und Margarethe von Trotta versammelt.

Wichtig ist, dass Julia Killet dies alles tut, indem sie immer bewusst macht, dass es sich bei allen genannten Werken, Schriften oder Filmen um Erzählungen handelt, in denen über den Weg der Fiktion Zugänge zum Lebenswerk von Rosa Luxemburg gesucht werden, die zugleich das Verhältnis zum eigenen Leben und Handeln beeinflussen.

Dieses Buch von Julia Killet liest man mit größtem Genuss und Gewinn. Davon ausgehend sollte man sich zugleich dieser oder jener Biografie, dem einen oder anderen Roman zuzuwenden und anlässlich des bevorstehenden 150. Geburtstags von Rosa Luxemburg auch die Filme von Günter Reisch und Margarethe von Trotta über sie (wieder) neu ansehen.

Julia Killet: Fiktion und Wirklichkeit. Die Darstellung Rosa Luxemburgs in der biographischen und literarischen Prosa. Kulturmaschinen, 348 S., geb., 32 €.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.