Bis in den letzten Winkel

Welche Rolle spielen Landwirtschaft und globalisierte Märkte bei von Tieren übertragenen Krankheiten?

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 5 Min.

Nach langem Tauziehen wird für den heutigen Donnerstag die Ankunft von Expert*innen in China erwartet, die im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation WHO gemeinsam mit chinesischen Wissenschaftler*innen erforschen sollen, ob das Coronavirus zu seiner Quelle zurückverfolgt werden kann. Auch wenn der Ursprungsort nicht abschließend erforscht ist: dass es sich bei Covid-19 um eine Zoonose handelt, also eine Krankheit, die aus der Übertragung zwischen Tier und Mensch entstanden ist, ist überwiegend unbestritten. Derer gibt es einige, darunter Tollwut, Schweinegrippe, Ebola. Nur selten jedoch lösen diese Krankheiten eine Pandemie aus, wie im Fall der Spanischen Grippe 1918 oder eben Covid-19, wie das Friedrich-Löffler-Institut für Tiergesundheit ausführt.

Allerdings werde Corona nicht die letzte Pandemie sein, erklärte WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus Ende 2020 und warnte: Alle Versuche, die Gesundheitssituation in der Welt zu verbessern, seien zum Scheitern verurteilt, solange der Mensch nicht wirksam gegen den Klimawandel und für den Tierschutz eintrete. »Die Pandemie hat ein Schlaglicht auf die enge Verknüpfung der Gesundheit von Menschen, Tieren und des Planeten geworfen«, sagte Tedros.

Auch der UN-Biodiversitätsrat (IPBES) geht in einem Bericht davon aus, dass künftig weitere Pandemien drohen, denn Veränderungen »in der Art und Weise, wie wir Land nutzen, die Ausweitung und Intensivierung der Landwirtschaft sowie nicht nachhaltiger Handel, Produktion und Konsum beeinträchtigen die Natur und führen zu mehr Kontakt zwischen Wildtieren, Nutztieren, Krankheitserregern und Menschen«, so Peter Daszak, der als Zoologe der WHO-Delegation angehört. »So entstehen Pandemien.« Allein die veränderte Landnutzung habe weltweit das Auftreten von mehr als 30 Prozent der seit 1960 gemeldeten neuen Krankheiten verursacht. Die indische Ökologin Vandana Shiva konstatiert: »Krankheiten wie das Coronavirus können weltweit uns alle bedrohen, indem wir in die Lebensräume anderer Arten eindringen und Monokulturen auf der Welt verbreiten.«

Der britische Premierminister Boris Johnson hat dagegen die traditionelle chinesische Medizin für den Ausbruch des Coronavirus verantwortlich gemacht. »Es stammt von Fledermäusen oder Schuppentieren, von dem irrsinnigen Glauben, dass man an Potenz gewinnt oder was auch immer die Leute glauben, wenn man die Schuppen eines Schuppentieres zermahlt«, sagte Johnson beim Klimagipfel »One Planet Summit« am Montag. »Es entsteht aus dieser Kollision zwischen der Menschheit und der Natur, und wir müssen dies stoppen.«

Johnson könnte sich dabei auf die Meinung von Tierhygieniker*innen stützen. So erklärte der Vorsitzende der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, Thomas Blaha, im Fachgespräch der Grünen-Bundestagsfraktion zu Tierhaltung und Epidemien, Zoonosen entstünden in archaischen Kulturen, wo viele Mensch-Tier-Kontakte bestünden. Er plädiert für abgeschlossene Stallsysteme, die Hygiene und damit Biosicherheit gewährleisten würden. Dabei ignorieren beide, dass Chinas Landwirtschaft sich in den vergangenen Jahren - oft mit Hilfe internationaler Investmentsfonds - industrialisiert hat. Auch dort sind abgeschirmte Megaställe entstanden, zunächst in der Geflügelindustrie, später in der Schweinemast. Mit allen Nachteilen, wie der US-amerikanische Biologe Rob Wallace in seiner Untersuchung zur Geflügelgrippe erklärt: »Sie verschärfen die Virulenz von Krankheitserregern und die Ansteckungsgefahr.« Abgeschirmte Ställe - wie sie etwa Blaha bevorzugt - seien zwar theoretisch biosicher, in der Praxis sind mangelnde Kontrollen nicht nur in China ein Problem. Eine weitere Möglichkeit ist das Impfen der Tiere.

Auch der chinesische Wildfleischhandel ist inzwischen geprägt von professionellen und kapitalträchtigen Unternehmen. Nach Angaben der Vereinten Nationen hat sich die Zucht von Wildtieren erheblich ausgeweitet, allein in China erwirtschafteten demnach im Jahr 2016 rund 14 Millionen Beschäftigte mit der Zucht »nicht traditioneller Tierarten« einen Umsatz von 77 Milliarden US-Dollar. Die räumliche Expansion der industriellen Landwirtschaft und Massentierhaltung zwinge Wildtierunternehmen dazu, immer weitere Waldgebiete zu durchkämmen oder ihre Zuchtanlagen tiefer in den Wald zu bauen, so Wallace. So steige die Wahrscheinlichkeit, auf neue Krankheitserreger zu stoßen, während die ökologische Komplexität sinke, mit denen Wälder Übertragungsketten unterbrechen.

Der UN-Biodiversitätsrat konstatiert in seinem Bericht: »Pandemien werden durch Mikroorganismen in tierischen Reservoiren hervorgerufen. Verbreitet werden sie aber durch menschliche Aktivitäten.« Globale Lieferketten und Tourismus ermöglichen in der Folge eine rasche Ausbreitung. So fordert der Rat, dass bei größeren Entwicklungs- und Landnutzungsprojekten Gesundheitsfolgenabschätzungen zum Pandemierisiko vor Projektbeginn einbezogen werden. Zudem sollten nationale Regierungen Subventionen für Aktivitäten streichen, die mit Abholzung, Schädigung von Wäldern und Landnutzungsänderungen einhergehen. Darüber hinaus sollten Entscheidungsträger*innen nicht nachhaltige Konsum- und Wirtschaftsstrukturen, die Pandemien befördern, grundlegend verändern.

Bisher sei es doch so, schreibt Wallace: »Die Kosten der Massentierhaltung und der industrialisierten Landwirtschaft werden routinemäßig externalisiert.« Schon seit langem sei der Staat gezwungen, die Rechnung für die Folgekosten zu begleichen - Umweltverschmutzung, Wasserprobleme und Krankheiten der Beschäftigten. Auch angesichts der Pandemie sei der Staat wieder bereit, die Kosten zu übernehmen, damit die industrialisierte Landwirtschaft ungestört ihren Geschäften nachgehen könne. Was Wallace nicht benennt: Die Umverteilung dieser Kosten könnte weltweit zur Verarmung beitragen, wenn in der Folge weniger Geld für Bildung, Sozialsysteme oder Gesundheit da ist.

Zurück zur Mission in China: Die Suche nach dem Ursprung des Virus gilt als politisch brisant. Fraglich ist, welche Erkenntnisse jenseits der virologischen zu erwarten sind. Wenn das transnationale Agrobusiness, wie Wallace feststellt, die weltweite Ausbreitung industrieller Landflächen und Mastställe in »riesige Gewinne« verwandeln kann, bleibt die Frage: Wer bezahlt den Preis?

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