Anti-Abtreibungstag an bayerischen Schulen

Laut einer Richtlinie des Kultusministeriums soll es an Schulen einen jährlichen »Aktionstag für das Leben« geben

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Söder und sein Kultusminister wollen Schulen verpflichten, einen jährlichen Anti-Abtreibungstag abzuhalten. Ist das im Jahr 2021 wirklich der Ernst dieser Staatsregierung?!«, schrieb der bayerische Landtagsabgeordnete Florian von Brunn (SPD) kürzlich auf Twitter. Er sei entsetzt, über die reaktionäre Idee und habe, zusammen mit seiner Kollegin Simone Strohmayr, bereits eine kritische Anfrage an die Staatskanzlei gestellt.

Tatsächlich schreibt das bayerische Kultusministerium den Schulen im Freistaat in einer »Richtlinie für die Familien- und Sexualerziehung« einen jährlichen »Aktionstag für das Leben« vor. »Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben zu schützen. Bereits dem ungeborenen menschlichen Leben kommt die Menschenwürde zu«, heißt es darin. Für die Schulen ergebe sich daraus die Aufgabe, die Würde des ungeborenen Lebens herauszustellen, Verantwortung gegenüber dem ungeborenen Kind zu wecken und den Willen zum Schutz des ungeborenen Lebens bei den Schülerinnen und Schülern zu stärken.

Tatsächlich kommt die Richtlinie gar nicht von der aktuellen Regierung unter Markus Söder (CSU), sondern besteht bereits seit 2016. Damals war Horst Seehofer noch Ministerpräsident und hatte sie zusammen mit seinem Kultusminister, dem erzkonservativen Ludwig Spaenle (beide ebenfalls CSU), verabschiedet. Geschehen war dies wohl auch unter massivem Druck von christlich-fundamentalistischen und rechten Bündnissen wie der »Demo für alle«, die vor allem in Baden-Württemberg und Bayern gegen Sexualaufklärung an Schulen mobil machte. Und auch die AfD mischte dabei in der Vergangenheit immer wieder mit: Enge Kontakte bestehen nicht nur zur »Demo für alle«, sondern auch zum »Marsch für das Leben«.

In Bayern hatte die Richtlinie zunächst lange Zeit nicht für Aufsehen gesorgt. Erst im September hatte die bayerische AfD sie wieder aufgeworfen: In einer Anfrage, die »nd« vorliegt, wollte der Abgeordnete Jan Schiffers von der Staatskanzlei wissen, an wie vielen weiterführenden Schulen ein »Aktionstag für das Leben« durchgeführt worden war und ob es auch Schulen gebe, die in den vergangenen fünf Jahren keinen Aktionstag durchgeführt haben. Die Staatskanzlei antwortete knapp: Dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus lägen keine Daten vor. Der »Aktionstag für das Leben« werde, wie andere Projekte auch, von den Schulen im Rahmen der ihnen gegebenen Eigenverantwortung durchgeführt.

Wie viele Schulen den reaktionären Kurs tatsächlich mitmachen, bleibt unklar. Eigene Recherchen hatten ergeben, dass mindestens eine Schule, das Celtis-Gymnasium in Schweinfurt, einen solchen Tag im Jahr 2019 bereits durchgeführt habe, teilte eine Mitarbeiterin des SPD-Abgeordneten auf »nd«-Anfrage mit. Wie aus einer Mitteilung der Schule hervorgeht, war damals auch eine Mitarbeiterin von profamilia eingeladen. Das lässt immerhin darauf schließen, dass an dem »Aktionstag« an der Schule nicht nur strikte Abtreibungsgegner zu Wort gekommen sind.

Eine weitere Schule habe für 2020 einen solchen Tag geplant, dann wohl aber aufgrund der Corona-Pandemie wieder abgesagt, so die Mitarbeiterin weiter. Sie fügt hinzu: »Dass im Netz nichts weiter zu finden ist, heißt aber nicht, dass solche Tage nicht auch ohne Erwähnung auf der Webseite von Schulen durchgeführt wurden.« Auch Florian von Brunn zeigt sich besorgt. »Wir wissen nicht genau, an welchen Schulen so ein Aktionstag durchgeführt wurde«, so der SPD-Abgeordnete im Gespräch mit dem »nd«. Es sei wichtig, dass jungen Schülerinnen auch vermittelt werde, welche Konsequenzen eine Elternschaft für ihr zukünftiges Leben haben könne. Eine Antwort auf die Anfrage ist laut von Brunn erst im Februar zu erwarten.

Dass »Anti-Abtreibungstage« bisher wohl eher an wenigen bayerischen Schulen stattfanden, ist für die Schüler*innen in Bayern natürlich gut. Problematisch bleibt, dass es eine solche Richtlinie, die sich auf das deutsche Grundgesetz stützt, im Jahr 2021 überhaupt geben kann.

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