Schon wichtig, aber bitte nicht zu schnell
In Deutschland lässt die Umsetzung eines wirksamen Lieferkettengesetzes auf sich warten. Dabei wäre es dringend geboten
Ich bin für das Lieferkettengesetz« – so äußerte sich Kanzlerin Merkel Mitte Dezember während der letzten Regierungsbefragung durch das Parlament im Jahr 2020. Nun ist der Jahreswechsel vollzogen, eine neue Dekade hat begonnen, und die Verabschiedung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (2011) jährt sich bereits zum zehnten Mal. Sie sehen vor, dass Unternehmen ihre Wertschöpfungsketten und Geschäftsbeziehungen auf menschenrechtliche Risiken untersuchen und entsprechende Maßnahmen zu ihrer Vorbeugung, Abwendung und Linderung einleiten. Doch in Deutschland lässt die Umsetzung auf sich warten. Die im Rahmen der »Initiative Lieferkettengesetz« zusammengeschlossenen Menschenrechts- und Umweltorganisationen, Gewerkschaften und kirchlichen Träger fordern seit Langem einen verbindlichen Rechtsrahmen. Auch der Koalitionsvertrag sieht die Einführung eines entsprechenden Gesetzes vor, sofern freiwillige Maßnahmen von Unternehmen nicht ausreichen. Das ist offensichtlich der Fall, weshalb sich das Entwicklungs- und Arbeitsministerium inzwischen auf erste gemeinsame Eckpunkte geeinigt haben. Aber Wirtschaftsminister Altmaier, der lieber den Industrieverbänden ein offenes Ohr schenkt, blockiert und taktiert. Dem den Forderungen der »Initiative Lieferkettengesetz« ohnehin nicht entsprechenden Entwurf droht weitere Verwässerung. Diskussion und Verabschiedung im Kabinett werden immer wieder verschoben, und zwischen Merkels Aussagen in der Öffentlichkeit und Agieren hinter geschlossenen Türen herrschte stets eine gewisse Diskrepanz.
Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick auf die EU-Ebene. Im April 2020 kündigte EU-Justizkommissar Didier Reynders an, in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht vorlegen zu wollen. Und für einen (wenn auch sehr eng) definierten Unternehmensbereich gelten bestimmte Anforderungen an die Erfüllung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten bereits jetzt: Am 1. Januar 2021 ist die EU-Konfliktmineralien-Verordnung in Kraft getreten. Ihr Ziel ist komplex, in den Worten der EU-Kommission jedoch simpel formuliert: Sie soll dabei »helfen, die Verbindung zwischen Konflikten und dem illegalen Abbau von Mineralien zu zerschlagen«. Damit nimmt die Verordnung die vier so genannten »Konfliktmineralien« Zinn, Wolfram, Tantal und Gold in den Blick.
Die mit deren Abbau, Weiterverarbeitung und Handel erzielten Gewinne tragen insbesondere in der Demokratischen Republik Kongo und benachbarten Staaten zur Finanzierung von bewaffneten Gruppen, Zwangsarbeit und anderen Menschenrechtsverletzungen, aber auch Korruption und Geldwäsche bei. Während ihr Abbau dort also gravierende Konsequenzen hat, ist die Verwendung dieser Rohstoffe hierzulande so alltäglich wie selbstverständlich: Sie stecken in zahlreichen Produkten der imperialen Lebensweise, zum Beispiel in Smartphones, Laptops und Autos. Der von politischen Gegner*innen eines Lieferkettengesetz immer wieder gern vorgebrachte Appell an die individuelle Verantwortung der Verbraucher*innen stößt hier klar an seine Grenzen: Für die meisten Produkte, in denen Metalle verbaut werden, gibt es im Gegensatz zur Lebensmittel- und Textilbranche keine »fair« oder »ökologisch nachhaltig« produzierten Alternativen. Ein völliger »Verzicht« etwa auf Smartphone und Laptop verhindert in vielen Bereichen die soziale Teilhabe. So bleibt das Gebot, die Geräte gebraucht zu kaufen und so lange wie möglich zu nutzen. Andere Bereiche fallen ohnehin gänzlich außerhalb der behaupteten »Konsument*innen-Macht«, etwa der Straßen- und Maschinenbau. Deshalb braucht es den politischen Einsatz für gesetzliche Regulierung: Es ist die Aufgabe eines Staates, die Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte nicht nur zu verpflichten, sondern dies auch zu kontrollieren. Eben diese »extraterritoriale« Verantwortung von Staaten und Unternehmen benennen die UN-Leitprinzipien. Dabei wird unter anderem die risikobasierte Sorgfaltsprüfung als praktisches und wirksames Mittel genannt.
Die EU-Konfliktmineralien-Verordnung zeigt nun, wie dies für einen begrenzten Bereich aussehen kann – und welche Lücken bestehen bleiben. EU-Importeure sollen künftig die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) festgelegten Leitlinien für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht für »Mineralien aus Konflikt- und Hochrisikogebieten« einhalten. Konkret heißt das: Risiken in der Lieferkette ermitteln, eine Strategie für den Umgang mit ihnen finden, Überprüfungen durch unabhängige Dritte durchführen lassen und über diese Aktivitäten jährlich berichten. So müssen EU-Importeure jetzt das Land angeben, aus dem die Mineralien stammen, die eingeführten Mengen und Zeitpunkt ihres Abbaus beziffern sowie Namen und Anschriften ihrer Lieferanten nennen. Stammen die Rohstoffe aus Konflikt- und Hochrisikogebieten, müssen Importeure zusätzlich darüber informieren, aus welcher Mine die Mineralien kommen, an welchem Ort sie gehandelt und aufbereitet sowie welche Steuern, Abgaben und Gebühren gezahlt werden. Wenn also die politischen Gegner*innen eines Lieferkettengesetzes auf kartellrechtliche Bestimmungen und Betriebsgeheimnisse pochen, oder aber sich über die Komplexität der Anforderungen beschweren, zeigt die EU-Konfliktmineralien-Verordnung, was möglich ist.
Dabei differenziert sie jedoch zwischen »vorgelagerten« Unternehmen, die Rohstoffe abbauen, verarbeiten und veredeln – also Bergbauunternehmen, Rohstoffhändler, Hütten, Raffinerien etc. –, sowie »nachgelagerten« Unternehmen, die die Metalle zu einem »fertigen Erzeugnis« verarbeiten – also zum Beispiel Komponentenproduzenten oder die Elektronik- und Autokonzerne. Die vorgelagerten Unternehmen müssen die oben genannten verbindlichen Vorschriften zur Sorgfaltspflicht erfüllen. Nachgelagerte Unternehmen müssen dies nur tun, wenn sie »Metallerzeugnisse« einführen. Die Worte der EU-Kommission sind hier unmissverständlich: »Für Unternehmen, deren Tätigkeit nach der Metallerzeugung stattfindet, bestehen auf der Grundlage der Verordnung keine Verpflichtungen«. Während der Ausarbeitung der Verordnung war eben dies einer der zentralen Kritikpunkte der Nichtregierungsorganisationen. Indem die Verordnung nur die vorgelagerten Unternehmen adressiert, also den sogenannten Upstream von der Mine bis zur Schmelze oder Raffinerie, sind davon nur sehr wenige Unternehmen betroffen. Laut Schätzung der EU-Kommission gilt die Verordnung unmittelbar für lediglich 600 bis 1.000 EU-Importeure, die Zinn, Tantal, Wolfram und Gold als Mineralerze, Konzentrate oder verarbeitete Metalle importieren.
In den USA wird dies weitreichender geregelt. Artikel 1502 des »Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act« (DFA) verpflichtet seit 2010 alle US-börsennotierten Unternehmen zu Berichtspflichten für die Beschaffung von Konfliktmineralien. Unternehmen müssen offenlegen, ob ihre Produkte Gold, Tantal, Wolfram und Zinn enthalten. Ist dies der Fall, muss überprüft werden, ob die Rohstoffe aus der Demokratischen Republik Kongo oder benachbarten Staaten stammen. Wenn auch dies der Fall ist, muss durch eine unabhängige Überprüfung nachgewiesen werden, dass Abbau und Verkauf dieser Rohstoffe nicht zur Finanzierung nicht-staatlicher bewaffneter Gruppen beigetragen haben. Im Regelfall wird diese Aufgabe den Schmelzen und Raffinerien übertragen. Deren Anzahl ist im Vergleich zu den Bergwerken relativ überschaubar – und zugleich können sie die Rückverfolgung der Rohstoffe bis zur Mine noch vergleichsweise leicht realisieren. So sind inzwischen zahlreiche mehr oder weniger glaubwürdige Industrieinitiativen entstanden, die Schmelzen und Raffinerien als »konfliktfrei« zertifizieren: Durch externe Audits wird überprüft, ob Schmelzen und Raffinerien über Management-Systeme zur verantwortungsvollen Beschaffung von Mineralien verfügen – und nachweisen können, dass sämtliche verarbeiteten Materialien aus Quellen kommen, die nicht zur Konfliktfinanzierung beitragen.
Für die nachgelagerten Unternehmen etwa der Auto- und Elektronikindustrie bedeutet das, dass sie Schmelzen und Raffinerien in ihren Wertschöpfungsketten identifizieren und gegebenenfalls auf ihre Zertifizierung hinwirken müssen. Dank des DFA veröffentlichen große Elektronikunternehmen in den USA nun Listen, in denen sie die identifizierten Schmelzen und Raffinerien namentlich nennen sowie Angaben über ihre Zertifizierung machen. Eine vergleichbare Transparenz gibt es hierzulande nicht: Konzerne wie BMW, Daimler und VW machen in ihren Nachhaltigkeitsberichten inzwischen zwar Angaben darüber, wie viele Schmelzen und Raffinerien sie in ihren Wertschöpfungsketten identifizieren konnten. Doch es ist unklar, wie viele davon als konfliktfrei gelten können, von einer namentlichen Nennung ganz zu schweigen. Zu dieser dringend erforderlichen Transparenz bei den Downstream-Unternehmen leistet die EU-Konfliktmineralien-Verordnung kaum einen Beitrag.
Aber auch an anderer Stelle bleibt einiges im Dunkeln. So ist vorgesehen, dass staatliche Behörden, wenn sie die Importeure auf Einhaltung der Verordnung überprüfen, unter anderem die von Drittparteien vorgelegten Bedenken berücksichtigen sollen. Ein in diesem Zusammenhang umstrittener Punkt ist die Veröffentlichung der Liste der Importeure, die von der EU-Verordnung direkt betroffen sind. Dafür machten sich europäische Nichtregierungsorganisationen stark – mit der Begründung, dass ansonsten wichtige Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt werden. Für die tatsächliche Erfüllung der Sorgfaltspflichten müsse auch Transparenz darüber herrschen, wer sie zu leisten habe – und diese Information für Dritte, also beispielsweise Presse sowie Nichtregierungsorganisationen, einsehbar sein. Die Freigabe der Information sei eine »politische Entscheidung« der einzelnen Mitgliedsstaaten, schrieben 19 Organisationen im Frühjahr 2020. Während sich beispielsweise Österreich für eine Bekanntgabe der unter die Verordnung fallenden Unternehmen entschieden hat, ist dies in Deutschland nicht der Fall. Das für das Durchführungsgesetz zuständige Wirtschaftsministerium übt sich in Zurückhaltung – auch wenn es um die potenzielle Bestrafung der Unternehmen geht. Wirkliche Sanktionsmöglichkeiten gibt es nicht. Die EU-Kommission selbst schreibt lediglich, die staatlichen Behörden sollen »sicherstellen, dass das Unternehmen dieser Anweisung Folge leistet«.
Ob und wie dies geschehen wird, bleibt abzuwarten. Ebenfalls abzuwarten bleibt, ob tatsächlich noch in dieser Legislaturperiode ein Lieferkettengesetz verabschiedet wird, das den Anforderungen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte gerecht wird. Dabei offenbart die Umsetzung der EU-Konfliktmineralien-Verordnung die Gefahren der Verwässerung, wenn eine derartige Gesetzesinitiative ihre Runden durch europäische wie nationale Räte, Ministerien und Parlamente dreht. Und sie zeigt die Komplexität des Themas auf: Wie kann eine effektive Kontrolle der extraterritorialen Aktivitäten von Unternehmen durch staatliche, aber auch zivilgesellschaftliche Akteure geschehen? Wer gewährleistet etwa die Glaubwürdigkeit jener Initiativen, die Zertifizierungen ausstellen – ob nun für »konfliktfreie« Schmelzen und Raffinerien oder »sozial und ökologisch nachhaltig« produzierte andere Waren? Wäre eine Verkürzung der Wertschöpfungsketten bei gleichzeitiger Transparenz über die Zulieferer nicht effektiver? Welche Anpassungen des Zoll- und Unternehmensrechts erfordert dies? Im Duktus der Nichtregierungsorganisationen ist die EU-Konfliktmineralien-Verordnung der viel beschworene »erste Schritt in die richtige Richtung«. Das stimmt. Und es bleiben noch viele weitere Schritte zu gehen.
Merle Groneweg arbeitet bei der deutschen Nichtregierungsorganisation Powershift, die sich für eine ökologisch und sozial gerechte Wirtschaftsordnung einsetzt. https://power-shift.de
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