»Kleiner Wandel« mit großer Wirkung

Sehr erfolgreiche Soliaktion aus Österreich für Lesbos

  • Johannes Greß
  • Lesedauer: 5 Min.

Nach einem Aufenthalt im vergangenen Oktober und November befinden Sie sich nun das das zweite Mal auf der griechischen Insel Lesbos, um sich ein Bild von der Situation im Flüchtlingslager Kara Tepe zu machen. Hat sich dort in den vergangenen Monaten viel verändert?

Ich kann leider nicht behaupten, dass sich die Lage im Camp grundsätzlich verbessert hat. Seit drei Wochen gibt es hier jetzt etwa 50 Duschen, die sich allerdings 8 000 Menschen teilen müssen. Die Bewohner*innen können entsprechend nur einmal in der Woche für ein paar Minuten warm duschen. Eine »Verbesserung« möchte ich das nicht nennen, denn 50 Duschen für alle sind doch ein Witz. Zudem leiden die Menschen in dieser Jahreszeit besonders: Durch einen tagelangen Starkregen wurde das Gelände vollkommen unter Wasser gesetzt. So arg wie jetzt habe ich das bei meinem Aufenthalt hier im Herbst nie erlebt. Das Camp ist sozusagen ein einziger See, überall läuft Wasser hinein. Und für diese Woche sind nachts Temperaturen um den Gefrierpunkt vorhergesagt und für Freitag sogar Schneefall. Von den Verantwortlichen werden dafür aber keinerlei Vorbereitungen getroffen, es gibt für die Bewohner*innen also keine zusätzlichen Zelte oder Heizungen. Von Verbesserungen kann in Kara Tepe also beim besten Willen keine Rede sein.

Fayad Mulla
Der 1980 geborene Politiker lebt in Wien und ist Vorsitzender der 2012 gegründeten österreichischen Partei Wandel, die den globalen Kapitalismus kritisiert und unter anderem für ein bedingungsloses Grundeinkommen und eine Krisenabgabe für Überreiche eintritt. Mulla war bereits als Entwicklungshelfer im Nordirak und als Systemkoordinator bei SOS-Kinderdörfer tätig.

Noch vor Weihnachten hatte Ihre Partei »Wandel« einen Spendenruf gestartet mit dem Ziel, einen Lkw voll mit Hilfsgütern ins Flüchtlingscamp Kara Tepe nach Lesbos zu schicken. Insgesamt sind es nun bereits vier Lastwagen geworden, ein weiterer Transport ging ins Flüchtlingslager Lipa bei Bihać in Bosnien. Hatten Sie mit so viel Hilfsbereitschaft in Österreich gerechnet?

Als ich Ende Oktober nach Lesbos kam, habe ich bei der griechischen NGO Home for All mitgearbeitet. Bei den Besuchen im Camp bemerkte ich, dass es hier an unglaublich vielen notwendigen Dingen mangelt – von Hygieneartikeln über Kleidung bis hin zu Nahrungsmitteln. Wir als Wandel haben daraufhin beschlossen, eine Hilfsaktion zu starten. Unsere Idee bei der »Wir-helfen-Lesbos«-Aktion war es, eine Lasterladung an Sachspenden zu sammeln. Das Aufkommen an Spenden ist dann regelrecht explodiert. Die Menschen haben extrem viele Kleidungsstücke gespendet, ebenso Hygieneartikel und Lebensmittel – und zusätzlich rund 45 000 Euro. Mit den Geldspenden haben wir die Transporte von 40 Tonnen an Winterkleidung, Winterausrüstung, Spielzeug, Hygieneprodukten und Lebensmitteln nach Griechenland finanziert und zusätzlich direkt auf Lesbos in für das Camp benötigte Waren investiert. 10 000 Euro haben wir dazu an »Home for All« weitergegeben, die täglich Mahlzeiten für Menschen in Not kocht, auch für diejenigen, die spezielles Essen brauchen, wie etwa Diabetiker*innen oder Hochschwangere. Insgesamt schickt also »der kleine Wandel« mehr Hilfsgüter nach Lesbos als die Österreichische Regierung. Das zeigt auch, wie unwillig die türkis-grüne Regierung ist, wirklich zu helfen.

Was passiert mit den für Kara Tepe gelieferten Hilfsgütern nun vor Ort?

Außer mir sind noch drei weitere Wandel-Mitglieder hier, um die Spenden zu sortieren und ihre Verteilung zu organisieren. Wir haben dafür ein elektronisches Abfrage- und Logistiksystem entwickelt. Helfer*innen gehen im Lager von Zelt zu Zelt und nehmen dort auf, was ihre Bewohner*innen benötigen – also, welche Kleidungsstücke ihnen fehlen, in welchen Größen und so weiter. Das wird dann von uns zusammengestellt und ins Camp gebracht.

Die Österreichische Bundesregierung weigert sich nach wie vor, auch nur einen einzigen Flüchtling aus den griechischen Lagern im Land aufzunehmen. Wie bewerten Sie diese Haltung?

Viele hegten ja die Hoffnung, dass sich Bundeskanzler Sebastian Kurz wenigstens zu Weihnachten, der Zeit der Nächstenliebe, und aufgrund der Wortmeldungen einiger Kirchenvertreter von seiner Position abbringe ließe – aber nicht einmal da hat sich Kurz in irgendeiner Weise erweichen lassen. Ich kann auch nicht behaupten, dass sich die Grünen für eine liberalere Haltung eingesetzt hätten. Dabei haben die Grünen ja in der Vergangenheit stets behauptet, dass die Menschenrechte für sie ein ganz zentrales Thema sei. Der inhumane Umgang mit Flüchtlingen müsste demnach für sie eigentlich eine rote Linie sein. Das heißt, wenn sich in der Asylpolitik nichts bewegt, dann müsste das Konsequenzen haben, beispielsweise, indem die Grünen Vorhaben blockieren, die dem Koalitionspartner ÖVP wichtig sind. Die letzte Konsequenz wäre, zu sagen, wir können nicht mehr gemeinsam Politik machen. Aber die Grünen haben solche roten Linien offenbar nicht mehr.

Wie geht es nach der Initiative für Lesbos nun weiter?

Unsere Aktion endet zwar damit, dass wir die Hilfsgüter nun möglichst schnell an die Menschen vor Ort verteilen. Unser Ziel bleibt, dass man politisch an die Wurzel des Problems geht – und das ist noch mal etwas anderes als Hilfe vor Ort. Prinzipiell ist unsere Aufgabe als Partei eine politische und die politische Arbeit steht im Vordergrund: Wir wollen in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit für unsere Themen und Positionen gewinnen und erfolgreich bei Wahlen antreten. Wirkliche Hoffnung, dass sich an der Situation auf Lesbos und an ähnlichen Orten etwas ändert, kann es erst geben, wenn keine Rechten mehr an der Macht sind – egal, ob sie Salvini, Orbán oder Kurz heißen. Dazu beizutragen, das ist unsere Aufgabe. Wir wollen die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern, dazu treten wir auch bei Wahlen an.

Menschen fliehen vor Kriegen, Bürgerkriegen, vor Perspektivlosigkeit, vor absoluter Armut, vor der Klimakrise: An diese Probleme müssen wir rangehen, also an die Fluchtursachen. Wir müssen das unterbinden, was Kriege, Geheimdienstoperationen und westliche Konzerne in diesen Ländern an Katastrophen verursachen. Tragen wir nicht länger Kriege in schwächere Länder, beuten wir deren Rohstoffe nicht mehr aus, zerstören wir mit unserer Marktmacht nicht deren lokale Märkte – das ist der einzige Weg, wie wir das Problem Flucht auf Dauer lösen werden können.

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