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»Der neue US-Präsident muss Guantánamo schließen«
Maja Liebing, USA-Expertin bei Amnesty International in Deutschland, erinnert an ein altes Versprechen von Joe Biden
Im Januar 2002 wurde im Zuge des »Kriegs gegen den Terror« nach den Anschlägen vom 11. September 2001 das Gefangenenlager auf dem US-Militärstützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba eingerichtet. Wie ist die heutige Situation? Wie viele Gefangene sind dort? Stehen Verhandlungen des Militärtribunals an?
19 Jahre nach Eröffnung des Gefangenenlagers sind noch immer 40 Männer in Guantánamo inhaftiert, die seit zwölf bis 19 Jahren dort festgehalten werden. Einer der Häftlinge wurde im Jahr 2008 von einer Militärkommission, die nicht den internationalen Standards für ein faires Verfahren genügt, zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Gegen sieben Männer laufen aktuell Verfahren vor Militärkommissionen, sechs von ihnen droht die Todesstrafe. Voraussichtlich drei weiteren Männern soll ebenfalls vor Militärkommissionen der Prozess gemacht werden. Sechs Häftlinge sind für die Freilassung vorgesehen. Die übrigen Häftlinge sollen vermutlich weiter ohne Anklage und Gerichtsverfahren auf unbegrenzte Zeit inhaftiert bleiben.
Die Politologin ist USA-Expertin bei Amnesty International in Deutschland. Ein aktueller Bericht der Menschenrechtsorganisation zum Lager Guantánamo dokumentiert eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen an den Gefangenen ebenso wie geheime Überstellungen, Verhöre ohne Kontakt zur Außenwelt, Zwangsernährung von Hungerstreikenden, Folter, Verschwindenlassen. Mit Liebing sprach für »nd« Rudolf Stumberger.
Aus welchen Quellen unterrichtet sich Amnesty International über Guantánamo?
Amnesty International nutzt eine Vielzahl von Quellen, um sich über die Situation in Guantánamo zu informieren. Hierzu gehören etwa öffentlich zugängliche Quellen, vor Gerichten eingereichte Unterlagen der Regierung sowie der Kontakt zu Anwält*innen. Außerdem hat Amnesty im Laufe der Jahre mehrmals Beobachter*innen zu den Anhörungen vor Militärkommissionen entsendet.
Das Lager und die Menschenrechtsverletzungen sind weitgehend aus der öffentlichen Diskussion verschwunden. Stimmt dieser Eindruck?
In den letzten Jahren wurde tatsächlich weniger über Guantánamo berichtet. Dies mag zum einen daran liegen, dass andere Themen das öffentliche Interesse dominiert haben. Zum anderen hat sich unter dem nun abgewählten US-Präsidenten Donald Trump sehr wenig an der unhaltbaren Situation in Guantánamo getan. Während unter der Regierung von Barack Obama, der von 2009 bis 2017 im Amt war, zahlreiche Häftlinge freigelassen wurden, wurde in vier Jahren Trump nur ein Häftling aus Guantánamo entlassen. Dass Guantánamo aus dem Blick geraten ist, ist fatal, da das Lager noch immer einen gefährlichen Präzedenzfall für mangelnde Rechtsstaatlichkeit und Straflosigkeit, für Folter und illegale Überstellungen darstellt.
Hatte sich die Haltung der US-Regierung zum Lager unter Trump gegenüber Obama verändert?
Obama hatte zu Beginn seiner Amtszeit versprochen, Guantánamo zu schließen. Auch, wenn er dieses Versprechen nicht umgesetzt hat, hat er im Laufe seiner achtjährigen Amtszeit zumindest zahlreiche Häftlinge entlassen. Im Gegensatz dazu kündigte Trump zu Beginn seiner Amtszeit an, sogar neue Häftlinge nach Guantánamo überstellen zu lassen. Dies ist zum Glück nicht geschehen. Allerdings hat er auch keinerlei Anstrengungen unternommen, Guantánamo zu schließen und eine Lösung für die verbleibenden Häftlinge zu finden.
Was kann man vom neuen US-Präsidenten Joe Biden diesbezüglich erwarten?
Joe Biden hat 2009 - damals als Vizepräsident von Obama - versprochen, Guantánamo zu schließen. Wir erwarten, dass er dieses Versprechen nun in die Tat umsetzt. Wir fordern, alle verbliebenen Häftlinge entweder in einem fairen Verfahren anzuklagen oder freizulassen. Zudem müssen die Folterfälle der Bush-Administration aufgearbeitet und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Welche Haltung nimmt eigentlich die Bundesregierung ein?
In den Anfangsjahren war die Politik der deutschen Regierung zum rechtsfreien Raum Guantánamo erschreckend zögerlich. In den vergangenen zehn Jahren hat die Bundesregierung jedoch wiederholt die Schließung des Lagers gefordert und auch mehrere Häftlinge aufgenommen.
Wie stark ist in den Vereinigten Staaten die Bewegung für die Schließung des Camps?
In den USA hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten eine engagierte Bewegung aus Menschenrechtsorganisationen, Anwält*innen und Aktivist*innen für die Schließung Guantánamos gebildet. Sie setzen sich sowohl gegen die unbegrenzten Inhaftierungen und für die Schließung des Lagers wie auch für die Aufarbeitung der Folter ein.
Gibt es dazu internationalen Druck auf die US-Regierung?
In der Vergangenheit gab es sicherlich mehr internationalen Druck für die Schließung Guantánamos. Unter Präsident Trump sind andere Themen in den Fokus gerückt. Wir hoffen, dass das Thema unter Präsident Biden an neuer Dynamik gewinnt und sich die Bundesregierung und weitere Länder vehement für die Schließung Guantánamos einsetzen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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