Hilferuf an internationale Gemeinschaft
Tamilisches Bündnis auf Sri Lanka will unabhängige Untersuchung von Kriegsverbrechen erreichen
Die Zahl 40 000 steht im Raum. In dieser Dimension bewegen sich die umstrittenen Todesfälle aus dem Jahr 2009 in Sri Lanka. In einer finalen, brutalen Militäroffensive war es der Armee damals gelungen, die Rebellen der um einen eigenen Tamilenstaat kämpfenden Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) endgültig zu besiegen.
Die drei wichtigsten tamilischen Parteienbündnisse - die etablierte Tamilische Nationalallianz (TNA) sowie die jüngeren Formationen Tamil National People’s Front (TNPF) und Tamilische Nationale Volksallianz (TMTK) - haben sich nun in einem Brief an den UN-Menschenrechtsrat (UNHRC) mit Sitz in Genf gewandt. Ähnlich wie im Falle Syriens soll es in Nepal einen internationalen Mechanismus geben, um Vorwürfen zu Kriegsverbrechen nachzugehen, fordern die Unterzeichnenden von den 47 Mitgliedsnationen des UNHRC. Die Sonderkommission soll demnach ein auf zwölf Monate beschränktes Mandat haben. Forderungen dieser Art aus den Reihen der Minderheit sind keineswegs neu, die Geschehnisse vor zwölf Jahren prägen noch immer als kaum vernarbte Wunde den Inselstaat. Im Mai 2009 wurde nach 26 Jahren der blutige Bürgerkrieg damit formell beendet, nahezu die komplette Führungsriege der LTTE kam bei den Kämpfen ums Leben. Zahlreiche einfache LTTE-Mitglieder und Kader der mittleren Ebene gelten bis heute als vermisst.
Was zum Gesamtbild gehört: Der heutige Premierminister Mahinda Rajapaksa war damals als Präsident derjenige, der die Armee in Marsch setzte und für alles die letztgültige Verantwortung trug. Sein jüngerer Bruder Gotabaya hatte seinerzeit den Posten des Verteidigungsministers inne. Als dessen rechte Hand war er unmittelbar zuständig für die Offensive und die nachfolgende Besetzung des tamilisch dominierten Inselnordens durch Soldaten; derzeit ist er Sri Lankas Staatsoberhaupt. Mit der Rückkehr an die Macht des einst dominierenden Familienclans im vergangenen Jahr sehen die politischen Vertreter der Tamilen jede Chance als vergebens an, die im Raum stehenden Fragen und Vorwürfe auf nationaler Ebene unabhängig zu untersuchen. Der Brief an den UN-Menschenrechtsrat (UNHRC) wirkt da wie ein letzter Rettungsruf, mehr als ein Jahrzehnt später nicht endgültig den Mantel des Schweigens über dieses blutige Kapitel zu decken. Das hätte nämlich die von den Rajapaksas angeführte Front der singhalesischen Nationalisten aus dem Süden gerne.
Schon zu seiner Amtszeit als Präsident (2005 bis 2015) hatte Mahinda Rajapaksa sich vehement gegen jeden Versuch gewehrt, UN-Gliederungen direkt einzubeziehen, um die Geschehnisse aufzuarbeiten. Erst wenige Tage ist es her, seit sich auch Ahimsa Wickrematunge an den UN-Menschenrechtsrat gewandt hat: Am 8. Januar jährte sich zum zwölften Mal der Tod ihres Vaters Lasantha Wickrematunge. Er, damals Redakteur der Zeitung »The Sunday Leader«, galt als einer der renommiertesten regierungskritischen Journalisten jener Ära. Wenige Tage, bevor er vor einer Untersuchungskommission aussagen sollte zu Korruptionsvorwürfen gegen Verteidigungsminister Gotabaya Rajapaksa in Zusammenhang mit einem Kampfjet-Kauf, kam er auf dem Weg zur Arbeit bei einem mutmaßlichen Mordanschlag ums Leben. Auch dass in diesem Fall erneut gewühlt würde, käme dem heutigen Präsidenten und seinem Bruder denkbar ungelegen.
Nach dem Machtwechsel in Colombo Anfang 2015 hatte das neue Staatsoberhaupt Maithripala Sirisena der internationalen Gemeinschaft noch eine eigenständige Aufarbeitung des unrühmlichen Kapitels in Aussicht gestellt - nach drei Resolutionen seit 2013 sah der UNHRC von weiteren Maßnahmen zunächst ab. Wirklich in Gang kam das Projekt aber nie, auch weil bald interne Streitigkeiten aufkamen und den Prozess blockierten. Seit nun wieder die Rajapaksas regieren, sieht es indes noch düsterer aus. Die Tamilenparteien wollen, dass sich UNHRC bei seiner nächsten Tagung im März mit dem Anliegen beschäftigt.
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