Teilchenbeschleuniger im Schuhkarton

Forscher stellen ein Konzept für Elektronenbeschleuniger auf Siliziumchips vor, das neue Behandlungsmethoden in der Krebstherapie ermöglicht.

  • Sabrina Patsch
  • Lesedauer: 4 Min.

Der European XFEL in Hamburg ist eine Forschungseinrichtung der Superlative. Die Abkürzung XFEL steht für X-Ray Free-Electron-Laser, also einen Röntgenlicht-Laser, der mit freien Elektronen funktioniert. In der ersten Hälfte des XFEL werden Elektronen auf einer 1,7 Kilometer langen, geraden Strecke fast bis zur Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Der Energiegewinn ist enorm: die Elektronen, die den Beschleuniger pro Sekunde verlassen, haben genauso viel Energie wie ein Elefant im vollen Lauf. Anschließend werden die Elektronen periodisch von ihrer Flugbahn abgelenkt, wobei sie kurze Röntgenpulse freisetzen - ähnlich wie ein Laser - mit denen man quasi wie in einem Mikroskop Bewegung und Struktur einzelner Moleküle »sehen« kann.

Wissenschaftler des internationalen Forschungsprograms ACHIP (Accelerator on a Chip) der Gordon and Betty Moore Foundation untersuchen das andere Extrem und versuchen Miniatur-Beschleuniger auf Mikrochips zu bauen. Das Ziel ist ein günstiger und einfach herzustellender Teilchenbeschleuniger, der mitsamt aller notwendigen Bauteile in einen Schuhkarton passt. An dem Projekt ist auch das Team von Uwe Niedermayer und Oliver Boine-Frankenheim von der Technischen Universität Darmstadt beteiligt. Sie stellten kürzlich in der Fachzeitschrift »Physical Review Letters« (DOI: 10.1103/PhysRevLett.125.164801) ein Konzept vor, mit dem Elektronenbeschleuniger auf Millimetergröße geschrumpft werden könnten.

Die Miniatur-Beschleuniger funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie klassische Hochfrequenz-Linearbeschleuniger: Elektronen sind negativ geladene Teilchen und werden in elektrischen Feldern beschleunigt. Deshalb werden sie elektrischen Wechselfeldern ausgesetzt, die mit einer hohen Frequenz ihre Richtung ändern. Das schwingende Feld allein würde die Elektronen jedoch abwechselnd beschleunigen und abbremsen. Durch eine geschickte Bauweise werden die Elektronen vor dem bremsenden Teil abgeschirmt, sodass nur der beschleunigende Teil des Feldes übrig bleibt. Die Länge des Beschleunigers hängt dabei direkt von der Frequenz der Wechselspannung ab: Je größer die Frequenz, desto kleiner der Beschleuniger.

Der Trick, um Teilchenbeschleuniger zu verkleinern, ist, Felder mit einer höheren Frequenz zu verwenden. Bereits 2013 führten Forscher der Stanford University das erste Experiment zur Beschleunigung von Elektronen mit einem infraroten Laser durch. Das Licht des Lasers besteht aus elektrischen und magnetischen Feldern, die rund zehntausend Mal schneller schwingen als die Felder im XFEL. Um den bremsenden Teil der Strahlung einzudämmen, werden die Elektronen durch zwei Reihen winzig kleiner Säulen aus Quarzglas geführt - wie durch eine von Bäumen gesäumte Allee. Das Glas verstärkt das elektrische Feld des Lasers zwischen den Säulen, in den Lücken bleibt es unverändert. Wenn die Elektronen während der beschleunigenden Phase die Säulen und in der bremsenden Phase die Lücken passieren, werden sie auf ihrem Weg durch die Allee stärker beschleunigt als abgebremst.

Die winzigen Dimensionen der Beschleunigerchips stellten das Team in Stanford jedoch vor neue Herausforderungen. Die Elektronen fliegen gebündelt durch die Allee, und damit die Bündel nicht entlang der Flugbahn verschmieren, müssen sie kürzer sein als die Säulen breit. Außerdem ist die Allee hundertmal schmaler als ein Haar, und der Elektronenstrahl muss präzise fokussiert werden, damit die Teilchen nicht gegen die Säulen prallen.

Das Team der TU Darmstadt versucht beide Probleme mit einer verbesserten Architektur zu lösen. Vor zwei Jahren zeigten sie, dass präzise gesetzte Lücken in der Säulenreihe das Auseinanderlaufen des Teilchenstrahls verhindern und die Elektronenpakete bündeln. Die Grundidee ist, den Elektronenstrahl abwechselnd entlang der Flugrichtung und quer dazu zu fokussieren. Nach oben und unten konnten sie die Elektronen jedoch nur teilweise unter Verwendung eines Magneten fokussieren.

In ihrem jüngst vorgestellten Konzept kommen sie ohne externe Bauteile aus. Statt dessen ändern sie den Aufbau der Säulen. Die setzen sich jetzt aus Glas- und Siliziumschichten zusammen. Die beiden Materialien verstärken das Laserlicht unterschiedlich stark und fokussieren den Elektronenstrahl dadurch ähnlich wie eine Linse. Die Säulen lassen sich mit der gängigen Lithographietechnik wie bei Computerchips einfach und kostengünstig herstellen. »Damit könnte jedes Universitätslabor sich einen eigenen Elektronenbeschleuniger leisten«, wird Niedermayer im Magazin »hoch³FORSCHEN« der TU Darmstadt zitiert.

Die Energie der Elektronen aus dem Laserbeschleuniger ist gut tausendmal kleiner als beim riesigen XFEL. Das ist nicht zwangsläufig ein Nachteil, denn verschiedene Anwendungen benötigen verschiedene Strahleigenschaften. In der Strahlentherapie werden Elektronen mit dieser geringeren Energie verwendet, um Tumore zu bekämpfen. Eines Tages könnten die winzigen Laserbeschleuniger direkt am Ende eines Endoskops befestigt werden, um Tumorzellen aus der Nähe zu bestrahlen ohne das umliegende Gewebe zu schädigen.

Die Miniatur-Beschleuniger werden die konventionellen Geräte aber auf lange Sicht nicht ersetzen, meint Thorsten Kamps von der Humboldt-Universität und dem Helmholtz-Zentrum Berlin. »Ich denke, dass diese neuen Beschleuniger komplementär zu den konventionellen Ansätzen sind und neue Möglichkeiten erschließen«, sagt er. »Die vielen Anwendungen von Beschleunigern fragen viele verschiedene Strahleigenschaften ab. Wir sind jetzt an dem Punkt, wo wir für diese Eigenschaften spezielle Beschleuniger entwickeln - die Werkzeugkiste wird voller und die Werkzeuge spezieller.«

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