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  • Rechtsextremismus in Berlin

Die Pandemie radikalisiert

Meldestelle erfasst Rekordhoch von rechten Vorfällen in Berlin-Lichtenberg

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wir haben ein Rekordhoch«, sagt Sabrina Apicella von den Lichtenberger Registern. Die Meldestelle für rassistische und antisemitische Vorfälle hat im Jahr 2020 die höchste Zahl rechter Taten ihrer Geschichte erfasst. Mit 410 Meldungen liegt die Zahl noch über dem bisherigen Rekord im Jahr 2016 mit seinen flüchtlingsfeindlichen Protesten (334) und weit höher als im vergangenen Jahr (258). Die Zahlen präsentierte die Registerstelle am Freitagabend bei einer Online-Veranstaltung. Den Grund für den Anstieg sehen die Antirassist*innen in Lichtenberg zum Teil in den verschwörungsideologischen Propaganda-Taten im Zusammenhang mit der Pandemie.

Doch auch im Lockdown geschehen rassistische und neonazistische Gewalttaten: So gab es beispielsweise im Juni vergangenen Jahres gleich mehrere schwere Angriffe im Bezirk. In einem Fall ging ein Neonazi mit einem Schraubenschlüssel auf die Nachbarschaft los. Eine Person wurde am Kopf verletzt. Zuvor hatten die Anwohner*innen sich darüber beschwert, dass der Neonazi den Hitlergruß vom Balkon gezeigt hatte.

Das Register erfasste auch mehrere Vorfälle, die überregional Schlagzeilen machten. Der Brandanschlag auf die Bar »Morgen wird besser« wurde über die Bezirksgrenzen hinaus publik, da die Vermutung nahe liegt, dass er von Rechten begangen wurde. Neonazis hatten den jüdischen Besitzer schon zuvor im Kiez beleidigt und auch die nach dem Brand folgenden Solidaritätskundgebungen mit der Kneipe wurden durch rechtsextreme Flyer diffamiert.

Ein großer Teil der Vorfälle geht wahrscheinlich auf das Konto eines oder mehrerer rechtsradikaler Sprayer: »Die Zahl der Hakenkreuze nahm im September massiv zu«, sagt der Register-Mitarbeiter Michael Mallé. 62 Vorfälle mit dem verbotenen Symbol nahm die Stelle im gesamten Jahr auf. Besonders im Dezember häuften sie sich. Die Polizei konnte zuletzt eine Person dabei auf frischer Tat erwischen. Und auch der Kiez ist wachsam: Die Schmierereien seien immer schnell gemeldet worden, lobt Mallé. Einige wurden sogar selbstständig entfernt.

Das lässt sich nicht für alle Propaganda-Taten sagen: 340 Aufkleber, Parolen an Hauswänden oder auf Gehwegen, die rassistischen, antisemitischen oder verschwörungsideologischen Inhalt verbreiteten, zählt die Registerstelle für das vergangene Jahr. Dafür seien vor allem Einzelpersonen verantwortlich, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie Verschwörungserzählungen verbreiten: »Besonders im Lockdown haben diese vielfältige Aktivitäten entfaltet«, so Mallé. Das für die antisemitische QAnon-Verschwörung stehende Q wurde im Bezirk häufig mit Kreide gemalt.

Für Mallé sind diese Taten »ein Warnsignal«, das Aufschluss über die Radikalisierung gibt, die bevorsteht oder schon im Gange ist. Das ist in dem Ostbezirk besonders heikel. »In Lichtenberg gibt es noch eine aktive und gut organisierte Neonazi-Szene«, so Mallé. Die könnte von der Radikalisierung Einzelner profitieren. Und genau das ist auch ihr Ziel. Als im Oktober die Neonazi-Partei »Der III. Weg« durch Hohenschönhausen lief, wollten die Rechten den Kiez für sich gewinnen und sich dort verankern. An dem Tag selbst gelang dies nicht, da Antifaschist*innen sie blockierten. Generell lässt sich aber sagen, dass die Neonazis vom III. Weg im Gegensatz zur NPD und auch zu neurechten Akteur*innen wie den Identitären im Bezirk erfolgreich sind. Die Partei bindet junge Neonazis an sich, viele Vorfälle gehen wohl auf sie zurück.

Bis das gesamte Bild im Kiez erfasst ist, wird es noch ein paar Wochen dauern: »Wir bekommen noch Nachmeldungen«, sagt Apicella. Die Entwicklungen geben den Register-Mitarbeiter*innen trotzdem schon jetzt zu denken. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Neben der Schließung der Neonazi-Kneipe »Zapfhahn 88« formiert sich die Zivilgesellschaft mehr und mehr, sagt Mallé: »Wir haben ein engagiertes Netz von Melder*innen.«

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