Indien impft im Rekordtempo

Seit einigen Tagen läuft in dem bevölkerungsstarken Land die »größte Impfkampagne der Welt«

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.

Es sind Größenordnungen, von denen andere Staaten nur träumen können: Allein am ersten Tag der vor gut einer Woche gestarteten Corona-Impfkampagne in Indien haben 190 000 Menschen die erste Dosis verabreicht bekommen, binnen vier Tagen wuchs die Zahl der Geimpften nach Regierungsangaben bereits auf 631 000. Im Fokus stehen zunächst die Menschen an der sogenannten Corona-Frontlinie: landesweit 30 Millionen Ärzt*innen und Angehörige des Pflegepersonals, aber auch Sicherheitskräfte und einige andere Berufsgruppen. Bis der größte Teil von ihnen tatsächlich geimpft sein wird, wird es selbst mit den aktuellen Kapazitäten aber eine Weile dauern. Landesweit sind 3006 Impfzentren eingerichtet worden. Erklärtes Ziel ist es, dass dort zunächst je 100 Menschen täglich geimpft werden sollen. Mittelfristig soll das Ganze dann weiter an Fahrt aufnehmen. In Phase zwei sind auch alle Menschen über 50 impfberechtigt.

Dass nun geimpft werden kann, ist ein echter Hoffnungsschimmer für das südasiatische Land, das nach den USA am stärksten von der Corona-Pandemie betroffen ist. Gut 10,5 Millionen Infektionen stehen bisher zu Buche, ebenso weist die Statistik rund 153 000 Todesfälle in Zusammenhang mit einer Corona-Infektion aus. Nach einem zunächst scharfen Lockdown, der die erste Ausbreitung auf dem Subkontinent noch begrenzte, gab es im hiesigen Spätsommer sogar eine Phase, in der es zwischen 60 000 und 80 000 Neuinfizierte am Tag gab. Von solchen Werten ist man inzwischen mit etwa 10 000 Fällen pro Tag zwar wieder entfernt, dennoch hat das Virus inzwischen nahezu jeden Winkel des riesigen Landes erreicht.

Bis in die Breite der Bevölkerung geimpft werden kann, müssen die Kapazitäten in Produktion und Ausgabe noch deutlich erweitert werden. Zu den Impfkandidat*innen der ersten Stufe gehören beispielsweise Militärärzt*innen, Krankenschwestern und Sanitätskräfte in abgelegenen Regionen wie Ladakh am Südrand des Himalaya oder auf der Inselgruppe der Andamanen und Nicobaren. Erklärtes Ziel ist, bis Juli/August mindestens 300 Millionen Menschen geimpft zu haben. Lange hatte auch die Regierung in Delhi auf die ersten Impfstoffe westlicher Konsortien gewartet. Eines der beiden jetzt verwendeten Präparate stammt aus diesen Reihen - das von Wissenschaftlern der Universität Oxford in Kooperation mit dem britischen Pharmakonzern AstraZeneca entwickelte Covishield.

Der zweite Impfstoff ist eine Eigenentwicklung: Covaxin des Herstellers Bharat Biotech, in Zusammenarbeit mit einem Regierungsinstitut entwickelt. Zwar hat auch dieser seine amtliche Notzulassung im verkürzten Verfahren erhalten, doch es gibt gegen ihn einige Vorbehalte. Nicht alle klinischen Tests der dritten Phase sollen abgeschlossen sein. Indische Mediziner wurden deshalb in den einheimischen Medien bereits mit der Forderung zitiert, vorrangig Covishield zu impfen, um die Akzeptanz zu erhöhen. Auch etliche Menschen im medizinisch-pflegerischen Bereich verweigern sich wohl auch deshalb der Impfung. Dr. Paul, Vorstandsmitglied Gesundheit beim regierungsberatenden Thinktank Niti Aayog, betonte allerdings gegenüber dem Sender NDTV, dass beide Präparate sicher seien und Zurückhaltung damit ungerechtfertigt: »Die muss enden. Impfung ist das einzige, was uns von dieser Kalamität retten kann.«

Tatsächlich wurden in den ersten Tagen nur 580 Fälle mit allergischen Reaktionen und anderen kleineren Problemen regis-triert. Drei Menschen - zuletzt ein Gesundheitsarbeiter im südlichen Bundesstaat Telangana - starben, doch diese Todesfälle sind nach bisherigen Erkenntnissen nicht auf die Impfstoffe zurückzuführen.

Covishield wird in enger Kooperation mit den Entwicklern beim Serum Institute of India in Pune, dem größten Impfhersteller weltweit, produziert. Indien setzt zudem Zeichen der Solidarität: Eine größere Ladung geht als Hilfe an die ärmeren Nachbarstaaten. Die Malediven waren am Mittwoch mit 100 000 Dosen Covishield der erste Empfänger, in Bangladesch folgte eine erste Flugzeugladung tags darauf. Nepal soll eine Million Dosen aus diesem Hilfsfonds erhalten, auch das kleine Bhutan, Myanmar und die Seychellen dürfen sich auf Lieferungen freuen. Der hindunationalistische Premier Narendra Modi nutzt gern diese Chance für positive Publicity.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.