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Im Würgegriff
Wie westliche Sanktionen in Syrien den Unternehmen und Menschen schaden
»Eine Journalistin aus Deutschland sind Sie? Herzlich willkommen hier bei uns in Scheich Najjar, aber sagen Sie Ihrer Bundeskanzlerin, sie soll die Exportbedingungen für uns endlich lockern. Sehen Sie sich an, was für ein bürokratischer Aufwand betrieben werden muss, bis wir ein Ersatzteil für unsere Maschinen bestellen können!«
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
In Begleitung seines persönlichen Assistenten ist Faisal Ghajar im Eilschritt in das Büro des Empfangschefs gekommen, um mich zu begrüßen. Zornesfalten stehen ihm auf der Stirn, als er den Sicherheits- und Empfangschef Bassam Dawalibi anweist, mir ein Schreiben zu zeigen. Der steckt mir rasch eine Corona-Schutzmaske mit der Inschrift »Al-Feisal Spinnery« zu, dann breitet er das Schreiben auf einem Tisch aus.
Noch bevor Dawalibi Einzelheiten erklären kann, donnert Feisal Ghajar: »So etwas hier muss die Firma jedes Mal schreiben, wenn wir ein Ersatzteil für unsere Maschinen bestellen. Lesen Sie das durch, dann verstehen Sie vielleicht, was für eine Zumutung dieser Vorgang für uns ist.«
Etwas ruhiger fügt er dann hinzu: »Bitte nehmen Sie es nicht persönlich, aber Sie müssen verstehen, nach allem, was wir durchgemacht haben und wie gut unsere Beziehungen zu unseren deutschen Geschäftspartnern immer waren, fragen wir uns, warum wir wie Verbrecher behandelt werden. Konten werden eingefroren, obwohl wir immer pünktlich alle Rechnungen bezahlt haben.« Nicht einmal ein Visum bekomme er, wenn er nach Deutschland reisen wolle, beschwert er sich. »Wenn Ihre Regierung ein Problem mit der unseren hat, soll Frau Merkel das direkt mit unserem Präsidenten klären, aber nicht auf unserem Rücken!«
Die »Endabnehmererklärung«, die von der Spinnerei unterzeichnet an den Exporteur im deutschen Wangen zurückgeschickt werden muss, bevor von dort ein Ersatzteil verschickt werden darf, hat es in sich. Nicht nur, dass das Ersatzteil im Wert von 936 Euro - in diesem Fall bestimmt für eine Reinigungsbürste innerhalb der Maschinen - ohne die Zustimmung der Bundesregierung nicht in Drittländer ausgeführt werden darf, die nicht auf einer vorgegebenen Liste stehen. Der Inhaber Feisal Ghajar muss auch versichern, dass das Ersatzteil nicht »für Aktivitäten mit nuklearem Sprengstoff« oder »in Verbindung mit der Entwicklung oder Produktion chemischer oder biologischer Waffen« eingesetzt wird.
Nur wenn die Erklärung unterschrieben ist, wird in Berlin eine Ausfuhrgenehmigung erteilt. Der Prozess dauert Monate und kostet Geld. Weil die deutsche Firma das Ersatzteil schließlich mit einer Rechnung statt mit einem Lieferschein meist über Zwischenstationen nach Syrien schickt, muss die Firma beim Empfang noch hohe Zollgebühren an den syrischen Staat bezahlen.
Die Spinnerei Al-Faisal wurde 2005 gegründet. Die Fäden aus Baumwolle und Polyester werden auf hochmodernen Produktionsstraßen gesponnen und von anderen Produzenten zu Tüchern, Stoffen und Planen verwebt und verstrickt. Ob Sofa oder Fensterrollo, ob Autositz oder T-Shirt - die Fäden der Spinnerei Al-Feisal sind für ihre hochwertige Qualität bekannt. Um diese zu gewährleisten, entschied die Firma sich zum Kauf von deutschen und europäischen Maschinen, an denen 160 Mitarbeiter tätig waren.
2012 hatte das ein Ende. Scheich Najjar, die Industriestadt vor den Toren von Aleppo, wurde von Kämpfern der »Freien Syrischen Armee« und anderen bewaffneten Gruppen überfallen, zerstört und geplündert. Maschinen, Material, ganze Fuhrparks wurden in die Türkei gebracht und dort verkauft. Als Ghajar 2017 in die Fabrik zurückkehrte, bot sich ein Bild der Verwüstung. Fotos im Eingangsbereich zeigen, wie er die Firma damals vorfand; daneben hängen Fotos der gleichen Bereiche nach der Restaurierung, die ausschließlich mit eigenen Mitteln durchgeführt wurde.
Ein Jahr hat der Wiederaufbau gedauert, berichtet Empfangschef Bassam Dawalibi bei einem Rundgang durch die weitläufige Produktionshalle. Jetzt produziere man lediglich für den syrischen Markt, erklärt er. Damit werde anderen Textilfabriken die Produktion ermöglicht und Arbeitsplätze geschaffen. Export in andere Länder sei wegen der Finanzsanktionen schwierig. Händlern wie dem Staat fehlten ausländische Devisen, und die syrische Zentralbank könne international nicht arbeiten. »Wir importieren Baumwolle und Rohstoffe aus China, weil unsere eigene, die gute syrische Baumwolle, von den Kurden kontrolliert und uns vorenthalten wird«, merkt Dawalibi an.
Für die Al-Feisal-Spinnerei ist eines der größten Probleme der Mangel an qualifizierten, erfahrenen Arbeitern. »Unsere Arbeiter von früher sind fort, heute arbeiten bei uns junge Leute, die die Schule abgebrochen haben, weil sie ihre Familie ernähren müssen. Frauen und Mädchen, die ihre Ehemänner, Väter und Brüder verloren haben«, erzählt Dawalibi. Sein Betrieb bildet sie aus - »aber das dauert«. Etwa 100 Beschäftigte arbeiteten wieder in zwei Schichten, sagt er: »Jeder Arbeiter, jede Arbeiterin ernährt mindestens eine, meist aber mehrere Familien.«
Auch bei der Landwirtschaftskammer in Hama wird der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften beklagt. Agraringenieur Abdul Mouneim Al-Sabbagh leitet die regionale Abteilung des Landwirtschaftsministeriums, die für Hama, Teile der Provinz Idlib und Rakka zuständig ist. Der Krieg habe die Landwirtschaft massiv geschädigt, die Produktion liege heute bei etwa 40 Prozent von dem, was 2010 und 2011 erwirtschaftet wurde, sagt Al-Sabbagh. Leider seien die Preise für alles enorm gestiegen. Ein Grund dafür sei der Mangel an Treibstoff, der die Transportkosten massiv in die Höhe treiben würde. Die syrischen Erdölressourcen im Nordosten des Landes sind von US-Truppen besetzt. Diese verhindern, dass das Öl nach Syrien gelangt, stoppen aber nicht den Schmuggel und Verkauf des Öls in den Nordirak oder in die Türkei.
»Baum- und Tierbestand wurden durch Krieg, Plünderung und Diebstahl fast halbiert«, fährt Al-Sabbagh fort. Oliven, Pistazien, Weizen, Schafe könnten nicht exportiert werden, weil das Syrien verwehrt sei. Die Grenzen in den Irak, nach Jordanien oder Libanon, wo es wichtige Abnehmer syrischer Produkte gibt, seien geschlossen. »Wegen der US-Sanktionen, dem Caesar-Gesetz. Weil US-Truppen Grenzübergänge im Nordosten und Süden besetzt halten. Und wegen Covid-19«, seufzt Al-Sabbagh. Um die Produktion wiederaufnehmen zu können, fehlt es den Bauern auch an Dünger. Früher habe der Staat den Dünger verteilt, heute werde sein Import durch die Sanktionen untersagt. Auf die Frage, warum das so sei, antwortet Al-Sabbagh: »Das darin enthaltene Ammoniumnitrat könnte - so die Begründung - auch für die Herstellung von Sprengstoff benutzt werden.«
Für Aban Nufouri in Damaskus steht die Arbeit still. Mit seinem Bruder, einem Apotheker, hat Nufouri sich auf den Import von Wundsalbe spezialisiert, die aus Holland und aus der Tschechischen Republik importiert wurde. Patienten, die schwerste Operationen hinter sich hatten, konnte geholfen werden, strahlt Nufouri und zeigt auf seinem Handy Fotos, die schreckliche Wunden und die beeindruckende Heilung nach der Behandlung dokumentieren.
Nun sei es schwierig geworden, die Wundsalbe aus Europa zu importieren, berichtet Aban Nufouri bei einem abendlichen Gespräch in Damaskus. »Die Importbedingungen haben sich verschärft.« Zunächst benötige er ein Schreiben der Firma in Holland, um in Damaskus die Einfuhrgenehmigung beantragen und die entsprechenden Gebühren bezahlen zu können. Monatelang habe er auf das Schreiben der holländischen Firma gewartet, bis er eines Tages einen Anruf aus Dubai erhielt. »Ein Mann wies mich darauf hin, dass er mich privat und von seinem eigenen Telefon anriefe. Es gebe ein Schreiben aus Holland, das seine Transportfirma nicht an meine Firma weiterleiten könne. Die Firma liege in Syrien, da sei Handel untersagt, so der Mann. Vielleicht sollte das Schreiben besser an mich privat adressiert werden, dann gäbe es zumindest eine Chance, dass es ausgeliefert würde.«
»Wenn schon ein Schreiben nicht weitergeleitet wird, wie sieht es dann mit der Ware aus?«, fragt Nufouri und berichtet weiter. Er informierte die holländische Firma, die einen Brief an ihn persönlich abschickte. Der sei tatsächlich zwei Monate später bei ihm angekommen, doch die Vorschriften auf syrischer Seite könne er nun nicht mehr erfüllen. »Ich habe keine ausländischen Devisen, keine Dollars, die ich brauche, um die Zollgebühren und auch um die Lieferung zu bezahlen. Und ich habe kein Geld, um einen Container zu bezahlen, mit dem die Waren nach Syrien gebracht werden können.«
»Vielen Dank, dass Europa uns mit Hilfspaketen unterstützt«, sagt er höflich. »Aber es reicht nicht.« Alle Kräfte, »auch unsere eigene wird gebraucht, um Syrien wieder auf die Beine zu bringen«. Wenn das Ausland ein Problem mit der Regierung habe, sollte es nicht die Bevölkerung dafür verantwortlich machen, findet auch Nufouri. »Letztlich sind wir Nachbarn«, sagt er lächelnd. »Wenn jemand mit seinem Nachbarn ein Problem hat, dann muss er doch zu dessen Sohn trotzdem ›guten Morgen‹ sagen.«
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