Linke muss Antworten auf die soziale Krise finden

Marisa Matias vom Linksblock in Portugal macht Politik der regierenden Sozialisten für die Enttäuschung vieler Menschen verantwortlich

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.

War es richtig, die Präsidentschaftswahl am vergangenen Sonntag abzuhalten - angesichts der Pandemie und mit hohen Infektionszahlen und vielen Toten?

Ja, denn alles war gut organisiert. Sie war sicherer als ein Einkauf im Supermarkt. Und schließlich sollte die Demokratie auch in dieser schwierigen Zeit nicht aussetzen.

Marisa Matias

Die 44-jährige Soziologin aus Coimbra gehört seit 2009 als Abgeordnete dem Europaparlament an. Die Politikerin des Linksblocks (Bloco de Esquerda) kandidierte bei der Präsidentschaftswahl in Portugal am 24. Januar und erhielt knapp vier Prozent der Stimmen. In Lissabon sprach mit ihr für »nd« Ralf Streck.

Vor fünf Jahren erhielten Sie mehr als zehn Prozent, diesmal sind es nur vier, knapp hinter dem Kommunisten João Ferreira. Wie bewerten Sie ihr Abschneiden?

Es ist, ohne Umschweife, ein sehr schlechtes Ergebnis. Beide Wahlen lassen sich aber nicht vergleichen. Vor fünf Jahren gab es einen linken Aufbruch, Dialog und das Regierungsbündnis. Pandemie und Krise haben alles verzerrt. Dass die regierenden Sozialisten von der PS den rechten Präsidenten Marcelo Rebelo de Sousa gestützt haben, indem sie keinen eigenen Kandidaten aufstellten, hat sich ausgewirkt. Viele Wähler haben taktisch die Sozialistin Ana Gomes gewählt, um zu verhindern, dass der Rechtsextremist André Ventura auf den zweiten Platz kommt.

Hätte eine gemeinsame linke Kandidatur mehr Erfolg versprochen?

Ich trete stets für die linke Einheit ein. Es gab in diesem Lager leider keine Konsenskandidatin, auch Gomes war es nicht. Deshalb war es besser, mit diversen Kandidaturen anzutreten, um den linken Raum zu besetzen.

Wie bewerten Sie es, dass der ultrarechte Abgeordnete der Chega den zweiten Platz zwar verfehlte, aber immerhin zwölf Prozent erhielt?

Das hat vor allem damit zu tun, dass die PS unter Premier António Costa nach den Parlamentswahlen im Herbst 2019 eine Abmachung mit den Linksparteien abgelehnt hat. Er versucht so zu regieren, als hätte er eine absolute Mehrheit. Änderungen am Haushalt verweigert er sich. Costa rückt seine Politik in die Mitte und versucht, die Linke auszugrenzen. Das stärkt die Rechtsextremen. In Frankreich hat ihr Aufstieg viele Jahre gedauert, in Portugal geht das schnell. Bei den Parlamentswahlen 2019 hatte Venturas Chega ja nur 1,3 Prozent erhalten. Doch in der Krise steht vielen Leuten das Wasser bis zum Hals. Das heißt nicht, dass viele arme Leute, die ihn gewählt haben, deshalb Faschisten und Rassisten sind. Der politische Kontext hat sich völlig verändert. 2015 führten die Abkommen der PS mit der KP und mit uns zu Veränderungen und erzeugten Hoffnung. Da Costa keine Neuauflage wollte, herrscht in dieser Krise und der Pandemie nun vor allem Angst vor. Das stimmt sehr nachdenklich.

Warum hat die Linke trotz der sozialen Krise Probleme, die Menschen zu mobilisieren? Warum stimmen so viele für die rechten Kandidaten?

Die Stimmen für die Wiederwahl von Rebelo de Sousa sind nicht unbedingt rechte. Real ist die Rechte schwach. Hätte die PS einen offiziellen Kandidaten aufgestellt, wäre es sicher zu einer Stichwahl gekommen. Die PS hat Rebelo de Sousa den Sieg geschenkt. Gleichzeitig sind Stimmen der traditionellen Rechten nach Rechtsaußen gewandert.

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Wir haben uns stark in der institutionellen Politik verstrickt. Doch gute Vorhaben, wie zur Stärkung des Gesundheitssystems, sind kaum nach außen gedrungen. Wir haben intern über Haushaltsposten debattiert, die dann nicht durchkamen. Es gibt im Land viele Verzweifelte, die nun nicht einmal genug zu essen haben, die ihre Wohnung nicht mehr heizen können, die jetzt Hilfe brauchen. Wir waren nicht auf der Höhe der Zeit und müssen näher an die Menschen heran, sie in die Politik stärker einbeziehen.

Was für eine Krisenpolitik fordern Sie?

Diese muss wieder an das Bündnis bis 2019 anknüpfen. Prekäre Verhältnisse ziehen sich durch alle Generationen und fast alle Schichten. Neben Notmaßnahmen gegen Hunger und Energiearmut brauchen die Menschen sichere Arbeitsplätze mit Rechten und würdigen Löhnen. Es muss zukunftsorientiert investiert werden, damit die Wirtschaft wieder zum Laufen kommt, Steuern fließen und die Sozialkassen nicht ausbluten. Es geht nicht darum, die Armut zu lindern, sondern sie abzuschaffen.

Wie wichtig ist für Portugal der sogenannte EU-Wiederaufbaufonds?

Es kommt darauf an, die EU-Gelder nun richtig einzusetzen. Doch um Verschuldung werden wir nicht herumkommen. Austeritätspolitik wäre völlig kontraproduktiv.

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