Zocker vs. Zocker

Tausende Anleger verbündeten sich im Internet und trieben einen Hedgefonds fast in die Pleite

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Gamestop ist ein bisschen so wie der kurz vor der Rente stehende, beratungsresistente, kauzige Kaufmann, der sich mit jeder weiteren Neuerung in seiner Branche noch ein kleines bisschen schwerer tut, weil man es als ehrlicher Händler schließlich schon immer so gemacht hat wie bisher. Im Fall des US-Unternehmens heißt das: Zu lange hoffte man, dass die Gamerszene auch weiterhin in eine der über 5000 Filialen weltweit pilgert, um sich euphorisch für eine neue Playstation oder Xbox anzustellen oder um den jüngsten Teil des Fußballklassikers Fifa zu erwerben. Für ihr Spielerlebnis brauchen Gamer im Jahr 2021 aber keine innerstädtischen Läden in austauschbaren Konsumtempeln und inzwischen immer seltener auf silberne Scheiben gepresste Computer- und Konsolenspiele. Die ohnehin mit dem Onlinehandel aufgewachsene Zielgruppe von Gamestop lädt sich Spiele längst digital bei der Konkurrenz herunter, anstatt physischen Datenträgern beim Verstauben im heimischen Regal zuzusehen.

Gamestop steckt seit Jahren in der Krise und musste bereits Hunderte Shops dichtmachen. Die Coronakrise, die Händler in manchen Ländern teils seit Monaten dazu verdammt, auf das Filialgeschäft zu verzichten, macht die Situation nicht einfacher. An der Börse blieb die Gamestop-Krise nicht unbeachtet. Auf ihrem Tiefpunkt im Sommer 2020 dümpelte die Aktie bei nur 2,57 US-Dollar. Doch weil sich an den Finanzmärkten auch mit Leichenfledderei Geld verdienen lässt, selbst wenn das Opfer noch nicht einmal wirklich tot ist, fängt an dieser Stelle eine abenteuerliche Geschichte an, die selbst erfahrene Börsianer in Erstaunen versetzt.

Im vergangenen Jahr begannen zwei namhafte Hedgefonds mittels sogenannter Leerverkäufe auf einen weiteren Niedergang von Gamestop zu wetten. Vereinfacht ausgedrückt leihen sich die Spekulanten bei anderen Besitzern von Gamestop-Aktien diese gegen eine Gebühr aus und verkaufen die Wertpapiere anschließend direkt weiter. Fällt später der Aktienkurs wie erhofft, kaufen die Hedgefonds die Papiere günstiger zurück. Aus der Differenz zwischen Verkaufs- und dem späteren (Rück)Kaufpreis ergibt sich der Gewinn. Allerdings hatten die mächtigen Hedgefondsgesellschaften Melvin Capital und Citron Research bei ihrer spekulativen Rechnung nicht eine Gruppe junger Leute im Blick gehabt, die es den etablierten Wall-Street-Größen zeigen wollte.

Auf Reddit, einer Forenplattform, die in ihrer Optik sehr an das Internet aus vergangenen Zeiten erinnert, empörten sich Nutzer über die Geschäftspraktiken der Finanzindustrie. Zum Jahreswechsel verabredeten sie sich, selbst in die Spekulation einzusteigen. Indem sie massenhaft Wertpapiere des angeschlagenen Computerspielehändlers kauften, begann der Aktienkurs zu steigen - also genau das Gegenteil von dem, worauf die Hedgefonds gesetzt hatten. Der Aktienkurs von Gamestop explodierte in den letzten Wochen und verzigfachte sich auf aktuell mehr als 400 US-Dollar. Mit dazu beigetragen hat der Milliardär und Tesla-Chef Elon Musk, der vor einigen Tagen über den Kurznachrichtendienst Twitter einen Link zu jenem Reddit-Forum verbreitete, über das sich die Kleinstanleger organisieren. Melvin Capital brachte diese Entwicklung an den Rand des finanziellen Kollaps. Inzwischen musste sich der Investor 2,75 Milliarden US-Dollar leihen, um nicht die größte Hedgefonds-Pleite seit 1990 hinzulegen.

Aus welchen Gründen sich die Nutzer des Reddit-Forums in dieser Größenordnung zusammenschlossen und milliardenschwere Spekulanten mit deren eigenen Waffen schlugen, ist unklar. »Die wahren Motive der Reddit-User liegen im Dunkeln. Vermutlich ist es eine Mischung aus Klassenkampf, Machtrausch und schlichter Gier«, heißt es dazu auf manager-magazin.de. Verfolgt man die Debatte bei Reddit, werden die Beweggründe nicht unbedingt klarer. Bei Wallstreetbets, so der Name des betreffenden englischsprachigen Reddit-Unterforums, feiern sich die meist männlichen Nutzer für ihren Börsencoup. Einige sehen sich als Revolutionäre, andere erklären stolz, sie täten nur das, was die Großen an der Börse auch tun. Die Diskussion verläuft - wie so oft auf Reddit - rau, aggressiv und abwertend; viele Beiträge sind sexistisch und machistisch.

Wie viele der 2,5 Millionen Foren-Mitglieder tatsächlich in Aktien von Gamestop investierten, ist nicht bekannt.

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