Die Geschätzte

Die Linke in Sachsen-Anhalt schickt Eva von Angern als Spitzenkandidatin in den Landtagswahlkampf

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 6 Min.

Wenn sich Eva von Angern durch ihre Wohnung im Magdeburger Stadtteil Olvenstedt bewegt, dann begegnet ihr zwangsläufig ein kleines Stück Familiengeschichte. »Wir haben im Flur unseren Stammbaum hängen«, sagt sie und weist darauf hin, dass sich das Original in einem Museum in Nordrhein-Westfalen befinde. Von Angern, 44, entstammt einem Magdeburgischen Uradelsgeschlecht, und es ist ihr überhaupt nicht unangenehm, ganz offen darüber zu reden. Vielmehr vermittelt sie den Eindruck, als gebe ihr der alltägliche Blick auf den Stammbaum eine gewisse Orientierung: »Ich mag meinen Namen.«

Vielleicht auch, weil dieser in heutigen Zeiten so ungewohnt erscheint. In der Politik, und natürlich auch in der Linken, ihrer Partei. In Demokratien sind Blaublüter auch nur Menschen. Umso häufiger wird sie mit Fragen konfrontiert, muss sie sich erklären. »Manche glauben, dass ich aus dem Westen komme«, sagt sie und lacht: »Ich bin aber von hier, geboren und mit dem Herzen.«

Dass sie allein schon wegen ihres Namens Aufmerksamkeit bekommt, mag ihr in der aktuellen Situation ungewollt zuträglich sein. Denn Eva von Angern ist designierte Spitzenkandidatin der Linken für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 6. Juni. Bereits im Sommer erhielt die 44-Jährige, die seit Dezember auch Ko-Fraktionschefin neben Thomas Lippmann ist, das Votum des Landesvorstands. Nun soll am Samstag auf einer Vertreterversammlung die endgültige Krönung erfolgen - wenn auch die Zeremonie wegen der Corona-Pandemie etwas profaner als gewünscht ausfallen dürfte.

Eva von Angern ist die neue Frontfrau der Linken, und zwar an allen Fronten, so viel ist klar. Der Parteitag im Oktober gab die Wahlkampftaktik vor: Es soll ein Zweikampf heraufbeschworen werden mit der CDU und dem wankenden Ministerpräsidenten Reiner Haseloff, der sichtbar Mühe hat, die fundamental verschiedenen Weltanschauungen innerhalb der Kenia-Koalition mit SPD und Grünen zusammenzubringen, wie zuletzt der Streit über die Erhöhung des Rundfunkbeitrages verdeutlichte. Von Angern gegen Haseloff und seine »Gurkentruppe«, wie Landeschef Stefan Gebhardt zu lästern pflegt - so das vom Linken-Parteitag ausgerufene Motto.

Die aus Sicht der Linken bittere Realität sieht gleichwohl anders aus: Der Zweikampf mit der CDU entspricht einem zwischen David und Goliath. Gerade in Zeiten einer Krise, die stets eine Zeit der Exekutive ist. Die Linke steht in einer aktuellen Umfrage bei nur 17 Prozent, die CDU bei 29. Um eine linke Alternative zur scheinbaren Alternativlosigkeit der Kenia-Koalition anzubieten, müsste die Partei deutlich zulegen. Entsprechend zurückhaltend spricht Eva von Angern über ihre Ziele. Ob sie Ministerpräsidentin werden will? »Mein Ziel ist eine starke Linke im nächsten Landtag von Sachsen-Anhalt«, sagt sie nur. Das mag ernüchtert klingen, oder eben realistisch. Das Ziel ist Platz zwei, sagte Stefan Gebhardt jüngst. Immerhin, die AfD, die bei der letzten Landtagswahl 2016 aus dem Stand 23,4 Prozent holte, glaubt man verdrängen zu können. Aber auch das wird schwer.

Denn gerade in dieser Zeit der Pandemie richtet sich der Fokus der Öffentlichkeit zuvörderst auf die Regierenden, und zwar nicht nur dann, wenn diese in Ministerpräsidentenkonferenzen auf ihren Mobiltelefonen herumdaddeln - zumal in Thüringen neben Regierungschef Bodo Ramelow auch Linken-Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow, die sich um das Amt der Parteivorsitzenden bewirbt, zuletzt bundesweite Aufmerksamkeit zufiel. Eva von Angern scheint bislang hinter den Bekanntheitswerten ihrer Thüringer Genossen zurückzubleiben, wie auch ein Zahlenvergleich im Kurznachrichtendienst Twitter andeutet: Dort hat die Magdeburgerin rund 2600 Follower - deutlich weniger als Ramelow und Hennig-Wellsow. Allerdings weist sie jeden Vergleich von sich, will Rezepte nicht blind kopieren. Sondern ganz sie selbst bleiben.

Überhaupt wirkt Eva von Angern keinesfalls ernüchtert. Die Herausforderin macht im Gespräch mit dem »nd« einen aufgeschlossenen, zugänglichen Eindruck. Ihre größte Stärke sei ihre »Sensibilität gegenüber Menschen«, sagt sie - und, dass ihr »eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe« wichtig sei. Auch politische Gegner bescheinigen ihr, das wird in Gesprächen mit mehreren Landtagsabgeordneten deutlich, Zuverlässigkeit und Kompetenz. Man merkt: Von Angern wird im Landtag, vor allem in der alltäglichen Arbeit der Ausschüsse - sie ist Stellvertretende Vorsitzende im Rechtsausschuss, im Wahlprüfungsausschuss und im Parlamentarischen Kontrollgremium - hoch geschätzt.

Dieses Konstruktive, das sie auszeichnet, hat sie sich durch jahrelange politische Arbeit angeeignet, innerhalb und außerhalb des Parlaments. Bereits als Jugendliche engagierte sie sich gegen die rechten Umtriebe im Ostdeutschland der frühen 90er-Jahre, und schon damals habe sie die politische Arbeit »über Parteigrenzen hinweg« schätzen gelernt, betont sie. »Wir waren sehr eng miteinander verbunden. Es hat natürlich auch Spaß gemacht, wir hatten auch tolle Partys. Aber wir haben vor allem ordentlich miteinander diskutiert und uns engagiert«, sagt sie und weist explizit darauf hin, dass es für sie »kaum ideologische Barrieren« gegeben habe - anders als für damalige PDS-Politiker mit SED-Vergangenheit, zu denen es nach der Wende sehr wohl politische Abgrenzung gab.

1996 trat Eva von Angern dann selbst in die PDS ein und verstand es frühzeitig, Kind und Karriere miteinander zu verknüpfen. Mit Mitte 20 saß sie als junge Mutter bereits im Landtag und war Stadtvorsitzende in Magdeburg. Mittlerweile sind zum ersten Kind zwei weitere hinzugekommen. Dennoch gesteht sie, die neben ihrer politischen Tätigkeit auch noch als Juristin arbeitet, es sei »immer wieder eine Herausforderung, Familie, Beruf und Politik unter einen Hut zu bekommen«. Sie hätte »nie gedacht«, dass man auch mit einer Sozialisation in der DDR, wo gemeinschaftliche Betreuung von Kindern zum Alltag gehörte, »dieses Rabenmutter-Gefühl« haben könne.

Dennoch arbeitete sie sich in der Politik immer weiter voran, bis sie einen Karriereknick erlitt, als sie bei einer Wahl zum Fraktionsvorstand komplett durchfiel. Von einem Generationenkonflikt mit älteren Genossen war damals, 2014, die Rede. Heute scheint dieser Konflikt auch deshalb befriedet, weil mit Stefan Gebhardt ein weiterer Politiker der damaligen Nachwuchs-Generation mittlerweile Landeschef ist - wenngleich natürlich die ältere Generation auch noch ein Wörtchen mitreden darf, allen voran der ehemalige Spitzenkandidat und Ex-Fraktionschef Wulf Gallert, der heute Landtagsvizepräsident ist und als begnadeter Rhetoriker nach wie vor eine prägnante Rolle innerhalb des Landesverbandes spielt. Eva von Angern drückt das so aus: »Er ist, neben Stefan Gebhardt und Dietmar Bartsch, einer meiner engsten Berater. Er ist ein kluger Kopf und Stratege, hervorragend vernetzt.«

Die großen Gallert-Zeiten scheinen gleichwohl vorbei. Nun steht Eva von Angern im Mittelpunkt - eine neue Rolle für die Politikerin, die sich ihre Sporen vor allem durch viel Fleißarbeit in Partei und Parlament verdiente, aber selten - was in einem klischeehaften Sinne als durchaus charmanter Gegenpol zu ihrer adligen Herkunft zu verstehen sein mag - durch Glanz und Gloria auffiel. Und die auch als designierte Spitzenkandidatin vor allem inhaltlich denkt: Sie, die Juristin und Vorsitzende des Landesfrauenrats, will ihre Themen in der Rechts- und Gleichstellungspolitik voranbringen: »Mein wichtigstes Ziel ist und bleibt die Bekämpfung der Kinderarmut, beispielsweise durch die Einführung einer Kindergrundsicherung. Ich möchte, dass alle Kinder gleiche Startchancen haben und ihre Fähigkeiten entwickeln können.«

Auch der Zugang zu einem Gesundheitssystem in öffentlicher Hand sei ihr wichtig, ebenso gleiche Löhne und Renten bei gleicher Leistung in Ost und West - »ein trauriges Dauerbrennerthema, an dem wir dran bleiben«.

Da ist es wieder, das »wir«. Auch im Duell mit Haseloff, als neue Nummer eins, begreift sich Eva von Angern als Teamspielerin.

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