Warten auf die Spritze

Wer kriegt die meisten Impfdosen? Die finanziell schwächsten Länder ganz sicher nicht

  • Martina Backes
  • Lesedauer: 6 Min.

Vor wenigen Tagen kündigte das indische Außenhandelsministerium einen ersten Export des Covid-19-Impfstoffs Covishield aus Indien per Schiff in das Königreich Bhutan an, als »Lieferung im Rahmen seiner Finanzhilfe« in eine Reihe von Nachbarländern. Die Malediven, Bangladesch, Nepal, Myanmar und die Seychellen werden die Begünstigten dieser Finanzhilfen für den in Indien hergestellten Impfstoff von Astra-Zeneca sein. Afghanistan, Mauritius und Sri Lanka warteten noch auf dessen Zulassung. Indien ist bemüht, als Impfstoffproduzent im Kampf gegen Covid-19 eine starke Position einzunehmen: Als »Apotheke der Welt«, so Außenminister Subrahmanyam Jaishankar, werde Indien durch sein Engagement im Kampf gegen Covid-19 zur Eindämmung der Pandemie einen wesentlichen Beitrag leisten, die Hälfte aller Impfstoffe gegen das Coronavirus werde in Indien produziert.

Indien demonstrierte auch mit Brasilien Einigkeit: In Tweets begrüßten Ministerpräsident Narendu Modi und Präsident Jair Bolsonaro ihr gemeinsames Geschäft: Die zwei Millionen Impfdosen, die bereits aus Indien nach Rio de Janeiro verschifft wurden, seien der Beginn einer guten Zusammenarbeit im Gesundheitssektor.

Zum einen ist diese Impfdiplomatie im Rahmen der Not- und Katastrophenhilfe des indischen Staates auch als regionale Hegemonie-Politik zu werten: Der Einfluss Chinas im asiatischen Raum soll mit den verschifften Impfgaben geschwächt und die indische Präsenz gestärkt werden. Zum anderen passen die aus Indien kommenden Verlautbarungen auf den ersten Blick nicht zu der etwa von Amnesty International, der nichtstaatlichen Entwicklungsorganisation Oxfam und der Impfallianz von UNAIDS geäußerten Befürchtung, die ärmeren Länder würden im weltweiten Verteilungskampf um die bisher zugelassenen Impfstoffe abgehängt.

Tatsächlich waren bereits Anfang Dezember alle Impfdosen für 2020 von Moderna und 96 Prozent von Biontech-Pfizer von reichen Staaten aufgekauft worden. Oxford/Astra-Zeneca hatte zugesagt, 64 Prozent seiner Impfdosen für Entwicklungsländer zu reservieren. Laut der NGO Global Justice Now sind 82 Prozent von Pfizers Produktionskapazität für 2021 sowie 78 Prozent von Moderna bereits an finanzstarke Länder verkauft; insofern sind für die weniger zahlungskräftigen Staaten Engpässe und Verzögerungen absehbar.

So hat etwa Kenia - ein Land, das zu den wirtschaftlich stärkeren in Afrika gehört - Mitte Dezember 24 Millionen Impfdosen über die öffentlich-private Impfallianz GAVI bestellt, für drei Dollar das Stück. Der Impfstoff von Astra-Zeneca kann laut Aussage des kenianischen Gesundheitsministeriums über die bestehenden Kühlketten des Landes problemlos verteilt werden. Mit über 100 000 bestätigten Infektionen und mehr als 1750 Todesopfern ist Kenia eines der stark betroffenen Länder auf dem Kontinent. Der Lockdown kommt das Land teuer zu stehen: Die wichtigsten Sektoren, Tourismus und Landwirtschaft, haben enorme Einbußen zu verzeichnen. Im Januar wurden die Schulen nach einer zehnmonatigen Schließung erstmals wieder geöffnet, indes wurde die nächtliche Ausgangssperre gerade bis Mitte März verlängert. Wie an vielen anderen Orten wird der Impfstoff dringend gebraucht. Nur ist unklar, wann er eintrifft, auch wegen der Lieferschwierigkeiten bei Astra-Zeneca.

Der Virologe John Nkengasong, Hauptkoordinator im Kampf gegen Covid-19 auf dem afrikanischen Kontinent und Vertreter der Afrikanischen Union (AU) in dieser Angelegenheit, sieht die Gründe für Lieferengpässe aber auch darin, dass einige reiche Länder bereits mehr bestellt haben, als sie aus immunologischer Sicht für ihre Bevölkerung tatsächlich brauchen.

Indes warten die Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union nicht auf milde Gaben der internationalen Gemeinschaft, sondern koordinieren ihre Bemühungen. Das African Vaccine Acquisition Task Team hat sich Anfang Januar die Lieferung von 270 Millionen Impfdosen von Pfizer, Johnson & Johnson und Astra-Zeneca vertraglich gesichert, von denen 50 Millionen im April und Juni zur Verfügung stehen sollen (zum Vergleich: die EU mit 447 Millionen Einwohnern hat inzwischen 2,3 Milliarden Dosen für 2021 bestellt). Dahinter stehen die Africa Medical Supplies Plattform der Afrikanischen Union und das Zentrum für Prävention und Krankheitskontrolle in Afrika. Die Afrikanische Export-Import-Bank will die Zahlungen erleichtern, indem sie den Herstellern im Namen der Mitgliedsstaaten Vorbestellungsgarantien in Höhe von bis zu zwei Milliarden US-Dollar gewährt.

Wie die interne Verteilung unter den Mitgliedern ablaufen wird, ist noch offen. Ebenso, wer bei globalen Lieferengpässen einzelner Impfstoffhersteller rechtlich stärkere Mittel auffährt. Die von der EU-Kommission am Freitag beschlossene »Ausfuhrgenehmigungspflicht« für Impfstoff aus dem Staatenverbund sowie das europäische Pochen auf den Vertragspflichten von Astra-Zeneca hat sicher auch die AU mit Sorge zur Kenntnis genommen. Nicht zuletzt der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte sich für eine solche Exportkontrolle ausgesprochen.

Laut Oxfam werden Milliarden Menschen in den kommenden Jahren keinen sicheren und wirksamen Impfstoff gegen Covid-19 erhalten, wenn nicht die finanzstarken Länder und die Impfstoffproduzenten ihr Vertrags- und Geschäftsgebaren dramatisch ändern. Der indische Wissenschaftler Achal Prabhala, Koordinator des Projekts AccessIBSA in Bangalore, fasste die mit der Zulassung der ersten Impfstoffe aufkeimende Hoffnung nüchtern zusammen: »Es ist der Anfang eines endlosen Wartens: In den reichsten Ländern der Welt gibt es nicht genügend Impfdosen, in den ärmsten erst recht nicht.«

Gerne verweisen die reichen Länder auf die Covax-Initiative. Die hat sich zwei Milliarden Impfstoffdosen von fünf Herstellern gesichert, mit Optionen auf über eine Milliarde weitere. Alle 54 afrikanischen Staaten haben Interesse angemeldet. Die Initiative wird von Impf-Allianzen getragen, an denen Länder, Weltbank, WHO, Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Stiftungen und NGOs beteiligt sind. 1,3 Millionen Dosen sollten in naher Zukunft geliefert werden - ein großer Teil aus dem Serum Institute of India.

Für Afrika hat sich Covax vorgenommen, bis Ende des Jahres mindestens ein Fünftel der Bevölkerung zu impfen, mit 600 Millionen Dosen (zwei Impfdosen pro Person). Die ersten 30 Millionen sollen bereits bis März in den Ländern eintreffen, gab die Initiative vergangenen Freitag bekannt, doch eine größere Lieferung wird erst im Juni erwartet. Ziel ist es, ab März drei Prozent der Bevölkerung zu impfen, vorrangig Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Offizielle Stellen empfehlen, 60 Prozent der 1,3 Milliarden Menschen in Afrika müssten gegen Covid-19 geimpft werden (das sind 780 Millionen Personen), um eine Herdenimmunität auf dem Kontinent zu erreichen. Insofern kann von Entwarnung keine Rede sein. Aktuell erlebt die Hälfte der afrikanischen Länder einen Anstieg der Coronavirus-Infektionen und Todesfälle. Zusätzliche Sorge bereitet die in Südafrika zirkulierende Variante, die sich als wesentlich infektiöser erweisen könnte. In Afrika wurden bisher rund 3,5 Millionen Covid-19-Fälle und 88 000 Todesfälle registriert.

Bis Anfang vergangener Woche wurden weltweit 40 Millionen Covid-19-Impfdosen in 50 Ländern verteilt, die meisten davon gingen an zahlungskräftige Staaten. Weil Initiativen für das Teilen von Wissen, Technologie und Patenten blockiert werden, bleibt eine Impfstoffproduktion an vielen Orten der Welt nicht finanzierbar und unmöglich. So steht zu befürchten, dass Länder mit weniger Finanzkraft hinten auf der Warteliste stehen bleiben.

In Europa spricht man davon, in den Krankenhäusern die Triage vermeiden zu wollen - die Entscheidung, wem zuerst geholfen wird, wenn es nicht genug Medizin oder Intensivbetten für alle Bedürftigen gibt. Dagegen scheinen im internationalen Ringen um Impfdosen ethische Überlegungen obsolet wie die Frage, ob nicht die schwächsten Gesellschaften vorrangig bedacht werden müssten. Bereits im Juli warnte Oxfam, bald schon könnten täglich bis zu 12 000 Menschen zusätzlich an Hunger sterben, der allein durch die Maßnahmen gegen die Pandemie direkt verursacht würde.

Insofern wundert es nicht, wenn sich besonders arme Länder wie Bangladesch, Myanmar oder Nepal lieber an die Nothilfe aus Indien wenden. Da sind die mit Machtinteressen behafteten Lieferungen des großen Nachbarn doch das kleinere Übel gegenüber Almosen, von denen man nicht einmal weiß, ob und wann sie gewährt werden.

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