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- Lars Henrik Gass
Bevor es zu spät ist
Lars Henrik Gass, der Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, über die Zerstörung des Kinos - und die Möglichkeit, eine öffentliche Kultur für die Zukunft zu schaffen
Lars Henrik Gass, für Sie als Leiter der Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen, der wiederholt auch zum Thema Kino publiziert hat, ist es keine Überraschung, dass die Kinos schlecht durch diese pandemiebedingte Krise kommen.
Die Krise ist strukturell. Die Kinobesuche gehen seit den 1960er Jahren kontinuierlich nach unten. Man hält sich an technischen Neuerungen fest, hat Millionen in die Digitalisierung der Kinos gesteckt. Immer hoffend, dass deswegen mehr Menschen in die Kinos kommen. Das war 2019 zwischenzeitlich auch einmal der Fall, nachdem es 2018 zweistellig nach unten gegangen war ...
… was ja vor allem mit der heftigen Offensive von Marvel zu tun hatte.
Wenn wir jetzt nicht zügig handeln, bleibt nichts mehr vom Kino übrig, was es zu bewahren gäbe. Schon vor Corona versuchte man die Geschäftsmodelle des Films zu Lasten der Kinos zu retten. Man kann aber das Kino nicht als Geschäftsmodell gegen die Entwicklung des Markts retten, indem man es zombifiziert.
Ist die Krise des Kinos eine Krise des Films? Gerade für Deutschland müsste man doch festhalten, dass zwar permanent Filme produziert werden, diese jedoch kaum noch im Kino ernsthaft ausgewertet werden, sondern vor allen Dingen bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten landen. Jenen Anstalten, die die Filme eh schon redaktionell und finanziell begleitet haben.
Der deutsche Kinofilm ist ein deutscher Fernsehfilm. Das ist im deutschen Filmfördersystem begründet, das nachfrageorientiert sein und dies durch die Beteiligung des Fernsehens sichergestellt sehen möchte. Nur sehen die Kinofilme dann wie Vorabendserien aus, und die will keiner im Kino sehen.
Hinsichtlich der Sehgewohnheiten könnte es doch auch positive Effekte haben, wenn Fernsehen und Kino zusammenkommen. Ist denn die Einmischung durch öffentliche Anstalten ausschließlich negativ zu bewerten?
Das Engagement des Fernsehens in den 70er Jahren hatte einen positiven Impuls aufs Kino, wenn man zum Beispiel an die Entwicklung des Neuen Deutschen Films denkt. Da hat das Fernsehen dazu beigetragen, dass der deutsche Film dem Muff der 50er entkam. Das ist jedoch spätestens dann gekippt, als das Privatfernsehen auftauchte und sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen in einen Überbietungswettbewerb begab.
Wozu führte das?
Zu einer völlig abstrusen Idee von Filmförderung. Filme können in Deutschland ohne Subvention nicht mehr entstehen - nirgendwo in Europa. Diesen Umstand verkehrt man aber ideologisch: als sei wirtschaftlicher Misserfolg schon Ausdruck kulturellen Anspruchs. Film wird in Deutschland mit der Zielsetzung des wirtschaftlichen Erfolgs gefördert, was paradox ist, denn Filmförderung entstand einmal für Filme mit wirklich künstlerischen Anliegen, die sich nicht auf einem Markt refinanzieren können. Faktisch wird diesen nun der Zugang zur Förderung systemisch verwehrt, weil sie die Voraussetzungen für den geforderten wirtschaftlichen Erfolg gar nicht erfüllen. »Kulturell« ist daher nur der unternehmerische Misserfolg, der durch Förderung vergesellschaftet wird. Wirtschaftlich ist allenfalls der Anspruch, nicht das Ergebnis. Man kann das an den verschwindend geringen Rückflüssen aus wirtschaftlichem Erfolg ablesen.
Gibt es einen Ausweg in der Filmförderung, damit bessere Filme entstehen?
Man schafft ja weder das eine noch das andere mit dem gegenwärtigen Filmfördersystem; weder wirklich erfolgreiche Filme noch herausragende künstlerische Filme. Das scheint aber niemanden so richtig zu stören. Mittelmaß genügt. Ich plädiere daher für eine strikte Trennung zwischen Wirtschafts- und Kulturförderung, so wie wir das auch in anderen Bereichen mit gutem Grund praktizieren. Niemand würde auf die Idee kommen, eine Opernaufführung müsse sich am Markt refinanzieren. Im Übrigen würde ich großartige kommerzielle Filme, wie Christopher Nolan oder Denis Villeneuve sie machen, auch wirklich gerne aus Deutschland sehen.
In einem Essay für die Kölner Stadtrevue sprachen Sie von der »Musealisierung« des Kinos. Wie hat man das zu verstehen?
Im Kern geht es darum, dass man etwas im öffentlichen Interesse vom Markt nimmt, das sich dort erkennbar nicht refinanzieren kann. Ich spreche ganz bewusst nicht von Kinomuseen, sondern vom einem strukturierten Prozess einer geregelten Musealisierung des Kinos. Wir können uns nun entscheiden, ob wir das Kino dem Markt überlassen, oder ob wir die kulturelle Praxis Kino bewahren wollen. Vorstellbar wären ambulante Kinos, temporäre Kinos. Ich finde es höchst spannend, das Momentum als eine historische Chance zu betrachten, um neu über öffentliche Kultur und progressive Kulturbauten zu sprechen. Wie muss ein Kulturbau in Zukunft aussehen und funktionieren, damit da noch Leute hingehen? Mit Sicherheit sieht der anders aus als die Opernhäuser in unseren Städten, Denkmäler einer Gesellschaft, die gerade untergeht, aber auch anders als unsere Kinos heute. Überdies könnte deren Programmkompetenz nützlich sein, um den Streaming-Diensten nicht alternativlos den Markt zu überlassen.
Dennoch wäre auch mit einem solchen Bau allein das Kino nicht gerettet. Gerade in der urbanen Peripherie oder in strukturschwachen Gegenden - könnten da nicht auch Festivals eine Möglichkeit sein Menschen ans Kino zu binden?
Filmfestivals könnten mit ihren immensen Möglichkeiten und Netzwerken lokale Identifikation erneuern und helfen, die lokale Kundschaft zu binden. Filmfestivals halten Filmkultur im öffentlichen Raum, sowohl schwierige neue Filme aus ganz unterschiedlichen Kulturen als auch Filmgeschichte. Beides ist ja gegenwärtig in Kinos nicht gerade sehr präsent - und im Fernsehen fast gänzlich verschwunden.
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