Arbeitgeber werden unruhig

Private Pflegeanbieter wollen bessere Löhne gerichtlich vereiteln

Die Nachricht über eine Tarifeinigung in der Altenpflege hatte kaum die Runde gemacht, da kündigte der Arbeitgeberverband Pflege bereits Klage an. Er will der Gewerkschaft Verdi das Recht absprechen lassen, in diesem Bereich überhaupt Tarifverträge abzuschließen. Verdi habe in Altenheimen zu wenig Mitglieder, um »tariffähig« zu sein, so der Vorwurf. Verdi-Chef Frank Werneke kommentiert die Ankündigung am Abend vor Journalisten gelassen. Nach dem Motto »viel Feind viel Ehr« ist die Klage für ihn vielmehr »ein gutes Zeichen«, auf dem richtigen Weg zu sein: »Die Arbeitgeber werden langsam unruhig«, so Werneke.

Grund dafür haben sie. Denn mit der Tarifeinigung ist die Gewerkschaft dem Ziel, die Löhne für alle knapp 1,2 Millionen Beschäftigten der Branche anzuheben, ein großes Stück näher gekommen. Noch in diesem Jahr könnten die Regelungen vom Bundesarbeitsministerium für allgemeinverbindlich erklärt, also allen ambulanten und stationären Pflegedienstleistern vorgegeben werden. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat mehrfach seine Bereitschaft dazu bekundet.

Das »öffentliche Interesse« an der Aufwertung der Pflegeberufe, das dafür festgestellt werden muss, wird nicht erst seit der Coronakrise breit geteilt. Private Pflegeanbieter, die fast die Hälfte der Heime und ambulanten Dienste betreiben, wollen sich aber nicht auf höhere Löhne festlegen lassen. Unter Tarifautonomie, auf die nun gegen die »politische Festlegung von Löhnen« gepocht wird, wird zunehmend nur noch das Recht verstanden, keine Tarifverträge abzuschließen. Deshalb die Klage.

Tatsächlich ist die Altenpflege, vor allem in der zersplitterten Privatwirtschaft, für die Gewerkschaft strukturell ein Problem. Die Mitgliedergewinnung in Zehntausenden verschiedenen Unternehmen ist schwierig. Einen Partner für Tarifverhandlungen hat die Gewerkschaft nun in einem Arbeitgeberverband gefunden, dessen Gründung die Arbeiterwohlfahrt vor zwei Jahren angeschoben hat. Von Anfang an das Ziel: Allgemeinverbindlichkeit. Nach der Tarifeinigung zwischen der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) und Verdi würden die Mindestentgelte in der Altenpflege im Vergleich zum aktuell geltenden Pflegemindestlohn um insgesamt 25 Prozent steigen.

Und zwar in vier Schritten vom 1. August 2021 bis Juni 2023. Bei einer 39-Stunden-Woche würden dann mindestens folgende Monatsgehälter gezahlt: 2440 Euro brutto für ungelernte Pflegehelferinnen und Pflegehelfer, 2585 Euro bei mindestens einjähriger Ausbildung und Pflegefachkräfte bekommen dann mindestens 3180 Euro im Monat. Zudem würde damit die Schlechterstellung der Beschäftigten in Ostdeutschland beendet. Pflegepersonen in der Altenpflege haben nach dem Tarifabschluss künftig Anspruch auf mindestens 28 Urlaubstage pro Jahr und ein zusätzliches Urlaubsgeld von mindestens 500 Euro. Das alles sind Mindestbedingungen - besser geht immer.

Bislang gelten diese Regelungen nur für 70 000 Beschäftigte, vor allem bei nicht-kirchlichen Wohlfahrtsverbänden, die im BVAP zusammengeschlossen sind. Ob der Antrag auf Ausweitung des Tarifvertrags auf die gesamte Branche eine Chance hat, hängt maßgeblich von den Kirchen ab. Die kirchlichen Träger Caritas und Diakonie decken in der Pflege knapp 40 Prozent des Marktes ab. Als Religionsgemeinschaften schließen Kirchen zwar nicht direkt Tarifverträge ab, können sich aber an ihnen orientieren. Verdi-Chef Werneke ist zuversichtlich, dass sie das in diesem Fall tun werden. »Wir sind in enger und guter Abstimmung«, erklärte er am Montag. Wenden die Kirchen den Tarifvertrag an, wäre aus seiner Sicht spätestens das auch Beleg genug, dass die Tarifmächtigkeit von Verdi gegeben ist.

Die Diakonie äußerte sich am Montag positiv zu dem Tarifvertrag. Der evangelische Sozialverband unterstütze nachdrücklich das gemeinsame Ziel, die Arbeitsbedingungen in der Pflege flächendeckend zu verbessern, hieß es. Die Arbeitsrechtlichen Kommissionen der Kirchen wollen Ende Februar entscheiden, ob der von BVAP und Verdi erarbeitete Tarifvertrag zustimmungsfähig ist.

Anfang März soll der Antrag bei Hubertus Heil auf dem Tisch liegen. »Dann schlägt die Stunde der Wahrheit«, sagt Werneke, »ob die Heldinnen und Helden der Krise mehr als Applaus bekommen«.

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