Aufruf zum Boykott

Ein Jahr vor der geplanten Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele in Peking wächst die Kritik am Gastgeber

  • Nikolaj Stobbe und Dominik Kortus
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Weiße Haus weiß von nichts. Sagt zumindest Sprecherin Jen Psaki. Ja, von den Gerüchten über einen US-Boykott der Winterspiele 2022 habe sie auch gelesen. Aber nein, Neuigkeiten »oder eine Änderung der Herangehensweise an die Olympischen Spiele in Peking« könne sie nicht verkünden. Das Szenario, das der Präsident des Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, am meisten fürchtet, wischte Psaki damit vorerst vom Tisch, die Diskussionen um das umstrittene Mega-Event in China reißen deswegen aber nicht ab. An diesem Donnerstag in einem Jahr, am 4. Februar 2022, sollen die Winterspiele in Peking eröffnet werden. Heute schon rauben die Corona-Pandemie und vor allem das Vorgehen der chinesischen Regierung gegen die muslimische Minderheit der Uiguren die Vorfreude auf die Medaillenkämpfe auf Schnee und Eis.

Gerüchte aus Diplomatenkreisen

Boykottüberlegungen der US-Regierung um Präsident Joe Biden, von denen die »Wirtschaftswoche« aus Diplomatenkreisen erfahren haben will, sorgten rund um den Stichtag für weitere Unruhe. Ein IOC-Sprecher erklärte auf Anfrage, dass man Spekulationen nicht kommentieren werde. Schon zuvor hatte der oberste Olympionike versucht, Zuversicht zu verbreiten. »Wir können bereits ein Jahr zuvor sagen, dass alle Wettkampfstätten fertig sind, die Vorbereitungen sind exzellent«, sagte Bach im Interview mit der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Es sei »fast ein Wunder«, dass die Vorbereitungen trotz der Pandemie so glatt liefen.

In Bezug auf die Stadien und Schanzen mag das stimmen, die Kritik an den Gastgebern nimmt aber zu. »Die Spiele 2022 werden unter Menschenrechtsbedingungen stattfinden, die signifikant schlechter sind als bei den Spielen in Peking 2008«, schrieb die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch im Dezember in einem offenen Brief an Bach. Am Mittwoch legte eine Koalition von 180 Aktivistengruppen nach und forderte alle Staats- und Regierungschefs zum Boykott auf.

Das chinesische Außenministerium reagierte umgehend und bezeichnete die »politisch motivierten« Aufrufe als »unverantwortlich«. Die Spiele, erstmals findet in einer Stadt nach den Sommerspielen auch Winter-Olympia statt, werden ein »wunderbares und herausragendes Ereignis« werden. Ein Boykott, da ist sich Wang Wenbin, Sprecher des Ministeriums sicher, »wird von der internationalen Gemeinschaft nicht unterstützt«. Doch der Druck auf die internationale Gemeinschaft wird wachsen.

Mehr als eine Million Menschen in Lagern

In der Provinz Xinjiang sind nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen und Forschern mindestens eine Million Uiguren und andere Muslime in Lagern eingesperrt. Sie werden demnach zur Aufgabe ihrer Religion, Kultur und Sprache gezwungen und teilweise auch misshandelt. US-Präsident Biden hatte vor seiner Wahl von »Völkermord« gesprochen. Bei diesen Vorwürfen wirken die Probleme, die von der Corona-Pandemie ausgehen beinahe nachrangig. Bis zu den Winterspielen sollte das weltweite Impfprogramm weit fortgeschritten sein, weiter zumindest als bei den wackelnden Sommerspielen in Tokio.

Doch die Unsicherheit bleibt. Mitte Januar sorgte ein Infektionsherd in der Provinz Hebei, wo einige Olympia-Entscheidungen stattfinden sollen, für Schlagzeilen. Drei Millionenstädte wurden von den Behörden abgeriegelt. Der Blick der Peking-Organisatoren geht nun auch nach Tokio. Man werde genau beobachten, welche Maßnahmen dort ergriffen würden, hieß es. Ein Jahr vor der geplanten Eröffnungsfeier in Peking laufen die Vorbereitungen wohl doch nicht so glatt, wie es Thomas Bach gerne hätte.SID/nd

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