Für alle Merzads und Anetas

Andreas Meinzer verteidigt das »Unterschichtenfernsehen«

  • Andreas Meinzer
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Privatfernsehen ist Linken suspekt. Es war die Kohl-Regierung, die es förderte - als vermeintliches Korrektiv zum vermeintlichen »Rotfunk« in der ARD, sozusagen als Verstärkung für das konservative ZDF. Gegenüber Formaten wie »Zur Sache, Kanzler« auf Sat.1, wo Helmut Kohl über den Wolfgangsee plaudern konnte, hatten die Öffentlich-Rechtlichen einen Vertrauensvorsprung. Obwohl jeder nähere Blick auf dieses System lehrt, dass dort ein Parteienquasiproporz herrscht, ist ihr Versprechen gerade bei Linken intakt: Es werde, was allgemein finanziert ist, irgendwie auch alle vertreten. Zumindest »in letzter Instanz«.

Jüngst zeigt nun die WDR-Sendung gerade dieses Namens, dass das nicht so ist. In der Sache war die Aufregung darüber richtig, wie flapsig, dumm und verletzend dort Nicht-Betroffene über Rassismus talkten. Falsch war indes die Voraussetzung dieses Ärgers: dass die Vertretung derer am Rande von denjenigen Medien zu erwarten sei, deren Auftrag der Durchschnitt und deren Zielgruppe die »Mitte« ist.

Dass dies beim Privatfernsehen anders ist, hat anno 2005 der - zu diesem Zeitpunkt öffentlich-rechtliche - Harald Schmidt in die Pointe vom »Unterschichtenfernsehen« verpackt. In dieser seither so oft und angeblich stets ironisch gebrauchten Zote schwingt viel Dünkel mit. Eine Verachtung für all die Merzads, Lorenzos, Pietros oder Anetas, die sich etwa für »Deutschland sucht den Superstar« auf RTL begeistern. Ist es denn so schwer, den Reiz dieses Singwettbewerbs zu verstehen, in dem sich ein Talent vorführen lässt, das von »Schulversagern«, Callcenterpersonal oder Tankstellenverkäuferinnen sonst niemand sehen will?

Die arrivierte Fremdscham über solche Sendungen spiegelt die Verächtlichmachung der Ränder aus der »Mitte« und festigt deren symbolische Herrschaft. Etwa im Fall einer gewissen Claudia, einst Pflegerin, nun Hausfrau und Mutter: Klar war sie nicht die nächste Rihanna, doch nahm sie das »Nein« nicht hin. Sie bettelte und schluchzte: »Ich will den Fame. Für ein besseres Leben. Für mich und meinen Sohn!« Nur raus - und sei es Richtung »Dschungelcamp«. Am Ende erfüllte die Jury Claudias Traum vom gelben Zettel für die nächste Runde.

Derlei ist weniger als die berühmten »15 Minuten Ruhm«. Doch wer nun in akademischer Schärfe die sehnlichsten Wünsche dieser und anderer Claudias zur puren Verblendung erklärt und ihren Auftritt als Vorführung zur Belustigung des Mobs, ist taub für die Botschaft dieser gequälten Seele: Wer lieber Känguruhoden äße oder in Kakerlaken badete, statt weiter in der Pflege zu buckeln und das Kind zu hüten, verweist auf die barbarische Einrichtung dieser Welt.

Wer sich so tränenreich ein »besseres Leben« wünscht, ist die »bedrängte Kreatur«, deren »Schrei« sich zu Marxens Zeiten als Religion äußerte - und heute in die Anerkennungsapparate von Social Media und Privat-TV wandert. Zwar bleiben diese Shows über Aufstiegswünsche Ideologie, doch liegt auch Erkenntnis und Emanzipation in dem Mut, sein Sehnen so offen zu zeigen. Und allemal mehr Wahrhaftigkeit als auch in den besseren Formaten mit den öffentlich-rechtlichen Experten für alles.

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