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Drei Finger gegen den Putsch
In Myanmar gibt es erste Proteste gegen die Militärregierung.
Es klappert abends in Yangon und anderen Städten Myanmars. Menschen schlagen mit Kochlöffeln auf Pfannen und Töpfe, manche singen ein Lied von 1988, in dem es darum geht, die bösen Geister zu vertreiben, und wenn es bis zum Ende der Welt dauere - eine kaum versteckte Kritik am Militär. Der Schock sitzt noch immer tief in der Bevölkerung, doch in der kurzen Zeit seit dem Putsch am Montag wagen es immer mehr Menschen, offen ihre Ablehnung der neuerlichen Militärregierung zu zeigen. Erst gingen am Mittwoch Krankenhausangestellte in den Streik, am Donnerstag und Freitag zeigten sich auch Angestellte der Universitäten in Mandalay und Yangon und selbst Mitarbeiter der Arbeits- und Landwirtschaftsministerien in Protestpose: drei Finger in die Höhe gestreckt, eine rote Schleife tragend. Mindestens eine kleine Demonstration hat es gegeben, bei der mehrere Menschen in Mandalay verhaftet wurden.
Die drei Finger stehen dabei für drei Forderungen: die Freilassung Aung San Suu Kyis und aller Gefangenen des Putsches, die Anerkennung des Ergebnisses der Parlamentswahl vom vergangenen November und der Rückzug des Militärs aus der Politik.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Doch es herrscht auch die Angst, mit großangelegten Protesten in eine Falle der Putschisten zu tappen und dem Militär einen Vorwand zu geben, mit Gewalt »Ordnung« herzustellen. In den Stunden nach dem Putsch wurde in den sogenannten sozialen Medien um die richtige Strategie gestritten: Einige wollten sofort auf die Straße, da die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft sonst verloren gehe; andere fürchteten gerade in dem Fall eine harte Reaktion des Militärs. So blieb es erst mal still auf der Straße. Doch im Netz organisierte sich der Widerstand: Nachdem sich 150 000 Menschen in einer Facebook-Gruppe »Ziviler Ungehorsam« zusammengeschlossen hatten, ließ die Militärregierung den Zugang zu der Internetseite durch die Provider kappen.
Die Sorge, dass das Militär auch gegen die Zivilbevölkerung vorgehen könnte, ist berechtigt. Schon am Montag beschränkte es sich nicht auf die Festnahme von Politikern, die mit der abgesetzten Regierung in Verbindung stehen. Insgesamt wurden über 130 Personen festgenommen. Das von der US-Regierung finanzierte Radion Free Asia stellte eine Liste mit 16 Zivilisten zusammen, die ebenfalls verhaftet wurden, darunter prominente regimekritische Aktivisten, Schriftsteller, ein Musiker, ein Filmemacher und zwei Mönche. Im »Times-Magazine« wird Po Po zitiert, deren Mann Min Thway Thit, ein prominenter ehemaliger Studentenführer, am Montag verhaftet wurde: Die Polizei kam um 5 Uhr morgens mit Gewehren bewaffnet ins Haus. »Sie sagten, sie wollten ein paar Fragen stellen. Ich fragte, ob sie einen Durchsuchungsbefehl hätten, um sein Zimmer zu betreten, und sie sagten mir, das sei nicht nötig«, wird Po Po zitiert.
Warum die Tatmadaw, wie das Militär in Myanmar heißt, nun putschte, darüber wird viel spekuliert. Die Windeseile, mit der die neue Administration geschaffen wurde, legt nahe, dass die Vorbereitungen dafür schon länger gediehen. Am Dienstag wurden neue Minister ernannt, einige wechseln direkt aus dem Militär auf ihre neuen Posten, andere waren schon in der ersten zivilen Regierung unter der Führung von Thein Shein und der militärnahen USDP zwischen 2011 und 2015 tätig. Priorität hat für die Putschregierung die Bekämpfung der Corona-Pandemie samt möglichst rascher Aufhebung der Restriktionen, um die Wirtschaft zu beleben. Unter Voraussetzung der Sicherheit für die Bevölkerung will sie bald Hotels und Betriebe wieder öffnen. Und auch den Friedensprozess mit den bewaffneten Gruppen will sie weiterführen, die Tatmadaw hat dazu ihr Verhandlungsteam ausgebaut. Einige der wichtigsten Rebellengruppen verurteilten laut »Irrawaddy« zwar den Putsch, zeigten sich aber auch bereit, den Friedensprozess fortzuführen.
International wird weiter um den Umgang mit den Putschisten gerungen. Am Donnerstag forderte der UN-Sicherheitsrat in New York die sofortige Freilassung von Aung San Suu Kyi, die Aufhebung von Restriktionen gegen Kritiker der Militärs sowie die Freilassung sämtlicher Inhaftierter. Zugleich rief das Gremium zu Dialog und Versöhnung auf. Am Tag zuvor hatte sich der Rat noch nicht auf eine gemeinsame Haltung zu dem Putsch in Myanmar einigen können, weil die Vetomacht China - das den Militärputsch als Stühlerücken in der Regierung bezeichnete - dies blockiert hatte. Wie die Volksrepublik nannten auch die Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft südostasiatischer Staaten (Asean) Thailand und Kambodscha die Ereignisse in Myanmar eine innere Angelegenheit des Landes. Dem entgegen verurteilten die Asean-Mitglieder Singapur, Malaysia und Indonesien den Putsch.
In zahlreichen Ländern wurde gegen den Staatsstreich demonstriert, etwa in Indien, Japan oder Thailand. In Berlin protestierten am Donnerstag etwa 100 Personen vor dem Auswärtigen Amt. Dabei war auch Myat Thu Tun, der extra dafür aus Stuttgart angereist war, wo er seit einem Jahr lebt. Auf die Frage, ob er dem Militär glaube, dass es in einem Jahr erneut wählen lassen will, geht er gar nicht erst ein. »Sie sollen das Ergebnis der Wahl vom November anerkennen«, fordert er. Eigentlich wollte Myat Thu Tun nach abgeschlossenen Business Administration Studium in Deutschland in diesem Jahr wieder nach Yangon ziehen, wo er geboren wurde. Doch nach dem Putsch hat er große Zweifel. Von der Bundesregierung erhofft er sich, dass sie Druck auf Myanmar ausübt. »Unsere Demokratisierung hatte gerade erst begonnen. Von der deutschen Regierung wünsche ich mir, dass sie uns unterstützt.«
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