Liebe ist kein Märchen

Dystopie oder Utopie? In der Science-Fiction- Serie »Soulmates« folgt die Partnerwahl nicht dem Gefühl, sondern der Wissenschaft

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.

Bei dem Zuwachs, den Dating-Plattformen seit Jahren verzeichnen, ist es fast ein Wunder, dass diese neue, vor allem bei von ihrem Job gestressten Mittelständlern beliebte Kulturpraxis der Partnersuche bisher kaum Eingang in das Science-Fiction-Genre gefunden hat. Dem hilft nun die Serie »Soulmates« auf Amazon Prime ab. In sechs voneinander unabhängigen, gut 40-minütigen Episoden erzählt diese in den USA produzierte Anthologie-Serie von einer nahen Zukunft Mitte der 2030er Jahre, in der per Test, basierend auf einer revolutionären wissenschaftlichen Technologie, die eine passende Person für jeden Menschen gefunden werden kann, so dass die Titel gebenden »Soulmates« (zu Deutsch »Seelenverwandte«), sich endlich kennenlernen und eine Partnerschaft eingehen können. Den einen oder anderen dürfte diese Art der in einer nahen Zukunft angesiedelten Science-Fiction, in der die Rolle digitaler Technologien für einen gesellschaftlichen Wandel durchgespielt wird, nicht von ungefähr an die Netflix-Serie »Black Mirror« erinnern. William Bridges, einer der Macher von »Soulmates« war Autor der mit Preisen überhäuften »Black Mirror«-Folge »USS Callister«. Dabei spielt die Serie »Soulmates« anhand ganz unterschiedlich inszenierter Geschichten gekonnt durch, wie sich durch diesen technologischen Wandel soziale Interaktion, aber auch die Vorstellung und Praxis von Liebe und Partnerschaft grundlegend verändern.

So hält es die Mittdreißigerin Nikki, glücklich verheiratet mit ihrer College-Liebe Franklin, Mutter von zwei Kindern mit schickem Eigenheim im Vorort, irgendwann nicht mehr aus, als sie nur noch romantisch verliebte Paare um sich herum sieht. Denn die von einem Konzern angebotene Technologie, die einem entweder sofort nach dem Test oder unter Umständen auch erst nach Jahren einen Partner zuordnet, funktioniert scheinbar perfekt. So hat jeder im Freundeskreis jemanden, bei dem oder der dieses Verfahren zu einer sagenhaften Partnerschaft führte. Da ist Nikkis Eheleben im Vorort eher schal und ohne den romantischen Thrill, den der Test verspricht. Aber anstatt aus dem beengten Leben auszubrechen und etwas zu wagen, wird der Test gemacht, dessen Ergebnis langsam, aber sicher jede Beziehung, die nicht auf wissenschaftlichen Standards beruht, erodieren lässt. Schon den Test zu machen, ist wie der Beginn einer Trennung. Aber sind die verliebten Paare, die Nikki ständig sieht, alle durch den Test zusammengekommen oder ist das ihre Projektion? Sich zu verlieben und eine Partnerschaft wie aus der Werbebroschüre zu führen, spricht überaus erfolgreich eine im Kapitalismus kommodifizierte Vorstellung von Romantik, Liebe und Beziehung an. Den Kräften dieses Marktes kann sich mit Einführung der Soulmates-Technologie kaum mehr jemand entziehen.

Das private Glück wird durch den Test erworben, darum gekämpft wird nicht. Klar, dass sich da auch einige dagegen wehren. So Mateo und Jonah, die sich im Urlaub am Strand in Mexiko kennenlernen, nach ein paar Bieren im Bett landen - bis jeder seines Weges geht. Nur hat Jonah den Pass von Mateo geklaut und weiterverkauft. Aber Mateo will wieder zurück in sein geregeltes Leben in die USA, um dort endlich seinen per Test gefundenen Traumpartner zu heiraten. Beim Versuch, den Pass wiederzubeschaffen, taumeln die zwei von einem skurrilen Abenteuer ins nächste - inklusive mondäner Techno-Partys, Geisterbeschwörung und einem Einbruch ins Lagerhaus eines mexikanischen Drogenkartells. Am Ende dieser fast schon ins Absurde abdriftenden Episode stellt sich die Frage: Will Mateo wirklich das raue, grobe, nicht wissenschaftlich berechnete Leben, das ihn erst abschreckt und dann begeistert wie bisher nichts anderes, einfach hinter sich lassen, um die vermeintlich perfekte Partnerschaft einzugehen? Sich diesem Druck zu entziehen, ist ungemein schwer. Der Test und seine Ergebnisse sind eine wissenschaftliche und damit gesellschaftliche Autorität, durch die eine nicht widerlegbare Wahrheit erzeugt wird, was Liebe eigentlich ist und wer zu jemandem gehört. Sich auf sein Gefühl verlassen, hat plötzlich keine Gültigkeit mehr. Weswegen die bisherigen, nicht durch den Test zustande gekommenen Beziehungen auch innerhalb kurzer Zeit kaputt gehen. Außer einige Menschen lassen sich auf eine polyamore Beziehung ein, wie es in einer Folge eine Gruppe in Los Angeles tut.

So erzählen die fünf Episoden vor allem von der Dynamik, die bestehende Beziehungen auseinanderreißt, sobald einer oder eine den Test macht. Entsprechend wird das Wort »Test« im Lauf der Serie oft leise und verschämt, aber auch ablehnend und brüskiert oder voller Sehnsucht und meist mit reichlich Hoffnung ausgesprochen. Denn nach dem perfekten »Match« sehnen sich alle. Dass mit dieser Sehnsucht aber auch ein Betrug inszeniert werden kann oder Menschen deswegen zusammenpassen, weil sie eigentlich sehr düstere, gewalttätige und oft kaum eingestandene Sehnsüchte haben, auch davon erzählt diese Anthologie-Serie. »Soulmates« fächert dabei eine beachtliche Bandbreite von geglückten und missglückten Partnerschaften auf und inszeniert unterschiedliche Lebenswelten von bildungsbürgerlichen Paaren in New England über prekär lebende Menschen in New York, von fundamentalistischen Christen in Texas bis hin zu hippen Künstlern in Los Angeles.

»Soulmates« auf Amazon Prime.

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