Lockerer wie Lockdowner verärgert

Gefahr durch Mutationen ist Grund für Verlängerung von Maßnahmen. Dafür gibt es nicht nur Verständnis

Es sind harte Worte, die am Mittwochmorgen im Bundestag fallen. Am Vorabend hatten sich die Ministerpräsidenten der Länder und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach langem Ringen auf einen Kompromiss geeinigt: Lockdownverlängerung bis zum 7. März. Merkel hätte sich eine noch stärkere Ausdehnung der Schließung von Einzelhandelsgeschäften bis mindestens zum 14. März gewünscht. Dagegen waren etliche Länderchefs für eine Öffnung schon zum Monatswechsel.

Im Bundestag hagelte es nun von allen Seiten Kritik - sowohl von den Befürwortern noch einschneidenderer und längerer Beschränkungen als auch von den - insbesondere in FDP und AfD zu findenden - Verfechtern einer zügigen Lockerung bei Rückgang der Infektionszahlen.

Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken, befand mit Blick auf Merkels Agieren: »Die Papst-Attitüde der Unfehlbarkeit ist unangebracht.« Er kritisierte die Aussage der Kanzlerin, dass man bei der Pandemiebekämpfung grundsätzlich nichts falsch gemacht habe. Sie habe es vor allem versäumt, Deutschland auf den »Corona-Winter« vorzubereiten. Auch für das Impfdebakel macht er Merkel mitverantwortlich. Mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen habe sie das Management der Impfstoffbestellung einer »Exministerin« überlassen, die bekanntlich »Probleme mit Verträgen« habe. Weiter geißelte Bartsch die Milliardenhilfen für Großkonzerne, während Kleinunternehmer und Hartz-IV-Bezieher im Stich gelassen würden.

FDP-Chef Christian Lindner wiederholte die Forderung, dass das Parlament vor den Bund-Länder-Beschlüssen hätte beteiligt werden müssen. Den neuen Grenzwert von 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche, ab dem es Öffnungen von Einzelhandel und Kultureinrichtungen geben soll, lehnt er ab. Es sei falsch, sich auf Zahlen zu fixieren. Im Kanzleramt würde man gar über einen Wert von zehn für weitere Lockerungen nachdenken, behauptet Lindner. Sein Vorschlag: Lockerungen sollten sich an den Kapazitäten der Behörden vor Ort, etwa der Gesundheitsämter bei der Verfolgung von Infektionsketten, orientieren und nicht an der Sieben-Tage-Inzidenz. Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckhardt vermisst eine klare Strategie. Es sei nicht nachvollziehbar, warum nun Friseure geöffnet werden, monierte sie.

Die Kanzlerin zeigte sich derweil erneut unzufrieden mit dem Bund-Länder-Kompromiss und verwies darauf, dass sie die Schulen gerne bis zum 1. März weiter geschlossen hätte.

Doch das dauerte vielen Ländern zu lange. Sie entscheiden jetzt selbst, ab wann in den Präsenzunterricht zurückgekehrt wird. In den meisten Bundesländern wird das am 22. Februar der Fall sein. In den Details unterscheiden sich die Regelungen der Länder. Oft soll es einen Wechsel von Fern- und Präsenzunterricht geben. In Sachsen geht die Schule schon am kommenden Montag wieder los, in Sachsen-Anhalt dagegen erst am 1. März. Um die Sicherheit des Schulbetriebs zu erhöhen, sollen vermehrt Schnelltests eingesetzt werden. Außerdem soll geprüft werden, ob Lehrer und Erzieher schneller geimpft werden können. Viele Länder wollen Masken an Lehrkräfte ausgeben.

Am 1. März wieder öffnen dürfen Friseure. Dies geschehe »vor dem Hintergrund der Bedeutung von Friseuren für die Körperhygiene«, heißt es im Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz. Nach Medieninformationen wollten Ländervertreter die Betriebe schon am 22. Februar öffnen. Merkel habe sich mit dem späteren Datum durchgesetzt.

Friseure sind die einzigen Betriebe, bei denen so schnell eine Öffnung stattfindet. Für den Einzelhandel einigte man sich auf eine »stabile« Sieben-Tage-Inzidenz von höchstens 35. Erst dann sollen Einzelhandelsgeschäfte wieder öffnen dürfen - mit der Vorgabe, dass pro 20 Quadratmeter nur ein Kunde zugelassen ist. Auch Museen und Galerien wie auch Einrichtungen mit »körpernahen Dienstleistungen« soll dann die Öffnung erlaubt sein. Der Wert von 35 soll für ein ganzes Bundesland gelten, auch sollen Öffnungen mit benachbarten Bundesländern abgestimmt werden. So wollen die Ministerpräsidenten Shoppingtourismus vermeiden.

Von Wirtschaftsvertretern gibt es massive Kritik an den Beschlüssen. »Es ist gestern keine Öffnungs-, sondern eine Schließungsstrategie verabschiedet worden«, sagt der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes HDE, Stefan Genth. Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, erklärte, es fehle ein »verlässlicher Fahrplan«.

Unterdessen verbreitet sich die Corona-Mutante B.1.1.7, mit der Merkel ihren vorsichtigen Kurs begründet, weiter. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts wurde sie bei zwölf Prozent der Corona-Tests, bei denen eine Sequenzierung vorgenommen wurde, gefunden. In der letzten Januarwoche waren es erst fünf Prozent gewesen.

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