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Lockerungen ausgebremst
Bund und Länder stellen die Inzidenz von 35 in den Vordergrund
Viele Monate war die Sieben-Tage-Inzidenz von 50 der Maßstab aller Dinge, auch bei der Aussicht auf Lockerungsmaßnahmen. Das heißt, würden bundesweit unter 50 Neuansteckungen pro 100 000 Einwohner erreicht und das über sieben Tage, dann könnten geschlossene Gewerke und Branchen wieder Kunden oder Gäste empfangen. Mit Verweis auf Virusmutationen scheint die 50 der Politik aber jetzt zu unsicher: Weil die Infektionszahlen bei einer ansteckenderen Sars-CoV-2-Variante eher exponentiell nach oben schnellen könnten, wolle man auf Nummer sicher gehen.
Zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 drehte sich zunächst alles um den R-Wert, die Reproduktionszahl. Ist diese größer als eins, überträgt jeder Infizierte die Erkrankung an mehr als eine weitere Person - das Virus breitet sich aus. Ab etwa Mai wurde die Inzidenzzahl in den Vordergrund gerückt. Hierbei erklärte man schnell die 50 zu einer Art Notbremse. Aber 35 Neuinfektionen wurden ebenfalls schon in einigen Bundesländern wie Berlin, Bayern oder Niedersachsen als Frühwarnwert gehandhabt. Mit dem Erreichen wurden örtliche Gesundheitsämter verpflichtet, das Gesundheitsministerium über die Ursache der steigenden Fallzahlen und über lokale Gegenmaßnahmen zu informieren.
Zur Einordnung wurde unter anderem vom Robert-Koch-Institut erklärt, die absolute Zahl der Neuinfektionen müsse klein genug sein, um eine effektive Kontaktpersonennachverfolgung zu ermöglichen und die Kapazitäten von Intensivbetten nicht zu überlasten. Ärztefunktionäre wie Frank Ulrich Montgomery bewerteten die Zahl als eine Größe, an der die Gesundheitsämter aufhören, jede Infektion nachvollziehen zu können und die Vorinfizierten zu ermitteln.
Wäre die technische Aufrüstung der Gesundheitsämter im Laufe des letzten Jahres tatsächlich gelungen, hätte es jetzt (rein fiktiv) auch heißen können: Weil unsere Gesundheitsämter die Nachverfolgung perfektioniert haben, können wir nunmehr zu einem Grenzwert von 70 Neuinfizierten übergehen, ab dem Einschränkungen eingeleitet werden müssen.
Als in der zweiten Jahreshälfte 2020 die Zahl der Tests stieg und im Zuge dessen auch der Inzidenzwert, wurde teils gefordert, den Zielwert zu erhöhen. Ein weiteres Argument gegen die Überbewertung der Inzidenz war, dass sie nur positiv Getestete anzeige und nicht die Zahl symptomatisch Erkrankter.
Erstmalig verankert wurden beide Zahlen mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes im vergangenen November. Festgelegt wurde das bereits einen Monat früher. Für die 35 gilt seitdem: Wird der Wert bei den Neuinfektionen in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt überschritten, müssen dort Lockerungen rückgängig gemacht werden und Beschränkungskonzepte in Kraft treten. Übersteigt die Sieben-Tage-Inzidenz den Wert von 50, gilt eine Region als Corona-Risikogebiet. Die Beschränkungsmaßnahmen müssen verschärft werden, in manchen Bundesländern gilt ein Beherbergungsverbot für Reisende aus diesen Städten und Landkreisen.
Vergleicht man beide Zahlen mit ihren Wirkungen, wird der Bremseffekt für Lockerungsvorhaben deutlich: Stand Donnerstag könnten statt in 100 Landkreisen (mit einer Inzidenz unter 50) die Pandemiemaßnamen nur in jenen 35 Landkreisen, welche die 35 unterschreiten, gelockert werden. Noch ist zudem nicht klar, ob die 35 bundesweit gelten soll oder auch schon in Landkreisen oder vielleicht Bundesländern.
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