Die Abwehr unterlaufen

Neue Covid-19-Varianten sind infektiöser und gefährlicher

  • Norbert Suchanek
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit Mitte Januar sorgt die neue brasilianische Covid-19-Variante P.1 weltweit für Unsicherheit. Sie wird mitverantwortlich gemacht für den jüngsten, katastrophalen Corona-Ausbruch in der 2,2 Millionen Einwohner zählenden Amazonasmetropole Manaus. Bereits seit vergangenem Dezember breitet sich, ausgehend von Rio de Janeiro, zudem eine zweite potenziell bedenkliche Variante des neuen Coronavirus aus, P.2 genannt.

Eigentlich hätte es aus der Sicht der Virologen die zweite Coronavirus-Welle in Manaus gar nicht geben dürfen. Denn die Analysen von Proben aus Spenderblutzentren der Amazonasmetropole hatten ergeben, dass bis Oktober 2020 bereits 76 Prozent der Stadtbevölkerung mit dem Virus infiziert gewesen seien, schrieb ein Forscherteam im Dezember im Fachblatt »Science«. Damit hätte die Stadt bereits im vergangenen Jahr die sogenannte Herdenimmunität erreicht haben müssen.

Virologen vermuten nun als eine mögliche Ursache dieser zweiten Infektionswelle in Manaus nicht nur die unzureichenden staatlichen Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung, sondern auch die neue Virus-Mutation P.1, die sich seit Ende vergangenen Jahres im Amazonasstaat rasch verbreitet. Eine Untersuchung der Universität von São Paulo (USP) unter Leitung der Immunologin Ester Sabino ergab, dass im vergangenen Dezember bereits 42 Prozent der bestätigten Coronavirus-Patienten mit der neuen Variante infiziert waren. Internationale Schlagzeilen machte P.1 allerdings erst Mitte Januar, als sie in Japan auftauchte. Japanische Virologen entdeckten die brasilianische Virus-Mutation in vier Reiserückkehrern aus Manaus.

Angesichts der Explosion von Corona-Infektionen und Todesfällen in Manaus in den ersten Wochen dieses Jahres sei es sehr wahrscheinlich, dass die neue Variante für die starke Ausbreitung von Covid-19 in Amazonien mit verantwortlich ist, glaubt der Epidemiologe Jesem Orellana vom Gesundheitsforschungsinstitut Fiocruz Amazónia. Auch eine Untersuchung der Universität von São Paulo geht von einem höheren Ansteckungspotenzial und zudem von einem höheren Risiko für Zweitinfektionen durch die neue Variante aus.

Die aktuellen Zahlen scheinen dies zu bestätigen. Ende Januar meldeten die Gesundheitsbehörden, dass bereits 91 Prozent aller Neuinfektionen im Amazonasstaat auf die Manaus-Variante zurückzuführen sind. Erste Fälle von P.1-Infektionen sind inzwischen auch in den USA, Großbritannien, Italien, Deutschland und Südkorea aufgetaucht, weshalb viele Länder Reisebeschränkungen für Brasilien erlassen haben.

Was macht P.1 infektiöser und gefährlicher? Eines der Schlüsselproteine von Covid-19 ist das sogenannte Spike-Protein. Dieses ermöglicht es dem Virus in die menschliche Zellen einzudringen und sie zu infizieren. Die Forscher haben nun in der Manaus-Variante insgesamt zwölf Genveränderungen genau an diesem für den Ansteckungsvorgang entscheidenden Protein festgestellt. P.1 hat damit mehr Spike-Mutationen als die beiden bisher bekannten und als besonders ansteckend geltenden Varianten des Covid-19-Erregers aus Großbritannien und Südafrika.

Die britische Variante »B.1.1.7«, die gegenüber dem herkömmlichen Sars-Cov-2-Virus um etwa 30 bis 50 Prozent infektiöser ist, hat »nur« acht Veränderungen am Spike. »B.1.351« aus Südafrika hat bei gleich hoher Ansteckungsrate zehn Spike-Mutationen. Anders als »B.1.1.7« trägt die südafrikanische Corona-Variante aber - ebenso wie die in Manaus - die sogenannte Fluchtmutation E484K, die Epidemiologen weltweit erhebliche Sorgen bereitet. Diese Genveränderung ermöglicht es dem Virus nämlich, dem Angriff von Antikörpern zu entwischen. Konkret können sich die Antikörper, die ein Mensch durch eine überstandene Infektion oder Impfung in sich trägt, nicht mehr so effektiv an das Virus binden und es neutralisieren. Damit scheint nicht nur eine mehrmalige Ansteckung mit Covid-19 möglich. Es droht den bisher entwickelten Impfstoffen auch eine verringerte Wirksamkeit.

Aufgrund der höheren Anzahl der Mutationen hält der Virusforscher José Eduardo Levi vom USP-Institut für Tropenmedizin P.1 für die gefährlichste unter den drei Varianten. Nichtsdestoweniger hat sie mangels staatlicher Vorsorgemaßnahmen längst auch andere brasilianische Bundesstaaten erreicht. »P.1 zirkuliert sicherlich bereits in ganz Brasilien«, ist der Epidemiologe Orellana überzeugt. Bestätigt sind Fälle in den Bundesstaaten São Paulo, Rio de Janeiro, Roraima, Pará und Sergipe.

Parallel zur Amazonas-Variante breitet sich aber auch eine zweite Covid-19-Mutation in Brasilien aus: Die vergangenen Dezember in Rio de Janeiro entdeckte Variante P.2. Sie weist zwar weniger Mutationen am Spike-Protein auf als P.1, trägt aber ebenfalls die Fluchtmutation E484K.

Währenddessen hat Rio de Janeiro vergangene Woche die doppelt so viele Einwohner zählende Metropole São Paulo bei Coronavirus-Todesfällen überflügelt. Mit insgesamt 17 535 tödlich verlaufenen Corona-Infektionen bis zum vergangenen Donnerstag führt die Stadt nun die Todesliste unter den Städten Brasiliens an.

Rios neu gewählter Bürgermeister Eduardo Paes hat zwar Karnevalsumzüge in diesem zweiten Corona-Jahr verboten, doch so etwas wie einen Lockdown gibt es nicht, genauso wenig in Manaus oder in den anderen Großstädten Brasiliens. Man setzt voll auf die angelaufene Impfkampagne mit den Impfstoffen von Astra-Zeneca aus Oxford und CoronaVac aus China. Untersuchungsergebnisse zur Wirksamkeit dieser Impfstoffe gegenüber P.1 und P.2 liegen allerdings noch nicht vor. Gegenüber der südafrikanischen Variante ist eine geringere Wirksamkeit des Oxford-Impfstoffs aber bereits bestätigt.

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