Türkische Seifenoper als Agitprop

Serien im Sinne Erdoğans

  • Anne Pollmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Erfolgsrezept vieler typisch türkischer Serien ist alles andere als geheim. Sie folgen einem klassischen Plot: Gut kämpft gegen Böse - mit Happy End. Der türkische Staatssender TRT sieht das Land beim Export von Serien ganz weit vorn, nur die Produktionen aus den USA finden dem Sender zufolge mehr Verbreitung.

Dabei kommen die Dramen aus der Türkei besonders beim arabischsprachigen Publikum gut an. »Diriliş: Ertuğrul« (Auferstehung: Ertugrul) etwa war TRT zufolge ein voller Erfolg. Die Serie wurde in dem Staatssender ausgestrahlt. Auch auf dem Balkan oder in Spanien locken die zumeist klassischen und recht konservativen Liebesgeschichten viele Menschen vor den Bildschirm. Das sorgt auf so manch diplomatischem Parkett für Verstimmung. Ägyptens Regierung, die mit der Türkei über Kreuz liegt, warnte vor türkischen TV-Produktionen und beklagte, das Land versuche so seinen Einfluss in der Region auszubauen.

Ertuğrul erzählt die Geschichte vom Vater des Gründers des Osmanischen Reiches. Es ist eine Heldengeschichte, in der Ertuğrul als Retter der islamischen Welt auftritt. Tatsächlich stellt der Präsident die Geschichte seines Landes häufig in Anknüpfung an das Osmanische Reich dar - und begründet damit einen Führungsanspruch in der Region. Jugendlichen empfahl er die Serie, um mehr über die Geschichte des Landes zu lernen. »Vergesst nicht, wir stammen von einem Vaterland, das von einer Größe von 18 000 Quadratkilometern zu einer Größe von 780 000 Quadratkilometern gewachsen ist.«

Viele Experten und Kritiker nennen das die »Soft Power« Erdoğans. Staatlich finanzierte historische Dramen, die zu Zeiten des Osmanischen Reiches spielen, knüpfen an populistische Narrative an, sagt Feyza Akınerdem, Mediensoziologin an der Istanbuler Boğaziçi-Universität. Diese Art Serien bereiteten in der Türkei den kulturellen Nährboden für Erdoğans politischen Despotismus, schrieb etwa der türkische Journalist Can Dündar in einem Kommentar für »Zeit Online«. Die Serien romantisierten die Zeit mehr, als dass sie historisch korrekt seien, sagen andere kritische Stimmen.

Die Inhalte kontrolliert vor allem eine Behörde. RTÜK, die 1994 gegründete Regulierungsbehörde für den Rundfunk, zieht Kanälen, die unliebsame Sendungen ausstrahlen, gern mal den Stecker. »Der Staat wollte seine Macht über das Fernsehen zurückgewinnen. Also gründete man RTÜK«, sagt Akınerdem. Aus den Entscheidungen des Gremiums werde deutlich, dass der RTÜK-Präsident sich stark darum bemühe, Kritik an Erdoğan und seiner AKP-Regierung zu unterbinden, sagt İlhan Taşcı, selbst Mitglied von RTÜK für die oppositionelle Partei CHP.

Bei den Entscheidungen von RTÜK geht es nicht nur um politische Inhalte. Gegen einen Sender verhängte die Behörde zuletzt etwa eine Geldstrafe mit der Begründung, in einer dort ausgestrahlten Serie würden außereheliche Beziehungen positiv dargestellt. Alkohol oder freizügige Bilder werden auf offizielles Geheiß ohnehin verpixelt.

Sex, Referenzen zu unterschiedlichen sexuellen Orientierungen oder Alkohol - all das seien Beispiele für Inhalte, die zur tagelangen Abschaltung bestimmter Sender geführt hätten, sagt der Soziologe Besim Can Zırh von der Universität Odtü in Ankara. Die konservative Regierung habe in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten alles in Sachen Medien grundlegend restrukturiert. Akınerdem formuliert es so: »Hinter vielen Entscheidungen steht die Idee, das Ideal einer perfekten türkischen Familie beschützen zu müssen.« Vieles, was im Fernsehen zu sehen sei, werde da als schädlich empfunden.

Daran kommen auch Streaming-Giganten wie Netflix nicht vorbei. Ein Sprecher der Plattform sagte, Inhalte würden RTÜK nicht vorab vorgelegt. Aber würde sich der Rat nach der Veröffentlichung melden, müsse man reagieren, »weil wir nach nationalem Recht arbeiten«.

Akınerdem beobachtet aber auch einen Wandel bei den Inhalten türkischer Serien. »Gewalt gegen Frauen ist in der Türkei ein großes Thema, das in den letzten Jahren auch in vielen Produktionen einen Platz gefunden hat«, sagt die Soziologin und Feministin. dpa/nd

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