- Kultur
- Islamistischer Terror in Frankreich
Auf der Couch
Zwischen dem Trauma da draußen und jenem innen drin vermittelt die Serie »In Therapie«
Ein französischer Altbausalon, stilvoll eingerichtet, von draußen leuchtet ein diffuses Herbstlicht herein. Im Raum steht eine bordeauxrote Couch, ihr gegenüber ein Ledersessel, dessen Armlehnen nachgedunkelt wurden vom Schweiß und Talg der Hände. Auf den Möbelstücken haben zwei Kontrahenten Platz genommen, die um jedes Wort und jede Deutung ringen werden. Die Welten des algerisch-französischen Polizisten Adel Chibane und jene des Psychotherapeuten Philippe Dayan zeigen kaum Schnittmengen. Das erschwert folglich jene Kommunikation, die Grundlage ihrer Beziehung ist: Der Polizist ist Patient des Therapeuten - in den besseren Momenten. Dann wiederum clasht es ganz ordentlich. Die vorrausetzungsvolle Sprache, die humanistische Bildung und die Identifikation mit Freud sowie Lacan, das alles hinterlässt beim Polizisten, der gerade erst ein Blutbad erlebt hat, meist nicht mehr als ein Schulterzucken. Die beiden Regisseure Olivier Nakache und Eric Toledano (»Ziemlich beste Freunde«) fangen ganz nebenbei ein, welche Hürde die klassische Psychotherapie darstellen kann, wenn Academia und Arbeiterschaft aufeinandertreffen. Dabei geht es eigentlich um etwas ganz anderes.
Die Serie »In Therapie«, die derzeit bei Arte und in der zugehörigen Mediathek zu sehen ist, baut auf einem Sendungskonzept auf, das so mancher vielleicht schon kennen mag: Das US-amerikanische Format »In Treatment« galt zwischen 2008 und 2010 als beste Serie der Welt, wurde mit Preisen überschüttet und der Darsteller Gabriel Byrne wurde zum Star. An jedem Wochentag verfolgte man einen Fall - eine Ärztin, einen Soldaten, eine Jugendliche, ein Paar und den Therapeuten selbst bei der Supervision - stets für 30 Minuten. Jede Folge war eine Sitzung.
»In Treatment«, das auch in Deutschland vom Feuilleton gefeiert wurde, stellte die amerikanisierte Version des israelischen Originals »BeTipul« dar - die Serie war Anfang des Jahrtausends der Straßenfeger im israelischen Fernsehen. Das erfolgreiche Format, das vergleichsweise billig produziert werden kann, findet weitere Nachahmer: Es gibt eine serbische, eine niederländische und viele weitere Versionen. »In Treatment« geht nun nach zehn Jahren Pause sogar in die vierte Staffel. Nun also auch eine französische Variante - ist das eine Meldung wert?
Sehr wohl, was weniger an den subtil-inszenierten schauspielerischen Glanzleistungen liegt, die hier zum Beispiel Reda Kateb als Polizist Adel oder Céleste Brunnquell als nationale Schwimmhoffnung mit gebrochenen Armen abliefern. Es liegt auch nicht an der handwerklich soliden Kameraarbeit oder dem Set-Design, das durchaus die genau die richtige Melange aus Bohemien und Kleinbürgerlichkeit findet.
Das Besondere der französischen Variante um den Analytiker Philippe Dayan (Frédéric Pierrot) ist der Zeitpunkt und der Ort der Handlung. Die Praxis liegt nämlich im 11. Arrondissement der französischen Hauptstadt, 200 Meter vom Kultur- und Konzertort Bataclan entfernt. Am 13. November 2015 waren hier und an anderen Orten in Paris insgesamt 130 Menschen von islamistischen Terroristen getötet worden, fast 700 Weitere verletzt worden. Eine Nation war in ihren Grundfesten erschüttert. Die erste Folge spielt am 16. November, drei Tage später. Sie behandelt die Sitzung der Notärztin Ariane, die zwei Tage durchoperiert hat, um das Leben der Anschlagsopfer zu retten. Dagegen wirken die Probleme der jungen Schwimmerin Camille und die Paartherapie am Donnerstag Mittag im weltpolitischen Vergleich zunächst scheinbar kaum nennenswert.
Dass Sachen aber eben nicht so sind, wie sie manchmal scheinen, ist eine der banalsten Lehren des Begründers der Psychotherapie Sigmund Freud. Auch das zeigt »In Therapie« auf vorsichtige Art und Weise - mit dem Holzhammer wird weitaus seltener agiert als befürchtet. Die Probleme des streitenden Ehepaars Léonora (Clémence Poésy) und Damien (Pio Marmaï) begannen schon weit vor der ungeplanten Schwangerschaft, die hier vordergründig verhandelt werden soll. Auch die Ausgezehrtheit, die die Ärztin Ariane plagt, hat weit mehr unbewusste Gründe als allein den Terroranschlag. Am eindrücklichsten gelingt es den Regisseuren Nakache und Toledan das Wechselspiel zwischen dem Trauma da draußen und jenem innen drin zu inszenieren in der Geschichte des Polizisten Adel. Dessen posttraumatische Stressreaktion - er erlitt eine Panikattacke beim Versuch die Geiseln im Bataclan zu befreien - ist facettenreich.
Sowohl für Kenner des Konzepts der Serie »BeTipul« als auch für Neuankömmlinge im Kosmos der Therapieserien, ist »In Therapie« ein besonders empfehlenswertes Erlebnis. Die 35 Folgen der ersten Staffel kann man entweder blockweise im linearen Fernsehen oder nach Belieben in der Mediathek schauen.
»In Therapie«, in der Arte-Mediathek.
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