Nach 15 Jahren wieder eine Wahl

Superwahljahr im Westjordanland und im Gazastreifen - Fatah und Hamas mit unterschiedlichen Zielen

  • Peter Schäfer
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Mitte Januar erfolgte Ankündigung von Neuwahlen führt in Palästina zu politischer Geschäftigkeit, getrieben von der Hoffnung auf Veränderung. So spekuliert die in den Städten des Westjordanlands regierende Fatah auf eine Wiederbelebung des Friedensprozesses mit Israel durch die neue US-Regierung. Die Hamas-Führung im isolierten Gazastreifen indessen hofft auf eine Lockerung der internationalen Blockade gegen das Gebiet. Innerhalb der Parteien selbst wollen viele die Möglichkeit zur Absetzung der Altkader nutzen. Und eine Vielzahl neuer politischer Bewegungen will ganz neue Wege einschlagen.

Für die Wahlberechtigten im Alter von 18 bis 33 Jahren wäre dies der erste Urnengang überhaupt. Diese etwa eine Million Erstwähler*innen machen über ein Drittel aller Wahlberechtigten aus; angesichts der hohen Frustration im Land eine große Unwägbarkeit für die etablierten Parteien.

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Präsident Mahmud Abbas (84) verfügte, dass am 22. Mai zunächst das Parlament neu gewählt werden soll, am 31. Juli dann der Präsident und am 31. August der Palästinensische Nationalrat, also das PLO-Parlament, das auch die Diaspora umfasst. Die EU wurde bereits zur Wahlbeobachtung eingeladen. Dies ist zwar nicht die erste Wahlankündigung seit der letzten vor 15 Jahren. Aber die erste, die ernster genommen wird.

»Marwan Barghuthi plant, für das Präsidentenamt zu kandidieren.« Dieser Satz von Hatem Abdel Qader, einem der führenden Köpfe um Barghuthi, schlug bisher sicherlich am meisten ein. Barghuthi wurde 2002 von Israel verhaftet und für seine Rolle in der zweiten Intifada zu mehrmals Lebenslänglich verurteilt. In den 90er Jahren bekannt als die »Junge Garde« der Fatah-Bewegung, steht seine Strömung bis heute für eine Verhandlungslösung mit Israel bei gleichzeitigem Widerstand gegen die Besatzung. Dies ist Affront und Bedrohung zugleich für die derzeitige Fatah-Führung, die diese in die Jahre gekommene Garde stets bekämpfte.

Laut Umfrage vom Dezember 2020 würde Marwan Barghuthi bei Präsidentschaftswahlen gegen den Hamas-Kandidaten gewinnen, Präsident Abbas allerdings unterliegen. Und eine von Barghuthi geführte »unabhängige« Liste würde 25 Prozent der Stimmen erhalten, die offizielle Fatah-Liste dann jedoch nur 19 Prozent. Ende Januar stellte Präsident Abbas auf einem Treffen der Fatah aber bereits klar, dass derartige parallele Fatah-Listen nicht geduldet würden. Ein Szenario wie 2006 dürfe sich nicht wiederholen, als sich die Bewegung durch parallele Listen selbst Stimmen wegnahm. Ein hoher Fatah-Vertreter hat Barghuthi im Gefängnis besucht, um ihn von einer Präsidentschaftskandidatur abzubringen.

Palästinensische Beobachter glauben, dass sich Barghuthi mit einer Kandidatur Fatah-intern in eine gute Verhandlungsposition bringen möchte. »Ich habe von einem internen Deal gehört, wonach Marwan (Barghuthi) bei einem Wahlsieg der Fatah Parlamentspräsident werden soll, wenn er auf die Präsidentschaft verzichtet«, so ein jugendlicher Aktivist aus Ramallah gegenüber »nd«. »Es sollte aber nicht vergessen werden, dass die Fatah-Führung ihren Anteil daran hat, dass Marwan im Gefängnis bleibt.«

Die Beteiligung der Hamas an Wahlen ist innerhalb der Organisation selbst umstritten. Nach ihrem Sieg bei den Parlamentswahlen von 2006 boykottierten vor allem westliche Geberländer die neue Regierung und kanalisierten Hilfsleistungen fortan über das Büro von Präsident Abbas. Die Bevölkerung im Hamas-kontrollierten Gazastreifen wird bis heute stark benachteiligt. »Die Hamas spekuliert mit einer Wahlbeteiligung jedoch darauf, ihre politische Legitimation auszubauen«, so Analyst Hani Masri aus Ramallah, »die Kontrolle über den Gazastreifen wird sie jedoch in keinem Fall abgeben.«

Die Existenz der Autonomiebehörde und somit die Wahlen sind an die Überbleibsel des Friedensvertrags mit Israel von 1993 gekoppelt. Abweichungen sind bei aller Kritik am ausbleibenden Frieden nicht vorgesehen. »Deswegen glaube ich auch nicht, dass Wahlen bei uns etwas verändern können«, so ein Jugendaktivist aus Bethlehem gegenüber »nd«. »Die siegreiche Partei muss sich wie die jetzige Fatah-Führung verhalten, oder sie wird bekämpft werden - am Ende bestimmt nämlich die israelische Besatzung.« Die mehrheitliche Stimmung, die sich auch in Umfragen ausdrückt, ist jedoch gegen ein »Weiter so!«. Oder in den Worten der Kampagne Marwan Barghuthis, verbreitet über die Facebook-Seite seiner Frau Fadwa: »Immer wieder dieselben Instrumente und dieselben Methoden anzuwenden, wird immer zu denselben Ergebnissen führen.«

Das ist eine mittlerweile sehr verbreitete Sicht. Aus Frust gegen die interne Stagnation und die zunehmende Landnahme Israels und trotz der stark gestiegenen internen Repression bildeten sich in den letzten vier Jahren locker organisierte soziale Protestbewegungen in Palästina: Die Vereinigte Palästinensische Bewegung ist ein Zusammenschluss verschiedener Protestgruppen. Dann ist da noch die Bewegung gegen Korruption, die der Arbeiter*innen und die der jungen Arbeiter*innen. Die Genannten beschlossen am 29. Januar ihre Zusammenarbeit im Hinblick auf die kommenden Wahlen. Allein die Vereinigte Palästinensische Bewegung mit ihrem Sprecher Amer Hamdan hat fast 120 000 Gruppenmitglieder auf Facebook. Und sie hat mehrfach gezeigt, dass sie auch auf der Straße mobilisieren kann.

Erst im Januar entstand das Zivile Demokratische Dialogforum aus Debatten um eine säkulare Gesellschaft, Frauenrechte und Meinungsfreiheit. Derzeit arbeitet eine Kerngruppe an einem programmatischen Papier, das dann von allen, derzeit etwa 1500 Gruppenmitgliedern, diskutiert werden soll. »In Bezug auf die Wahlen können wir noch nichts sagen«, so Ghassan Tubassi, einer der vier Koordinatoren, gegenüber »nd«. »Aber wir werden uns möglicherweise einer größeren demokratischen, fortschrittlichen Koalition anschließen.«

In Palästina ist also einiges in Bewegung, die sicherlich bleibt, auch falls die Wahlen doch nicht stattfinden. Es fehlt noch an israelischen Garantien, die Abstimmungen nicht zu stören und missliebige Abgeordnete nach der Wahl nicht zu verhaften, wie 2006 geschehen. Und noch ist unklar, ob die ausländischen Geberländer das Wahlergebnis in jedem Fall anerkennen werden.

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