Luxusproblem beim Impfstoff

Kurt Stenger über falsche Skepsis und falsche Erwartungen

Unglaublich, aber wahr: Inmitten der zweiten Welle der Corona-Pandemie wird einer der weltweit so sehnlich erwarteten Impfstoffe in Deutschland zum Ladenhüter. Einige aus dem medizinischen Personal lassen ihre Termine verfallen, wenn man Medienberichten aus einigen Bundesländern glauben darf. Für Senioren sind Termine oft nur schwer zu ergattern.

Der Grund für das Fernbleiben ist erstaunlich: Der Astra-Zeneca-Impfstoff ist nach bisherigen Erkenntnissen etwas weniger wirksam als die zugelassenen Konkurrenzprodukte und er hat bei der ersten Dosis öfter spürbare Nebenwirkungen; bei Biontech/Pfizer soll dies übrigens verstärkt bei der zweiten Dosis der Fall sein. Man fragt sich, was manche Leute eigentlich erwartet haben: ein Wundermittel mit der Stärke von Kamillentee?

Dieser Erwartungshaltung hat allerdings auch die Politik Vorschub geleistet, die lange Zeit suggerierte, dass, wenn erst mal Impfstoffe da sind, Pandemie und Lockdown rasch Geschichte sein werden. Nicht nur wegen des miserablen Impfstarts war dies überzogen. Wirksamkeit und Nebenwirkungen der inzwischen zahlreichen weltweit verfügbaren Impfstoffe werden sich erst im Laufe der Zeit sicher herausstellen.

Allerdings sind die Impfstoffe ein ganz wichtiger Baustein bei der Pandemiebekämpfung, und das gilt weltweit, was trotz der offenkundig ungerechten Verteilung zwischen Nord und Süd gerne vergessen wird. Der in Deutschland seit Wochen gepredigte Impfnationalismus nach der Devise »Wir müssen uns so viel Impfstoff wie möglich sichern« - innerhalb der EU und gegen den Rest der Welt - scheint nun auch noch eine neue Form von Impfskepsis zu befördern. Das Motto lautet: Ich will nur das allerbeste Produkt. Der Schutz vor einer Covid-19-Infektion wird so zum Luxusproblem.

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