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USA lässt Asylsuchende wieder über Grenze
25.000 Asylsuchende warten an der Nordgrenze von Mexiko - nun sollen sie einreisen dürfen, für die Dauer der Bearbeitung ihrer Asylanträge
Tijuana. Seit einem Jahr und sieben Monaten wartet Gustavo Loza nun schon. Er sucht sich kleine Jobs als Maurer oder Tellerwäscher und wartet. Er räumt sein Zelt in der Migrantenunterkunft in Tijuana auf und wartet. Wenn er oder seine Frau verzweifelt sind, sollen die beiden kleinen Kinder nichts davon mitbekommen. Doch jetzt gibt es Hoffnung - das Warten könnte endlich ein Ende haben.
Ab diesem Freitag erlaubt die neue US-Regierung unter Joe Biden den letzten 25.000 Asylsuchenden, die bisher im Nachbarland Mexiko auf eine Entscheidung ihrer Anträge warten mussten, schrittweise die Einreise und den vorübergehenden Aufenthalt bis zum Abschluss ihrer Verfahren. Darunter auch Lozas Familie aus El Salvador. Der vorherige Präsident Donald Trump hatte die Regelung unter dem Motto »Remain in Mexico« (Bleib in Mexiko) vor zwei Jahren eingeführt. Rund 70 000 Menschen waren insgesamt betroffen. Biden hat das Programm inzwischen abgeschafft und will bei der Aufnahme von Flüchtlingen neue Wege gehen.
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»Wir haben nie versucht, illegal die Grenze zu überqueren und wir haben den ganzen Prozess auf die korrekteste Art und Weise durchgeführt. Warum sollten sie unseren Fall abweisen? Wir haben uns an die Regeln gehalten und waren geduldig im Warten«, sagt Loza. Sein Sohn ist sieben Jahre alt, seine Tochter fünf. Er wolle für sie kein Leben in Leiden und Armut, wie er es gehabt habe, sagt der 43-Jährige.
Die meisten Migranten stammen aus Guatemala, El Salvador und Honduras. Die mittelamerikanischen Staaten gehören zu den gefährlichsten Ländern der Welt. Mächtige Jugendgangs - die sogenannten Maras - kontrollieren ganze Stadtviertel, erpressen Schutzgeld und zwangsrekrutieren bereits Kinder.
Loza ist nicht der einzige, der Hoffnung auf ein neues Leben in den Vereinigten Staaten hegt. Biden hat beim Thema Einwanderung und Asyl eine Kehrtwende versprochen. Er will den rund elf Millionen Menschen, die sich ohne Papiere bereits in den USA aufhalten, den Weg zur Staatsbürgerschaft erleichtern, sofern er die Zustimmung des Kongresses dafür gewinnen kann. Zudem hat er versprochen, sich an der Südgrenze für eine »faire« und »menschliche« Asylpolitik einzusetzen.
Sein Vorgänger dagegen gab sich alle Mühe, die 3200 Kilometer lange südliche Grenze möglichst dicht zu machen. Er ließ 724 Kilometer Grenzmauer bauen und alle Vorschriften immer wieder verschärfen, fuhr das Programm zur Aufnahme von Flüchtlingen auf den historisch niedrigen Wert von 15.000 Menschen pro Jahr zurück. Seine Regierung trennte nach der Ankunft sogar Kinder von ihren Familien - offenbar, um damit Nachahmer abzuschrecken. Auf Fotos von Migranten im Gewahrsam der Grenzpolizei, die an Menschen in Metallkäfigen erinnerten, war die Regierung stolz.
Deshalb verfolgte Henry Daniel Pinel im November die Nachrichten im Fernsehen so aufmerksam wie nie zuvor und feierte Bidens Wahlsieg »wie ein Amerikaner«. Der 17-jährige Honduraner und sieben weitere Familienmitglieder zögerten dann keine Sekunde. Nach einem Jahr »reinen Leidens« in Palenque im südlichen mexikanischen Bundesstaat Chiapas zogen sie Richtung Tijuana weiter.
Schon vor Sonnenaufgang wollten Pinel und seine Verwandten an diesem Freitag am Grenzübergang von El Chaparral stehen. Sie machen sich Hoffnungen auf eine Chance, die es für sie zunächst allerdings nicht geben wird. Nur bestimmte Asylsuchende mit bereits anhängigen Verfahren in den USA werden ins Land gelassen. Und auch nicht einfach so. Sie müssen sich zunächst online registrieren und werden dann über Zeitpunkt und Ort des Grenzübertritts informiert.
Neben Tijuana ganz im Nordwesten von Mexiko dürfte auch Matamoros im Nordosten zu den ersten Grenzübergängen gehören, die für die Migranten geöffnet werden. In dieser Stadt an der Grenze zu Texas im gefährlichen Bundesstaat Tamaulipas harren mitten in der Corona-Pandemie rund 700 Migranten unter schlechten Bedingungen in einem provisorischen Zeltlager aus. Immer wieder werden sie erpresst, getötet oder geraten in die Gewalt von Drogenkartellen. Jetzt leiden sie auch noch unter den Folgen eines starken Wintersturms im Süden des USA und Norden von Mexiko. Zuletzt froren ihre Wasserquellen ein und der Strom fiel aus.
Ende Januar waren in der Region 19 verkohlte Leichen auf einer Landstraße gefunden worden. Fast alle Opfer waren Migranten aus Guatemala. Zwölf Polizisten wurden als mutmaßliche Täter verhaftet. »Dies ist nur eines von vielen Beispielen dafür, was an der Grenze passiert. All diese Dinge sind das tägliche Leben vieler Migranten«, sagt der stellvertretender Missionsleiter von Ärzte ohne Grenzen (MSF), Marcos Tamariz. »Natürlich ist jetzt Hoffnung aufgekommen, aber der Prozess wird Zeit brauchen.«
Der Ton hat sich geändert, Vorschriften haben sich geändert - aber wie genau Biden das Problem der »irregulären Einwanderung« aus dem Süden lösen will, wird sich noch zeigen müssen. Schon wenige Wochen nach Beginn seiner Amtszeit sorgten erste Berichte über Asylsuchende, die einfach im US-Gebiet freigelassen wurden, für Irritationen. Sollte es zu neuen »Karawanen« oder größeren Flüchtlingsbewegungen kommen, würden die Republikaner Biden sicherlich genussvoll angreifen. Und nach der Wahl ist vor der Wahl: Schon Ende 2022 müssen die Demokraten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus wieder verteidigen.
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