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»Mütter sollten immer auch an die Trennung denken«
Stiftungsgründerin Heidi Thiemann sucht nach den »effektivsten Schrauben«, an denen sie drehen kann, um die Situation für Alleinerziehende zu verbessern
Frau Thiemann, müssen Alleinerziehende Held*innen sein?
Zu mir hat mal jemand gesagt: »Alleinerziehende sind für mich noch die letzten Helden.« Da hatte ich gerade mein Kind auf dem Arm und hab mit der anderen Hand den Buggy aus dem Kofferraum rausgezogen und den dann so aufgeschüttelt - also wie man das so als Alleinerziehende macht (lacht). Das hat mich damals wirklich berührt. Deswegen dachte ich mir, wenn wir etwas für Alleinerziehende machen, dann geht es auch um eine Anerkennung der vielen kreativen Lösungen, die diese Frauen finden - und auch manche Männer.
Sie haben deshalb im November eine Stiftung für Alleinerziehende gegründet und sie »Alltagsheld:innen« genannt. Kam die Idee aus ihrer persönlichen Erfahrung?
Ja, ich habe mich seit meiner frühesten Jugend mit Geschlechtergerechtigkeit beschäftigt. Dann war ich selbst lange Zeit alleinerziehend. Dadurch habe ich gemerkt, dass ganz viele dieser verschiedenen Schnüre, die zur Geschlechtergerechtigkeit gehören, bei diesem Thema zusammenlaufen: Wie werden Frauen bezahlt, welche Arbeitsmöglichkeiten haben sie, welche Betreuungsmöglichkeiten haben sie? Was ich da immer für Ärger hatte!
Frauen, die keine Mütter sind, erfahren doch auch Ungerechtigkeiten.
Ja, aber in vielen Belangen, bei denen es um Frauen geht, die keine Mütter sind, sind wir als Gesellschaft schon besser aufgestellt. Ich merke das, wenn ich Gendertrainings mit jüngeren Frauen mache: dann brauche ich immer etwas länger, um Genderungerechtigkeit wirklich greifbar zu machen. Mädchen und Frauen sind mittlerweile besser in der Schule und an der Uni. Ihnen werden auch im Berufseintritt nicht mehr so viele Steine in den Weg gelegt. Und dann kommen die Kinder.
Wie meinen Sie das?
Dann wird es richtig schwierig für Frauen. Dann heißt es: Es lohnt sich nicht, wenn du arbeiten gehst. Oder: Geh doch nur halb, das Kind braucht dich. Oder: Die Mütter können das eben besser als die Väter. Ich habe viele Paare erlebt, die das anders machen wollten, aber es sich gar nicht leisten konnten. Weil der Mann dann doch den besser bezahlten Beruf hatte als die Frau.
90 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland sind Frauen. Haben Sie überlegt, sich nur an die zu richten?
Tatsächlich hatte ich anfangs nur die Mütter im Blick. In der Vorgründungsphase habe ich viel im Freund*innenkreis darüber geredet, und die sagten dann: Überleg dir das noch mal, du hast doch auch zwei Söhne, was wäre denn, wenn die jetzt alleinerziehend wären? Auch alleinerziehende Väter werden diskriminiert, nur anders.
Haben Sie schon erste Projekte geplant?
Aus aktuellem Anlass wollen wir ein Projekt zum Umgang mit Alleinerziehenden in der Coronapandemie machen. Wir haben uns aber nicht gegründet, um Einzelfallhilfe zu leisten. Wir wollen herausfinden, an welchen Schrauben am effektivsten gedreht werden kann, um die systematische rechtliche, soziale und finanzielle Benachteiligung von Ein-Eltern-Familien zu verbessern.
An welchen Schrauben zum Beispiel?
Zum Beispiel am Ehegattensplitting. Es wurde schon mehrmals versucht, dagegen gerichtlich vorzugehen - vergeblich. Man könnte überlegen, das mal von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft prüfen zu lassen. Das Gute an einer Stiftung ist: Man hat das Geld, um sich neue Wege zu überlegen, die Verhältnisse zu ändern.
Woher kommt denn das Geld eigentlich?
Mein Mann arbeitet im Bereich ethisch-ökologischer Finanzanlagen. In seinem Umfeld sind politisch Interessierte viel besser situiert als der Durchschnitt der Alleinerziehenden. Wir konnten sie als Gründungsstifterinnen für die Idee der Stiftung gewinnen.
Für viele Alleinerziehende ist die Trennung auch eine emotionale Belastung.
Wenn das finanzielle, das rechtliche gut geregelt ist, dann ist der ganze emotionale Teil auch überschaubarer. Ich möchte noch mal darauf hinweisen: In der früheren DDR hatten wir eine höhere Anzahl von Frauen mit Kindern, die sich getrennt haben. Das war sicher emotional genauso anspruchsvoll, aber dadurch, dass es zum Beispiel eine flächendeckende Kinderbetreuung gab und alle Frauen Arbeit hatten, konnten Frauen nach der Trennung ihr Leben neu sortieren, ohne krasse wirtschaftliche Benachteiligungen. Heute sollten Mütter immer auch an eine mögliche Trennung denken.
Wie war denn Ihr eigenes Kind betreut?
Die ersten drei Jahre gar nicht, damals waren in der BRD nur drei Prozent der Kinder unter drei betreut. Ich hatte damals wirklich Gewaltfantasien den Behörden gegenüber. Später, in einem katholischen Kindergarten, mit dem ich nicht ganz einverstanden war, da gab es viele Zwangselemente. Die Qualität der Betreuung finde ich total wichtig. Es gibt tolle neue Modelle, zum Beispiel von »Sandburg Hub« da arbeiten Mütter und Väter mit kleinen Kindern in den Büros zusammen. Das Kind krabbelt dann mal zum Elternteil (lacht) und dann sagst du: Hallo. Und dann krabbelt es wieder zu der pädagogischen Fachkraft zurück. Ich finde, wir sollten viel mehr mit solchen Sachen auch experimentieren.
Können Sie das nicht tun?
Ja, die Idee ist, so ein Projekt für Alleinerziehende pilotierend für drei Jahre zu finanzieren. Am besten mit wissenschaftlicher Begleitung, damit man valide Zahlen hat, mit denen man weiterarbeiten kann. Womit wir uns auch beschäftigen wollen, sind Wohnformen. Auch das aus meiner eigenen Geschichte heraus.
Wie war das denn bei Ihnen?
Ich habe in einer WG mit einer anderen Alleinerziehenden und noch einer Freundin zusammengewohnt. Wir haben geplant, wann kommst du nach Hause, wer holt ab, wer macht das Abendessen, wer bringt die Kinder ins Bett. Die Kinder waren wie Ziehbrüder. Mein Sohn hat einmal zu mir gesagt, als ich die Kinder ein paarmal hintereinander ins Bett gebracht hatte: »Mama, auch mal Bierchen trinken gehen.« Er meinte, die andere geht zu viel aus (lacht).
Okay ...
Was uns auch sehr wichtig ist: die Situation von migrantischen Alleinerziehenden mehr ans Licht zu holen. Die haben noch mehr Herausforderungen, als sowieso schon Alleinerziehende. 40 Prozent der Kinder, die vom Jugendamt aus Familien genommen werden, haben eine Migrationsbiografie. Da gibt es eine große Angst der Menschen, sich an die Behörden zu wenden. Da würden wir gerne als Stiftung einen Fokus drauf setzen, dass Beratungsstellen bessere Angebote für Familien mit Migrationsbiografie haben. Und auch, dass die Behörden sensibilisiert werden im Umgang damit.
Sie kooperieren mit dem Projekt 100 % Mamans (100 Prozent Mütter) in Marokko. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
Die Situation dort ist noch mal heftiger. Wenn zum Beispiel mit einem Vaterschaftstest nachgewiesen ist, dass der Mann der Vater des Kindes ist, der aber das Kind nicht offiziell anerkennt, dann ist er rechtlich nicht der Vater. Das heißt, es wird fast nie Unterhalt gezahlt, und die Frauen sind darauf angewiesen, arbeiten zu gehen. Die Initiative bietet daher eine eigene Kinderbetreuung an. Wir finanzieren jetzt für ein Jahr die Umstellung der Betreuung in der Pandemie. Übrigens zahlen auch in Deutschland nur 25 Prozent der Unterhaltspflichtigen den Unterhalt in voller Höhe.
Könnten Sie auch mal ein Projekt vorstellen, das die Väter adressiert, die nicht mit den Kindern zusammenleben?
Früher dachte ich immer, so etwas müsste von unten kommen. Aber meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass man damit nicht sehr weit kommt. Ich denke, der Staat müsste mehr intervenieren und zum Beispiel den Führerschein entziehen, wenn nicht gezahlt wird.
Drakonische Strafen also?
Naja. Es kann nicht sein, dass Unterhaltspflichtige, und das sind meistens Väter, sich in Internetforen darüber austauschen, wie sie sich am besten um den Unterhalt drücken können. Dagegen müssen Politik und Gesellschaft Position beziehen. Letztlich zahlen für diese Unterhaltsverweigerer alle Steuerzahler*innen den Unterhaltsvorschuss an das Kind. Da wäre es doch besser, wenn wir den Unterhalt direkt vom Einkommen abziehen würden. Es muss allen klar sein: Wenn ich ein Kind in die Welt setze, bin ich dafür verantwortlich, dass es auch versorgt ist.
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