Narr oder Nervensäge? Jan Böhmermann wird 40

Die »Causa Erdogan« war ein Wendepunkt für den Komiker: Er trat anschließend politischer und moralischer auf.

  • Jonas-Erik Schmidt, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Köln. Es gibt Spaßigeres, als einen runden Geburtstag im Lockdown zu feiern. Auch Jan Böhmermann ist das kürzlich aufgefallen. »Ich feier meinen 40. Geburtstag im Lockdown. In ein paar Tagen ist es soweit. Ich weiß gar nicht, was ich mache«, sagte er in seinem Podcast »Fest & Flauschig«. Wobei es in seinem Fall dann doch keine so große Frage zu sein scheint. »Ich meine: Ich mache ohnehin nichts, eigentlich immer. Aber jetzt mache ich noch weniger als sonst.«

Man weiß nicht besonders viel darüber, wie Jan Böhmermann privat so ist. In die Schublade des Feierbiestes hätte man ihn aber auch bis zu diesem kleinen Einblick nicht einsortiert. Böhmermann ist eher der rationale Typ, der selbst den Quatsch, den er berufsmäßig für das Fernsehen produziert, genau durchdenken kann. Am Dienstag (23. Februar) wird der »blasse, dünne Junge« aber tatsächlich 40 Jahre alt, ob er nun auf den Putz haut oder nicht.

Auch wenn 40 angeblich das neue 30 ist, kann man sagen, dass Alter und Karrierestatus bei Böhmermann nun gut zusammenpassen. Seit November sendet er im ehrwürdigen ZDF-Hauptprogramm sein »ZDF Magazin Royale«, nachdem er sich dafür über Jahre auf dem kleinen Spartensender ZDFneo warmgelaufen hat. Böhmermann greift sich in dem Format ausgeruht ein Thema heraus, das er hart bearbeitet. Die Sendung ist gut, ohne jede Woche einen neuen Aufreger zu liefern. Es ist eine Mischung aus Satire und Investigativjournalismus.

Es gab Zeiten, in denen das anders war. Böhmermann wirkte über Jahre eher wie ein medialer Schachtelteufel, der die Aufmerksamkeit auch in der Nische geradezu magisch anzog. 2015 etwa suggerierte er, einen »Stinkefinger« in einen Clip des damaligen griechischen Finanzminister Gianis Varoufakis montiert und als Fake-Video in die Welt gesetzt zu haben. Die Gaukelei war so perfekt, dass danach heillose Verwirrung herrschte. Goldstandard in Böhmermanns Aufreger-Karriere ist bis heute das Gedicht »Schmähkritik« über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, in dessen Folge der Moderator zeitweise unter Polizeischutz stand.

Die Causa Erdogan kann man auch als Wendepunkt betrachten. Böhmermann wurde danach politischer, oft auch moralisierender. Immer wieder ließ er dafür auch die Kunstfigur hinter sich und argumentierte ohne jede blödelige Zwischenebene. Hat er ein Thema gefunden, kann er sich darin verbeißen. Ob manch einer ihn für eine Nervensäge hält, ist ihm wurscht. »Der Spiegel« schrieb 2019, Böhmermann sei eine »Ikone der Linken« geworden. Titel des Textes: »Der Narr macht Ernst«.

Seinem Lehrmeister Harald Schmidt (63) wäre das so nicht passiert. 2009 bis 2012 arbeitete Böhmermann dem Chefzyniker der deutschen Late Night zu, was wie eine Staffelübergabe wirkte. Heute lässt sich eine humor-ideologische Distanz beobachten. Während seiner »Gesellenzeit« bei Schmidt sei ihm eingebläut worden, bloß nicht preiszugeben, was man wirklich denkt, erzählte Böhmermann 2020 der »Süddeutschen Zeitung«. Und wenn, dann so ironisch gedreht, dass man nicht festgenagelt werden kann. »Damit kommt man aber nicht sehr weit.«

Böhmermann kommt im Gegensatz zu Schmidt aus dem Journalismus. Der Bremer Polizistensohn volontierte von 2002 bis 2004 bei Radio Bremen. Jobtechnisch hat es ihn mittlerweile nach Köln verschlagen, wo seine Show produziert wird. Er lebt inzwischen auch im Rheinland.

Dass sich Böhmermann eher nicht für Otto-Normal-Tätigkeiten eignet, war allerdings früh klar. 2016 sagte er der dpa über seine Schulzeit: »Klar war ich ein Sonderling. Mit 14 oder 15 habe ich lange Ledermäntel, komische Schals und exzentrische Klamotten getragen und mich komplett ausgeklinkt, wenn es darum ging, in so einer Schul-Coolness mitzuschwimmen.« Die anderen hätten rumgeknutscht, er sei »mit Inlineskates über den Lesumdeich gefahren«.

Wer das erlebt hat, dürfte auch einen Geburtstag im Lockdown überstehen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.