Scharfe Kritik an Lage in Kaschmir

UN-Sonderberichterstatter werfen Indiens Regierung die Aufhebung bisheriger Schutzrechte vor

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.

Fernand de Varennes ist Sonderberichterstatter für Minderheitenrechte, Ahmed Shaheed wiederum für Freiheiten in Fragen der Religion und Weltanschauung. Klare Kritik haben die beiden in einer Erklärung vor dem UN-Menschenrechtsrat nicht nur an der Rücknahmeentscheidung seit Jahrzehnten bestehender Autonomierechte der Region generell geäußert - sondern auch ganz konkret an der Aufweichung von Schutzrechten für die einheimischen lokalen Bevölkerungsgruppen. Die eigene Identität eben dieser Mischung verschiedener ethnischer, religiöser und linguistischer Gemeinschaften sei mit den politischen Grundsatzentscheidungen in jüngster Zeit zunehmend in Frage gestellt, fällt ihre Einschätzung äußerst düster aus.

Schon länger hatten es die seit 2014 regierenden und 2019 mit noch größerer Mehrheit wiedergewählten Hindunationalisten der Bharatiya Janata Party (BJP) als Ziel ausgegeben, die Sonderrechte von Jammu und Kaschmir, festgeschrieben im früheren Artikel 370 der Verfassung, abzuschaffen. Sie datieren aus der Zeit, als das vormalige Fürstentum im Zuge der Aufspaltung des britischen Kolonialreiches auf dem Subkontinent 1947 und einem bald darauf drohenden Einmarsch seitens Pakistans der Indischen Union beitrat. Das einzige mehrheitlich muslimische Gebiet des neuen Staates bekam damals weitreichende Autonomie in bestimmten Fragen zugestanden. Seit dem 5. August 2019 sind diese aufgehoben, die Region ist kein eigenständiger Teilstaat mehr, sondern in zwei Unionsterritorien mit weitgehender Verwaltung durch die Zentrale aufgespalten. Ladakh, eines davon, hat nicht einmal mehr ein Regionalparlament.

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Die Erklärung in Genf fiel zeitlich, wie in Delhis Regierungskreisen negativ aufstieß, mit einer zweitägigen Tour von rund zwei Dutzend ausländischen Diplomat*innen in Jammu und Kaschmir vorigen Mittwoch und Donnerstag zusammen. Es war nun die dritte Visite von Vertreter*innen der internationalen Staatengemeinschaft in der Region, nachdem Indien schon im Januar und Februar 2020 solche Besuche organisiert hatte. Auch diesmal sei seitens der Gastgeber darauf geachtet worden, mit wem Gespräche stattfanden - freies Interagieren sei erneut nicht möglich gewesen. Zwar sprachen die Teammitglieder mit Dorfvorständen sowie einigen indientreuen Politiker*innen und Journalist*innen. Ein Treffen beispielsweise mit Abgesandten der Hurriyat-Konferenz, der wichtigsten Dachvereinigung separatistischer Gruppen in der seit fast 75 Jahren zwischen Indien und Pakistan umstrittenen Region, fand aber nicht statt. Aus Protest gegen diese Einschränkung hatten fast alle lokalen Geschäfte während des zweitägigen Besuchs geschlossen, wie die führende pakistanische Zeitung Dawn berichtete.

Besonders kritisch vermerkt wurde von dem UN-Berichterstatter-Duo, dass durch neue Gesetze bisherige Bestimmungen entfallen sind, die nicht nur den kaschmirischen Muslim*innen, sondern auch Gruppen wie Dogri, Gojri, Pahari, Sikhhs und Ladhakis bei Landrechtsfragen oder Zugang zu Jobs besonderen Schutz und Vorrang einräumten. Die Tatsache, dass zuletzt immer mehr Menschen aus anderen Landesteilen Einwohnerzertifikate nach den neuen Richtlinien erhielten, deute darauf hin, dass »Änderungen an der linguistischen, ethnischen und religiösen Basis des Gebietes bereits im Gange sind«.

In Delhi reagiert man auf die Kritik äußerst verschnupft. Außenamtssprecher Anurag Srivastava stellte in einem Statement die Objektivität und Neutralität von Shaheed und de Varennes in Frage. Gerade auch den Diplomaten habe man basisdemokratische Errungenschaften präsentieren wollen. Kaum war die Gruppe wieder abgereist, wurde der Freitag aber wieder mal zu einem schwarzen Tag: Bei Gefechten an verschiedenen Orten wurden drei Polizisten und drei »Militante« getötet. Anfang Februar hatte Indiens Armee 6000 leichte Maschinengewehre aus Israel erhalten, Teillieferung von insgesamt 16 479 Stück. Sie dürften auch in Kaschmir zum Einsatz kommen, wo die Militärpräsenz besonders hoch ist.

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