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Das 1900 Milliarden Dollar schwere Coronakrisen-Hilfspaket der Biden-Regierung enthält viel Sozialpolitik

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Die »Unity«-Message von Joe Biden ist offenbar nur eine rhetorische Floskel. Das zeigt eine Anekdote zur Einheitspolitik des neuen US-Präsidenten aus den Verhandlungen um das neue 1900 Milliarden Dollar schwere Hilfspaket gegen die Coronakrise in den USA. Anfang Februar gewährte Joe Biden einer Gruppe von zehn vermeintlich der überparteilichen Zusammenarbeit offen gegenüberstehenden moderaten Republikaner-Senatoren einen Foto-Termin im Weißen Haus.

Mitgebracht hatten diese einen Gegenvorschlag für Ausgaben in Höhe von 600 Milliarden Dollar. Die Republikaner beklagen, die USA hätten 2020 bereits rund vier Billionen Dollar zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ausgegeben. Biden erklärte nach dem Treffen, man habe ein »angenehmes Gespräch« geführt, echte Verhandlungen gab es offenbar nicht. Die Coronakrise erfordere schnelles Handeln, so Biden stattdessen. Im Übrigen drehte er die implizite Bringschuld-Logik um: Die Republikaner könnten ja im Dienste der überparteilichen Zusammenarbeit für das Demokraten-Paket stimmen.

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Unterdessen trat auf Bidens Geheiß Bernie Sanders, der neue und ambitionierte Vorsitzende des Haushaltsausschusses im US-Senat, nur allzu gerne in Aktion. Er will die Grundlagen dafür legen, das Finanzpaket mittels der Haushaltsgesetzgebungstechnik »budget reconciliation« und den dafür nur nötigen 51 Stimmen an den Republikanern vorbei zu beschließen. Es enthält unter anderem Mittel für die Corona-Impfkampagne, Hilfen für Kleinunternehmer und zur Schulöffnung, ein Extra-Arbeitslosengeld, Steuererleichterungen und Zuschüsse - und Direktgeldzahlungen.

Neben der konservativen Demokraten-Senatorin Kyrsten Sinema beklagte auch ihr Parteikollege Joe Manchin, die Direktgeldzahlungen dürften nicht wohlhabenderen Amerikanern zugute kommen. Er knüpfte damit an die alte konservative Rhetorik vom vermeintlich weit verbreiteten Sozialhilfebetrug an. Gleichzeitig machten sich auch linksliberale »policy wonks« wie Paul Krugman und Obamas Ex-Wirtschaftsberater Larry Summers daran, die Direktgeldzahlungen und das Hilfspaket zu zerreden. Es könne mit genauerem »targeting« versehen werden, um die hilfebedürftigsten Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Das Hilfspaket sei zu groß, könne die Wirtschaft überhitzen und so Inflation auslösen, erklärte Summers. Das größte Risiko sei jetzt, zu wenig zu tun, nicht zu viel, hieß es daraufhin ablehnend aus dem Weißen Haus. Falls es tatsächlich zu Inflation komme, habe die Zentralbank Möglichkeiten zu reagieren, so die kühle Reaktion.

Statt auf Summers zu hören, las Joe Biden offenbar die Umfragen des linken Think Tanks Data For Progress, die wie die Befragungen anderer Institute auch zeigten, dass Direktgeldzahlungen, Hilfe für die Coronavirus-Eindämmung, Mindestlohnerhöhung und andere Teile des Hilfspakets hohe parteiübergreifende Zustimmung im Bereich von 70 bis 80 Prozent haben. Das Biden-Hilfpaket sei »Einheits«-Politik, erklärte Stabchef Ron Klain.

Im Repräsentantenhaus stellte sich derweil die Vereinigung der Parteilinken Progressive Caucus angesichts entsprechender Forderungen der Parteirechten quer. Zum einen sollten alle US-Amerikaner, die 2019 oder 2020 bis zu 75.000 Dollar Jahreseinkommen hatten, die 1400-Dollar-Direktgeldzahlungen erhalten. Den Berechtigtenkreis auf Einkommen unter 50 000 zu reduzieren sei »grausam« und außerdem nicht politisch vermittelbar. Schließlich hätten auch etwa Beschäftigte mit 52.000 Dollar Einkommen im vergangenen Jahr unter US-Präsident Trump zwei Schecks erhalten und würden nun ebenfalls einen erwarten. Außerdem müsse eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Dollar pro Stunde Teil des Paketes bleiben.

Auch das progressive Herzensanliegen 15-Dollar-Mindestlohn befindet sich im Hilfspaket, doch ob sie am Ende immer noch enthalten sein wird, ist noch unklar - wegen der Byrd-Regel. Diese Verfahrensregel verlangt, das im Zuge von Haushaltsgesetzgebung nur gesetzliche Regelungen verabschiedet werden dürfen, die einen Einfluss auf den Haushalt haben. Der in den archaischen Senatsregeln ebenfalls versierte Sanders hatte vorgesorgt und eine Studie genau zu dieser Frage beim offiziell neutralen Congressional Budget Office (CBO) veranlasst.

Die Analyse des von neoliberalen Ökonomen dominierten Büros ergab: 900.000 Menschen würden aus der Armut gehoben und 1,4 Millionen Jobs könnten wegfallen. Die Annahme, höhere Löhne würden Jobs verdrängen, jedoch ist eine, die in der akademischen Mindestlohn-Forschung als nicht zutreffend gilt.

Vor allem aber ergab die Analyse: Auf zehn Jahre verteilt würde der Haushalt bei einer Mindestlohn-Erhöhung mit 54 Milliarden Dollar belastet und hätte damit »direkte und deutliche Auswirkung auf den Haushalt«, so Sanders. Daher falle die Mindestlohn-Erhöhung nicht unter die Byrd-Regel, so der Senator aus Vermont. Sanders und linke Ökonomen gehen von einem anderen Einfluss auf den Haushalt aus: Höhere Steuereinnahmen durch Millionen Beschäftigten mit mehr Einkommen, die gleichzeitig weniger auf sozialstaatliche Hilfsprogramme angewiesen sind.

Doch die Mindestlohn-Erhöhung könnte noch Opfer der in diesen Tagen stattfindenden abschließenden Verhandlungen im Senat werden, wenn nicht Sanders, sondern Sinema und Manchin sich durchsetzen. Sie hatten Ablehnung signalisiert. Vermutlich deswegen hat Sanders in den letzten Tagen darauf hingewiesen, das diese laut Entwurf über fünf Jahre gestaffelt erfolgen würde. Laut linken Ökonomen müsste er eigentlich bei 24 Dollar liegen, wenn die Einkommen mit den Produktivitätsgewinnen seit 1969 Schritt gehalten hätten.

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Auch eine Kindergelderhöhung um rund 45 Dollar pro Monat findet sich im Paket. Die Familienhilfe kann nun monatlich ausgezahlt werden statt wie bisher als Steuergutschrift. Doch auch diese Initiative könnte der Byrd-Regel zum Opfer fallen. Sollten die Direktgeldzahlungen, das erhöhte Kindergeld und eine ebenfalls geplante eine Steuererleichterung für geringe Einkommen beschlossen werden, hätten die ärmsten 20 Prozent im Land 2021 laut einer Analyse des linken Think Tanks ITEP rund ein Drittel mehr Einkommen oder fast 4000 Dollar mehr zur Verfügung. Diese Woche soll das Paket beschlossen werden, denn: Mitte März läuft das im Dezember beim letzten Hilfspaket verlängerte Corona-Bundesarbeitslosengeld aus - die inoffizielle Deadline für das neue Hilfspaket.

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